2018 ist ein Jahr in Episoden
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Stuart Canning, Anlageexperte
Man kann leicht aus den Augen verlieren, wie stark Anleger ihre Meinung über das globale Umfeld in diesem Jahr geändert haben. Was bedeutet das für 2019?
Im Januar lauteten die Schlagworte „Melt-up“ und „synchronisiertes Wachstum“, heute halten wir erneut nach Anzeichen für eine globale Rezession Ausschau. Wie ist es so weit gekommen? Die schnelle Wachstumsrate bei den Makrodaten und Gewinnzahlen hat sich seit Jahresbeginn zweifelsohne abgeschwächt:
Einige Indikatoren sind alarmierender, z. B. die Zahlen aus dem Immobilien- und Automobilsektor in den USA, bestimmte globale Leitindikatoren oder die Erwartungen, die in der Zinsstrukturkurve eingebettet sind. Viele Marktteilnehmer sorgen sich weiterhin über die Zuverlässigkeit der chinesischen Wirtschaftsdaten und die Fähigkeit der Weltwirtschaft, auch bei einer restriktiveren Politik zu wachsen.
Die meisten Rückgänge an den globalen Aktienmärkten hatten aber nicht viel mit Wachstum, sondern eher mit der Rolle der steigenden US-Zinserwartungen zu tun.
Nach einer längeren Phase, in der die Marktmeinungen darüber, wie hoch die US-Zinsen letztlich steigen würden, relativ fest verankert schienen (wie die Verflachung der Zinsstrukturkurve reflektiert), folgte die Volatilität letztendlich auf jene zwei Phasen, in denen diese Anker herausgefordert wurden. Die einzige Phase, in der die Wachstumserwartungen zu dominieren schienen, war Mitte des Jahres, als die meisten wichtigen Aktienmärkte schlechter abschnitten als die USA und der US-Dollar hoch bewertet war.
Dies könnte sich gegen Jahresende jedoch ändern. Die jüngste Aktienschwäche trat ohne Aufwärtsdruck bei den Zinsen und sogar ohne Inversion der Zinsstrukturkurve auf. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Dynamik noch verstärken wird.
Weitere Faktoren, die eine Rolle spielen
Obschon der globale Diskontsatz 2018 das Hauptereignis war, gab es einige andere nennenswerte Episoden, die eher idiosynkratischer Natur waren.
Italien
In der europäischen Politik konnte man dieses Jahr leicht Dinge finden, die Anlass zur Sorge gaben, doch die vielleicht bemerkenswertesten Kursbewegungen konnte man im Mai in Italien beobachten.
Diese Kursausschläge waren wohl aufgrund der binären Natur der involvierten Risiken und des unangenehmen Widerhalls von früheren Stressphasen so hoch. Dementsprechend veränderte sich die Stimmung.
Der italienische Aktienmarkt entwickelte sich von einem Markt, der zu Jahresbeginn zu den Märkten mit der höchsten Wertentwicklung zählte (das Bankensystem war nach Einschätzung der Ratingagenturen auf dem Weg zu einer kräftigen Erholung), zu einem Markt, der gegen Jahresende zweistellige negative Renditen lieferte. Inzwischen werden italienische Banken erneut als sehr anfällig angesehen.
Türkei und Argentinien
Was den italienischen Banken Mitte des Jahres ebenfalls nicht geholfen hat, war ihre Ausrichtung auf türkische Vermögenswerte. Sowohl die Türkei als auch Argentinien erlebten einen extremen Währungsverfall, der zu den heftigsten an den grossen Märkten zählte. Dies war teilweise auf die oben erwähnten Zinstrends und die Entwicklung des US-Dollars zurückzuführen.
Wir haben damals über diese Themen geschrieben, aber es ist bemerkenswert, welch unterschiedliche Richtungen die Währungen seither eingeschlagen haben. Die Türkei hat sich auf Basis des Kassakurses relativ deutlich erholt, Argentinien nicht. Die türkische Lira hat seit Anfang August – vor den extremsten Rückgängen der beiden Währungen – gegenüber dem US-Dollar sogar einen positiven Gesamtertrag erzielt (+2,2% auf Basis von Bloomberg-Daten). Anleger, die in Pfund Sterling und Euro investieren, hätten bessere Renditen generiert.
