

Anlageausblick 2019: Sekt oder Selters?
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Dieter Haas
Das vergangene Jahr blieb, abgesehen von der US-Börse, hinter den Erwartungen zurück. Für 2019 gilt bei den meisten befragten Finanzexperten der Schweiz die Devise: «Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste».
Um die Jahreswende haben Zukunftsprognosen Hochkonjunktur. Dabei sind Aussagen über die nächsten zwölf Monate besonders gefragt, längerfristige Entwicklungstendenzen dagegen weniger, getreu dem Motto des berühmten Ökonomen John Maynard Keynes: «Auf lange Sicht sind wir alle tot». Für 2019 ist der Tenor der Teilnehmer, die bis Mitte Dezember an unserer Umfrage teilgenommen haben, nur verhalten optimistisch. Das Auf und Ab im Vorjahr hat Spuren hinterlassen. Vor diesem Hintergrund erstaunt die Zurückhaltung der meisten Experten nicht. Es bleibt zu hoffen, dass die erwartete Konsolidierung an den Finanzmärkten in einem ruhigen Rahmen ablaufen wird und keine stürmischen Zeiten aufziehen. In solchen pflegen Ökonomen zu sagen, dass der Ozean wieder ruhig sein wird, nachdem der Sturm vorüber ist.
«Für 2019 ist der Tenor der Teilnehmer an unserer Umfrage verhalten optimistisch.»
Verlangsamtes Weltwirtschaftswachstum
Auf den ersten Blick sieht die Lage durchaus konstruktiv aus. Die Weltwirtschaft dürfte gemäss den Prognosen des Internationalen Währungsfonds auch im Jahr 2019 zulegen, selbst wenn die Wachstumsraten leicht tiefer ausfallen dürften wie in den Vorjahren. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken in den vergangenen Jahren zeigt aber zunehmend ihre Kehrseiten. Trotz tiefer Zinsen stiegen die Schulden seit der Finanzkrise 2008 weiter an. Die Dynamik der global oft als Lokomotive fungieren US-Wirtschaft verliert zudem zusehends an Kraft. Der Versuch einer Zinswende in den USA durch eine stete, graduelle Erhöhung der Leitzinsen stösst inzwischen an ihre Grenzen. Sie hat dazu geführt, dass die Zinskurve zwischen den zwei- und den zehnjährigen Staatsanleihen kurz davorsteht, invers zu werden. Das zog in der Vergangenheit regelmässig eine Rezession nach sich. Die US-Wirtschaft gerät offensichtlich allmählich in den Sog der rückläufigen Tendenz des globalen BIP-Wachstums. In diese Richtung lassen sich auch die jüngsten Daten zu den Erwartungen des US-Konsumentenvertrauens, dem Eckpfeiler des Bruttoinlandproduktes von Uncle Sam, interpretieren. Sie liegen aktuell unter denjenigen von 2007 vor dem Beginn der letzten Rezession. Hinzu kommen politische Konflikte wie der Handelsdisput zwischen den USA und China, eine Eskalation im Brexit-Streit, die Protestbewegung der gelben Westen in Frankreich und anderes mehr.
Spätzyklische Phase sorgte für Turbulenzen
An den, dem Geschehen vorauseilenden, Finanzmärkten haben die beschriebenen Tendenzen bereits im Jahr 2018 teilweise eskomptiert. Die Anlageklasse der Obligationen trat mehrheitlich auf der Stelle. An den Aktienmärkten war, in CHF umgerechnet, mit Ausnahme der USA kein Blumentopf zu gewinnen. Die amerikanischen Börsen konnten sich bis weit ins vierte Quartal hinein als eine der wenigen vollständig vom schwachen Börsenstart zu Jahresbeginn erholen. Allerdings zeigten sie zuletzt klare Ermüdungserscheinungen. Als Gewinner entpuppten sich in erster Linie Aktien defensiver Sektoren wie des Gesundheitswesens sowie werthaltige Blue Chips, während die vormals dominierenden Small und Mid Caps im Jahresverlauf teils heftige Kurseinbussen verzeichnen mussten. Immobilien erreichten oder näherten sich weltweit dem Ende der Fahnenstange. Der bis zu den Kongresswahlen im November anhaltende Anstieg der langfristigen US-Zinsen liess den US-Dollar wegen der gestiegenen Zinsdifferenz erstarken. Das belastete etliche Schwellenländermärkte wegen ihrer Auslandverschuldung über alle Massen. Rohstoffe blieben weiterhin Ladenhüter. Selbst die Energierohstoffe, die sich bis Anfang Oktober stetig verteuerten, beendeten das Jahr 2018 zumeist unter ihrem Startniveau. Die Edelmetalle mit Ausnahme von Palladium fristeten weiterhin ein Mauerblümchendasein. Bei den Währungen sorgte unter den hiesigen Exporteuren und der Tourismusindustrie speziell das anhaltende Abbröckeln des EUR/CHF-Wechselkurses für Sorgenfalten. Nach dem Höhenflug im Jahr 2017 verloren alle Crypto-Währungen (Bitcoin, Ethereum u.a.) massiv an Wert. Ihre Blütezeit hat 2018 ein abruptes Ende gefunden.
