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payoff Opinion Leaders

12 interessante Dinge von Anleihenmärkten

20.02.2017 8 Min.
  • Jim Leaviss, Head of Retail Fixed Interest

Im Umfeld von rekordtiefen Zinsen scheinen vielen Investoren im Obligationenmarkt die Ideen auszugehen. Das muss nicht sein.

1. Oberflächlich betrachtet erscheinen langfristige US-Staatsanleihen angemessen bewertet, nachdem sie seit Mitte des Jahres 2014 eher teuer gehandelt wurden.  Interessant ist der Vergleich der langfristigen Erwartungen der Fed für die kurzfristigen Zinsen und den Erwartungen des Anleihenmarkts für die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen in zehn Jahren. Dabei kann man die unmittelbaren wirtschaftlichen Auf und Abs und sogar die Möglichkeit einer achtjährigen Präsidentschaft von Trump ausser Acht lassen: Seit den Wahlen in den USA preist der Markt für US-Staatsanleihen mittlerweile eine Laufzeitenprämie von über 50 Basispunkten ein und ist damit im Vergleich zur durchschnittlichen Leitzinserwartung der Fed wohl „günstig“. Dieses einfache Modell könnte falsch liegen, weil die Laufzeitenprämie eventuell nicht ausreichend ist, womöglich aufgrund des „chinesischen Nachfrage-Faktors“, auf den ich weiter unten eingehe. Oder der Offenmarktausschuss und die Märkte korrigieren ihre Erwartungen für die langfristigen Leitzinsen deutlich nach oben. Schliesslich lag der Mittelwert 2012 noch bei 4,25%. Wenn Trump es ernst meint mit dem Ziel für das reale BIP von 4%, werden sich die Zinsen wieder in diese Richtung bewegen.

2. Ende 2001 trat China der Welthandelsorganisation (WHO) bei. Seitdem häufte das Land – basierend auf den Einnahmen des Aussenhandels – zu Spitzenzeiten 4 Billionen USD an. Ein Grossteil davon floss in den Markt für US-Staatsanleihen – China hält 20% des Marktes und Japan hält weitere 20%. Dadurch liegt gemäss unseren Schätzungen die Rendite für 10-jährige US-Staatsanleihen aufgrund der Käufe aus China um 50 Basispunkte niedriger als es ansonsten der Fall gewesen wäre. China hat sich jedoch seit Beginn der Wachstumsverlangsamung 2012 von einem Nettokäufer von US-Staatsanleihen zu einem Nettoverkäufer entwickelt. Darüber hinaus sind seit Anfang 2016 ausländische Investoren insgesamt Nettoverkäufer von US-Staatsanleihen. Was in dem Jahrzehnt bis 2016 einst ein kräftiger Rückenwind für den US-Staatsanleihenmarkt war, ist mittlerweile zum Gegenwind geworden. Vielleicht wäre eine höhere Laufzeitenprämie aus diesem Grund angemessen.

3. Ebenfalls nachteilig wirken sich auf US-Staatsanleihen die Kosten aus, die ausländische Investoren zahlen müssen, wenn sie US-Anleihen kaufen und absichern. Aufgrund negativer Zinsen und extrem niedriger Anleihenrenditen in Europa und Japan fällt es Anlegern schwer, ihre Renditeziele zu erreichen. Oberflächlich betrachtet erscheint eine Rendite für 10-jährige US-Staatsanleihen von 2,5% attraktiv, wenn die Alternative eine Rendite von 0,5% für 10-jährige deutsche Bundesanleihen ist. Leider ist jedoch die „FX Basis“ hoch, d.h. die Angebots- und Nachfrage-Overlay auf die angenommenen Fair-Value-Hedging-Kosten, die basierend auf relativen Zinssätzen durch das Gewicht des Kapitals, mit dem US-Staatsanleihen aus Europa (und Japan) heraus gekauft werden und bei dem anschliessend das Währungsrisiko abgesichert werden soll. Die Basis für japanische Anleger liegt bei Minus 50 Basispunkten und für europäische Anleger bei Minus 35 Basispunkten. Demzufolge beträgt die Rendite für 10-jährige US-Staatsanleihen für einen japanischen Anleger mit Währungsabsicherung genau genommen 0,55% und für einen europäischen Anleger 0,46%. Die negative Basis ist zwar nicht mehr so gross wie Ende 2016 (Minus 90 Basispunkte für Japan und Minus 60 Basispunkte für Europa). Dennoch macht es keinen Sinn, dass europäische Investoren in der Hoffnung auf einen Renditeanstieg ihre Positionen in US-Staatsanleihen aufstocken. Japanische Anleger erzielen mittlerweile aufgrund der Einengung der Basis wieder eine Prämie.

4. Tracy Alloway von Bloomberg erinnerte an den Ausblick 2017 von S&P, der vom exzellenten Moritz Kraemer („A Spotlight on Rising Political Risk“) verfasst wurde. Er beschreibt den Zerfall der demokratischen und rechtlichen Institutionen, die den Industriestaaten in der Vergangenheit einen Rating-Vorteil gegenüber den Schwellenländern verschafften.