Die Renditen sind über das Gesamtjahr 2018 natürlich immer noch schwach, aber es war die Phase im August, die die schlagzeilenträchtigen Bewegungen und den Höhepunkt des Anlegerpessimismus repräsentierte. Unserer Meinung nach sind es solche Phasen mit erhöhtem Stress, die oft episodische Anlagechancen bieten.
Zudem sei darauf hingewiesen, dass die jüngsten positiven Renditen in einem Umfeld generiert wurden, in dem Risikoanlagen im Oktober stark einbrachen. Dies hätten nur wenige erwartet (vielleicht auch weniger Risikomodelle), aber das ist eine Phase, die erneut illustriert, wie Episoden die Risikoeigenschaften von Vermögenswerten verändern können.
Mexiko
In letzter Zeit scheinen auch mexikanische Vermögenswerte ein idiosynkratisches episodisches Verhalten an den Tag zu legen. Angesichts der Sorgen über die politischen Entwicklungen (ausgelöst durch die Annullierung des Flughafenprojekts und die Rhetorik des neuen Präsidenten) haben mexikanische Vermögenswerte eine eigenständige Schwäche gezeigt. Hier sind die Aktienrenditen der vergangenen drei Monate:
Bis vor kurzem galt Mexiko unter den Schwellenländern als „geringstes Übel“ und der Aktienmarkt notierte normalerweise mit einem Aufschlag gegenüber den meisten anderen Märkten weltweit. Die jüngste Entwicklung scheint die Anleger brutal daran erinnert zu haben, dass jeder Vermögenswert riskant sein kann.
Längerfristige strukturelle Veränderungen können von kapitalmarktfreundlichen zu kapitalmarktfeindlichen Regimes eindeutig grosse Auswirkungen auf die Anleger haben. Sie sind fast immer viel bedeutender als die Art politischer Entwicklungen, die kurzfristig Aufmerksamkeit erregen. Die Beschaffenheit der jüngsten Kursbewegungen scheint jedoch interessant zu sein, da sie sehr schnell und eigenständig vonstattengehen und es einige aktuelle Anzeichen für eine Erholung gibt, die darauf hinweisen könnten, dass die Kurse allmählich von der Wertigkeit bestimmt werden.
Ausblick
Die oben erwähnten Beobachtungen haben eine Sache gemeinsam: Sie reflektieren grosse Veränderungen der Anlegerstimmung. Keiner von uns sollte überrascht sein, wie oft der Konsens falsch liegt. Und doch ist es sehr schwer, der Versuchung zu widerstehen, sich der Menge anzuschliessen.
Die grösste Veränderung in diesem Jahr ist, dass der Pessimismus in Bezug auf das globale Wachstum heute fast das Spiegelbild des Optimismus ist, der letztes Jahr um diese Zeit vorherrschte.
Gleichermassen haben sich die Themen, die wir als wichtig erachteten, nicht als wichtig erwiesen: Als sich die Anleger über die Auswirkungen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens auf Mexiko sorgten, hätten sie sich lieber auf die Innenpolitik konzentrieren sollen; die Sorgen, dass sich die türkische Währung möglicherweise nicht ohne grossen politischen Kurswechsel erholen kann, vernachlässigten den Rahmen, in dem sich die Leistungsbilanz schneller als erwartet anpasste oder der Ölpreis fiel; diejenigen, die auf Basis der Einschätzung, dass lediglich QE eine Rolle spielt, mit gutem Gewissen negativ rentierliche zweijährige italienische Anleihen hielten, würden grosse Verluste erleiden…
Damit wollen wir die Marktkommentare keineswegs verspotten: Wenn man sie zu einer Prognose drängen würde, würden sich viele Mitglieder des Episodenteams ebenfalls der allgemeinen Marktmeinung anschliessen. Das Wesentliche für Anleger ist, zu versuchen, die Dinge, bei denen wir am zuversichtlichsten sind, zu ignorieren, und anzuerkennen, wie überrascht wir oft sind. Wenn wir das tun können – zu erkennen, wenn die Marktbewertungen uns eine gute Kompensation für alle Arten von Risiken bieten, und die Phasen wahrzunehmen, in denen die Marktteilnehmer sich eher über die kurzfristigen Kursbewegungen zu sorgen scheinen als darüber, was langfristig zählt –, dann könnten wir gut positioniert sein, um von den Chancen, die uns 2019 bringen wird, zu profitieren.