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payoff Blockchain Report

Bitcoin für Banker: eine Einordnung der Krypto-Welt

01.09.2021 7 Min.
  • Pascal Hügli
    Redaktor

Kryptos gibt es heute wie Sand am Meer.

Um genau zu sein, sind es aktuell (Stand 25.8) 11’389, die auf der Übersichtsseite Coinmarketcap geführt werden. Die Frage, die sich angesichts dieser Fülle an Projekten stellt: Wie kann man da den Überblick behalten? Die Antwort ist: Am Ball zu bleiben und sich mit jedem Projekt auseinandersetzen, ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit.

Wichtig zu verstehen ist: Viele Krypto-Projekte, die Statistiken wie jene von Coinmarketcap zieren, sind lebende Tote. Im Hype von 2017 oder zuvor gegründet, sind deren Coins oder Token zwar noch immer live und befinden sich auf irgendwelchen Adressen. Entwickler-Aktivität erfahren sie jedoch keine mehr und auch Handelsliquidität ist kaum vorhanden.

Dass es so viele Kryptos gibt, hat auch da- mit zu tun, dass deren Lancierung überaus einfach ist. Während das Betreiben einer eigenen Blockchain etwas grösseren Aufwand beansprucht, können Token auch über bestehende Protokolle – Ethereum oder andere Smart Contract Plattformen – ins Leben gerufen werden. Letzteres kann in nur wenigen Stunden bewerkstelligt werden. Kryptowährungen und ihre Krypto-Netzwerke sind letztlich in Programmiercode gegossene Ideen – weder das Ausdenken einer Idee noch die Umsetzung derselben via Software ist besonders kostspielig, sind doch die Grenzkosten nahe null.

Mehr als nur Code

Bei vielen Menschen wirft dieser Umstand daher unweigerlich folgende Frage auf: Was unterscheidet Bitcoin von anderen Kryptos und was unterscheidet diese von nochmal anderen Krypto-Projekten? Obschon es auf den ersten Blick so wirkt, definieren sich Krypto-Netzwerke eben nicht bloss über Code. Entscheidend sind die Eigenschaften, ja die Garantien (im Englischen auch als Assurances beschrieben), die ein jeweiliges Netzwerk bietet.

So sind Krypto-Netzwerke eigentlich dezentralisierte Hauptbücher mit einer Transaktionshistorie, die festhält, wer wann wieviel von einer entsprechenden Werteinheit besitzt. Damit die Hauptbucheinträge den wahren Zustand des Netzwerkes widerspiegeln, müssen sie möglichst angriffsresistent sein. Ein Nutzer eines Krypto-Netzwerkes muss also darauf vertrauen können, dass die Hauptbucheinträge, das heisst getätigte Transaktionen, nicht rückgängig gemacht werden können.

Diese Garantie – und damit die Angriffsresistenz – eines Krypto-Netzwerkes ist nicht zwingend eine Design-Frage, sondern hängt davon ab, wie viel Sicherheit – das heisst Rechenpower oder technisch gesprochen Hashrate – ein Krypto-Netzwerk auf sich vereint. Es handelt sich bei dieser Variabel letztlich um eine emergentes Merkmal eines jeden Krypto-Netzwerkes und kann nicht einfach soherbeiprogrammiertwerden.

Bitcoin als die Schweiz der Krypto-Netzwerke

Von allen Krypto-Netzwerken zeichnet sich Bitcoin durch seine unübertroffene Hashpower aus, was bedeutet, dass die Energie zur Sicherung der Bitcoin-Blockchain – und damit auch die Kosten für einen Angriff auf dieselbe – diejenige aller anderen Krypto-Netzwerke bei weitem übersteigt. Bitcoin spielt in dieser Hinsicht also in einer anderen Liga. Andere Krypto-Netzwerke wie zum Beispiel Ethereum Classic oder Bitcoin SV haben bereits sogenannte 51-Prozent-Attacken und somit Manipulation ihrer Transaktionshistorien erlebt, was uns deren Garantien anzweifeln lässt.

Neben Angriffsresistenz ist Bitcoin aber auch das Krypto-Netzwerk mit der höchsten Zensurresistenz. Der gewaltige Netzwerk-Effekt sorgt darüber hinaus für Adoption, Bekanntheit und Beständigkeit. Gleichzeitig ist Bitcoin so dezentralisiert wie wohl kein anderes Krypto-Netzwerk. Diese Dezentralisierung insbesondere auf der Ebene der Full Nodes verschafft dem Netzwerk eine wertvolle Trägheit. Protokoll-Regeln wie beispielsweise die 21-Millionen-Bitcoin-Beschränkungen lassen sich kaum ändern. Bitcoin ist gewissermassen das Blockchain-Pendant zur Schweiz. Auch ihr wird aufgrund ihres dezentralen, politischen Systems immer wieder vorgeworfen, zu langsam und zu wenig agil zu sein. Bei genauerem Hinschauen wird allerdings klar: Der föderalistische, dezentrale Aufbau des politischen Systems in der Schweiz ist mehr Feature als Bug, verfügt die helvetische Alpenrepublik nicht zuletzt deshalb über eine politisch stabile Ordnung mit hoher Rechtssicherheit.

Chancen jenseits von Bitcoin?