5. Ich liebe eine gute Story über „selbstfahrende Autos“. 94% der Autounfälle werden durch Fehler des Fahrers verursacht. Infolgedessen verlieren in den USA jedes Jahr 32’000 Menschen ihr Leben. 1 von 5 Organspenden gehen auf Autounfälle zurück. Wenn selbstfahrende Autos (vermutlich) besser fahren als Menschen, dann wird der Mangel an Spenderorganen signifikant ansteigen. Eine andere gute Geschichte über das Fahren: Für jedes 1% im Anstieg der Arbeitslosigkeit sterben 5000 Amerikaner weniger, da Abschwungphasen vor allem gefährliche Fahrer von den Strassen abhalten. Es gibt den offensichtlichen Aspekt, dass eine geringere Wirtschaftstätigkeit damit einhergeht, dass Menschen weniger fahren (und es sich weniger leisten können). 

6. Diese Veröffentlichung von Monique Ebell vom National Institute of Economic and Social Research (NIESR) ist lesenswert, um die Auswirkungen eines Austrittes aus dem europäischen Binnenmarkt für den britischen Handel zu verstehen. Nach Schätzungen von Dr. Ebell wird der britische Handel als langfristige Konsequenz um bis zu 30% abfallen. Mit einigen Ländern könnte der Handel zunehmen – insofern es zu einem Freihandelsabkommen zwischen Grossbritannien und allen BRIC-Staaten käme, würde der Handel um 2% steigen und ein Freihandelsabkommen mit den angloamerikanischen Volkswirtschaften würde den Handel um knapp unter 3% steigern. Beides würde jedoch den Rückgang des EU-Handels von 35% leider kaum kompensieren. Autsch.

7. Der Einbruch bei den Mitgliederzahlen in den Gewerkschaften hält trotz des zunehmenden Populismus und Ärgers über die schwachen Einkommenszuwächse in der Arbeiter- und Mittelschicht der entwickelten Welt weiter an. Nur 10,7% der Amerikaner sind Mitglied in einer Gewerkschaft. Vor zwei Jahren waren es noch 11,1% und in den 1980-er Jahren 20%. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in der verarbeitenden Industrie ist seit dem Jahr 2000 um 50% gefallen. Zwar lässt sich ein Lohnzuwachs in den USA von 3% zum Jahresende prognostizieren. Offen ist jedoch, ob dies ein nachhaltiger Anstieg sein wird, vor allem vor dem Hintergrund einer relativ niedrigen Erwerbsquote in den USA (im Vergleich zu dem Niveau vor der globalen Finanzkrise).

8. Mit gefällt ein Blog-Artikel von Duncan Weldon über den Zweiten Weltkrieg. Fokussieren wir uns im Kampf zu stark auf den Sieg und nicht genug darauf, wie Grossbritannien den Frieden gewann?

9. Der auf China spezialisierte Wirtschaftswissenschaftler Michael Pettis ist hervorragend. Er taucht nicht nur auf jeder Wirtschaftskonferenz auf, die ich – auf der ganzen Welt – besuche, sondern er ertönt auch sonntagmorgens aus meinem Radio, wo er nicht über chinesische Staatsbetriebe spricht, sondern über die Punk-Musikszene in China. In einer Sendung versicherte er, dass die chinesische alternative Musik von vor zehn Jahren in der kulturellen Geschichte des 21. Jahrhunderts eine der bedeutendsten Bewegungen sein wird. Ich bin skeptisch.

10. Mein Lieblingsbuch, das aus der grossen Finanzkrise hervorgegangen ist, ist „This Time is Different“ von Carmen Reinhart und Ken Rogoff. Die Autoren zeigten auf, dass Staaten mit einem Verhältnis von Staatsverschuldung zu BIP von fast 100% mit erheblichen Wachstumsverlangsamungen zu kämpfen hatten. Hier findet man grossartige Wirtschaftsgeschichte in einem durchaus lesenswerten Buch. Führte dieses Buch in Grossbritannien unter Osborne also zu dem Auftreten des Gegenteils? Oder in Europa, wo Deutschland Haushaltsüberschüsse erzielt? Wie stark hat es dazu beigetragen, diese Welt des schwachen Wachstums zu erschaffen, in der wir heute leben?

11. Apropos Deutschland: Einige Zeitungsartikel der vergangenen Wochen zeigt, dass die Inflation in Deutschland in Richtung 2% zurückgeht. Sie sind besorgt…

12. In keinster Weise werfe ich unserer neuen Firmenchefin Anne Richards den Tod des Wiesels im Grossen Hadronen-Speicherring des CERN vor. Scheinbar verliess Anne das CERN, bevor der Steinmarder von beschleunigten Teilchen erschlagen wurde. Das Wiesel der CERN kann jetzt übrigens in Rotterdam bestaunt werden, falls man es sehen möchte. Ich halte mich jedenfalls in absehbarer Zukunft von allen elektrischen Geräten am Hauptsitz von M&G fern. Dies schloss letzte Woche auch mein Bloomberg-Terminal für zwei Tage ein, nachdem ein grausamer Papierschnitt und Schlachtfeldverband (ein Pflaster) dafür sorgten, dass ich mich nicht über die Fingerabdruck-Authentifizierung anmelden konnte… Ich hatte grossartige zwei Tage.

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Jim Leaviss ist Leiter Retail Fixed Interest, M&G Investments, London. www.mandg.ch

 

 

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