Experten setzen 2019 auf defensive Werte. In Ermangelung von Alternativen halten die Experten in unserer Umfrage per Mitte Dezember 2018 den Aktien auch 2019 mehrheitlich die Stange, trotz durchzogener Resultate im abgelaufenen Jahr. Die Schweizer Börse wird von den Umfrageteilnehmern generell als Hort der Sicherheit angesehen. Dabei liegt das empfohlene Schwergewicht vornehmlich auf den Blue Chips. Arno Endres (Luzerner Kantonalbank) rät für Small- und Mid-Cap-Aktien in der Schweiz eine leichte Untergewichtung vorzunehmen. Gemäss Christian Gattiker (Bank Julius Bär) ist die Stimmung gegenwärtig am Boden. Bei einer Dividendenrendite von 3.5% der Titel des Swiss Market Index ist seine pointierte Aussage: «Augen zu und durch». Philipp Bärtschi (Bank J. Safra Sarasin) sieht den Schweizer Aktienmarkt aufgrund seines defensiven Charakters im Gesamtportfoliokonzept als stabilisierendes Element, favorisiert aber wegen des soliden konjunkturellen Umfelds und des starken Gewinnwachstums weiterhin den US-Aktienmarkt. Anderer Meinung ist Matthias Geissbühler (Raiffeisen Schweiz). Er sieht den US-Aktienmarkt als teuer bewertet an, zudem dürften weitere Zinserhöhungen der Fed sowie das Auslaufen der Steuersenkungseffekte den Markt belasten. Entgegen der allmeinen Meinung ist Arno Endres bullisch auf die Emerging Markets. Als Begründung führt er an, dass die Bewertung von Schwellenländeraktien nach den erfolgten Kursrückschlägen inzwischen unter dem historischen Durchschnitt liegt. Zudem seien die Wachstumsperspektiven nicht zuletzt wegen der vorteilhaften demografischen Entwicklung mittelfristig intakt. Christian Gattiker sieht im Bereich der Emerging Markets ebenfalls Licht am Ende des Tunnels und rechnet mit einer Trendwende im Verlauf des Jahres 2019.
«Die Gretchenfrage für 2019 (Meinung des Autors) lautet: Passt sich die Entwicklung der US-Börse dem Rest der Welt an oder umgekehrt?»
Die Gretchenfrage für 2019 (Meinung des Autors) lautet: Passt sich die Entwicklung der US-Börse dem Rest der Welt an oder umgekehrt? Am wahrscheinlichsten scheint uns aus heutiger Sicht ein Abgleiten des US-Marktes in einen Bärenmarkt (minus 20% zum vorherigen Höchst). Das entspräche einer Anpassung von oben nach unten. Alles andere wäre eine Überraschung, allerdings eine positive.