Wer eine Kryptowährung und deren Krypto-Netzwerk also vor allem aufgrund der genannten Garantien und Eigenschaften halten möchte, ist daher gut beraten, auf Bitcoin zu setzen. Nicht für alle Use Cases ist maximale Sicherheit und Dezentralisierung jedoch wünschenswert. Sind sie es nicht, muss man sich als Investor allerdings stets fragen, ob ein Krypto-Netzwerk mit Blockchain-Infrastruktur der richtige technologische Unter- bau für die vorliegende Problemstellung ist.

In gewissen Fällen kann es das durchaus sein. So können nicht Sicherheit und Dezentralisierung wohl aber die Eigenschaft der inhärenten Programmierbarkeit einer Blockchain gefragt sein. Der gegenwärtige Hype rund um sogenannte Non-Fungible Token (NFTs) lässt diesbezüglich Anwendungsfälle erahnen: So können Tickets aller Art als NFT – beispielsweise als Hash auf der Blockchain abgelegt – von einem Ticket-Herausgeber emittiert werden. Letzteren interessiert es weniger, ob die verwendete Blockchain tatsächlich dezentralisiert ist, sondern vielmehr, ob ihm die inhärente Programmierbarkeit dieser Blockchain ermöglicht, einen spontan entstehenden Sekundärmarkt seiner Tickets zu monetarisieren, ohne dass er diesen in irgendeiner Art und Weise selbst besitzen oder betreiben muss.

«Nicht für alle Use Cases ist maximale Sicherheit und Dezentralisierung jedoch wünschenswert.»

Bitcoin kann (noch) nicht alles

Mit ein Grund, weshalb es andere Krypto-Netzwerke gibt: Bitcoins Image ist in vielerlei Augen – nicht zuletzt wegen der Energie-Thematik – noch immer schlecht, weshalb sich Menschen lieber auf ein alternatives Krypto-Netzwerk einlassen. Der viel entscheidendere Grund ist aber: Bitcoin kann nicht alles. So bietet Bitcoin nicht diese Art von ausgeprägter Programmbarkeit, die den eben beschriebenen Anwendungsfall ermöglicht. Möglich machen dies die sogenannten Smart-Contract-Plattformen. Hier glauben diese denn auch ihre Daseinsberechti- gung vis-à-vis Bitcoin zu haben: Sie machen möglich, was Bitcoin nicht vermag. Das Argument ist daher nicht selten: Smart-Contract-Plattformen wie Ethereum verfolgen letztlich ein anderes Ziel als Bitcoin und sollten daher nicht mit demselben verglichen werden.

Krypto-Projekte, die auf diesen Smart-Contract-Plattformen basieren streben ebenfalls nach einem ganz anderen Anwendungsfall als Bitcoin. So zum Beispiel die verschiedenen DeFi-Protokolle, die bereits über verschiedene Smart-Contract-Plattformen hinweg existieren. Diese sind nicht darin bestrebt, wie Bitcoin neutrales digitales Basisgeld in einem globalen Krypto-Settlement-Netzwerk zu werden. Vielmehr geht es diesen Projekten darum, eine offene, erlaubnisfreie Anwendung für einen spezifischen Finanz-Use-Case zu sein. So zum Beispiel dezentralisierte Handelsbörsen, dezentralisierte Kreditprotokolle oder dezentralisierte Derivativplattformen.

Wird also jedes Krypto-Projekt jenen Platz einnehmen, der ihm gebührt, so dass allen unabhängig voneinander eine rosige Zukunft bevorsteht? So einfach ist es leider nicht. Die verschiedenen Smart-Contract-Plattformen stehen miteinander im Wettstreit. Sollte sich die eine gegenüber der anderen durchsetzen, wären alle Projekte auf der Verlierer-Plattform in ihrer Existenz bedroht. Zum heutigen Zeitpunkt nicht auszuschliessen ist zudem, dass sich auf Bitcoin über Zusatzprotokolle und andere technische Lösungen Smart-Contract-Anwendungen aller Art realisieren las- sen. Diese hätten natürlich nicht dieselben Garantien wie das Grundlagenprotokoll von Bitcoin, würden aber dennoch von der Sicherheit des Bitcoin-Netzwerkes sowie von den Netzwerk-Effekten des Bitcoin-Vermögenswertes profitieren. Dass Bitcoin diese weitreichende Funktionalität heute noch nicht in einem derart ausgeprägten Ausmass bieten kann, führen einige auf folgenden Umstand zurück: Bitcoin perfektioniert zuerst das Fundament und baut basierend darauf dann die Anwendungen, während sich Smart-Contract-Plattformen dem umgekehrten Weg verschieben haben.

Abschliessend lässt sich sagen: Die Zukunft der Krypto-Welt steht noch immer in der Sternen und kann unvorhersehbare Wendungen nehmen. Doch selbst wenn es in der Theorie grundsätzlich Sinn zu ergeben scheint, ein Internet der Werte mehrschichtig auf dem sichersten Krypto-Netzwerk mit höchster Angriffsresistenz zu haben – immerhin gibt es ja auch nur ein Internet – muss das in der Praxis nicht so kommen. Zu stark sind manchmal Pfadabhängigkeiten, zu unterschiedlich die Bedürfnisse der Menschen und zu komplex die Zusammenhänge.

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