Mehr Frust als Lust bei Obligationen
Zum wiederholten Mal schätzen etliche Experten eine Trendwende bei den Zinsen als hoch ein. Sie sind daher gegenüber der Anlageklasse Obligationen mehrheitlich bärisch gestimmt. Dies gilt vor allem für Europa inklusive der Schweiz. Christoph Schenk (ZKB) und Arno Endres (Luzerner Kantonalbank) sehen dagegen Raum für Kursgewinne in den USA. Einerseits spiegelt das Zinsniveau die Konjunktur und Geldpolitik wider, andererseits aber reizt die vergleichsweise attraktive Zinsdifferenz. Laut Arno Andres ist zudem der Höhepunkt des Leitzinszyklus absehbar. Gemäss Christoph Schenk böten Schwellenländerobligationen zwar attraktive Renditen, allerdings solche mit zumeist zyklischem Charakter, weshalb er bis auf weiteres US-Staatsanleihen vorzieht. Gemäss Christian Gattiker (Bank Julius Bär) sind die Schwellenländer seit der US-Zinsnormalisierung unter Schuldenabbaustress. Inzwischen hätten sie hier allerdings grosse Fortschritte erzielt. Er bevorzugt vorläufig noch Hartwährungsanleihen, zumindest solange bis der US-Dollar kippt.
Immobilien: Ende der Fahnenstange
Auf der Suche nach Rendite zieht die Mehrheit der Umfrageteilnehmer Immobilien den Obligationen vor, und zwar sowohl im inländischen als auch im ausländischen Bereich. Philipp Bärtschi (J. Safra Sarasin) warnt vor den hohen Bewertungen der Schweizer Immobilien insbesondere in Ballungsräumen wie der Region Zürich und hat daher sein Kreuz im Feld «Bear» gesetzt. Christoph Schenk sieht ein Spannungsfeld zwischen konstanten attraktiven Erträgen vs. stagnierenden Preisen und Überkapazitäten. Das führe zu einem steigenden Druck auf die Anlageklasse. Aktuell hielten sich die positiven und negativen Elemente aber noch die Waage.
«Der Schweizer Aktienmarkt wird 2019 aufgrund seines defensiven Charakters im Gesamtportfoliokonzept als stabilisierendes Element angesehen.»
Chancen bei den Edelmetallen
Dem wichtigsten Sektor Energie wird im Jahr 2019 mit Ausnahme von Philipp Bärtschi (J. Safra Sarasin) wenig Kurspotenzial eingeräumt. Bärtschi rechnet damit, dass die Angebotsanpassung der OPEC sich stützend auf den Ölpreis auswirkt, zumal die Wachstumserwartungen insgesamt positiv blieben. Matthias Geissbühler (Raiffeisen Schweiz) sieht dagegen ein lohnendes Potenzial bei den Edelmetallen. Seiner Ansicht nach sprechen die geopolitischen Unsicherheiten sowie eine generell erhöhte Volatilität an den Märkten für ein Comeback der Edelmetalle. Christian Nolting (Global CIO Deutsche Bank Wealth Management) teilt diese positive Ansicht. Er setzt dabei bei den Edelmetallen auf Gold und im Energiesektor auf Rohöl.
Kaum Impulse bei den Wechselkursen
Währungsprognosen zählen zu den Schwierigsten. Kein Wunder also, dass sich die wenigsten Experten auf die Äste hinauswagten. Arno Endres (Luzerner Kantonalbank) erwartet beim USD für die kommenden zwölf Monate eine Seitwärtsbewegung. Der Euro könnte seiner Meinung nach kurzfristig weiter unter Druck bleiben, sollte sich im weiteren Jahresverlauf aber wieder erholen. Christoph Schenk (ZKB) und die anderen Umfrageteilnehmer teilen diese Ansicht. Christian Gattiker (Bank Julius Bär) rechnet mit einem Höhepunkt im US-Dollarzyklus im Lauf des Jahres.
Grosse Fragezeichen
Ungeachtet der Tatsache, dass sich die globale Weltkonjunktur in einer Spätphase ihres Zyklus befindet, halten die meisten Experten den Aktien die Stange oder orten hier zumindest die besseren Chancen als in den übrigen Anlageklassen. Getreu dem Motto «Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht» setzt das Panel darauf, dass die Notenbanken im Fall der Fälle wohl erneut eingreifen werden. Eine Baisse auf breiter Front scheint für die Prognostiker derzeit unwahrscheinlich. Es bleibt zu hoffen, dass die im Gange befindliche Abkühlung der Hausse in den USA nicht urplötzlich in einem Bärenmarkt endet und das Glas halb leer und nicht halb voll ist.