«Blockchain kann auch praxisrelevant sein»
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Martin Raab
Casper van der Elst, Blockchain-Experte, Certified Bitcoin Professional und Lehrgangsleiter Crypto-Währungen an der SBS Swiss Business School, über Sinn und Unsinn von Distributed Ledger Technologie, Preisübertreibungen und warum die Schweiz die perfekte «Crypto-Nation» ist.
Herr van der Elst, welche konkreten Blockchain-Lösungen können Sie uns für einen sinnvollen Einsatz nennen?
Da gibt es einige Anwendungen, die sich in einer frühen Phase befinden. Daher ist die grafische Benutzerfreundlichkeit noch etwas eingeschränkt. Aber diese Plattformen zeigen sehr schön, dass Blockchain auch praxisrelevant sein kann.
Welche Beispiele können Sie nennen?
Das erste Beispiel ist Etherisc, eine Versicherungsplattform basierend auf der Ethereum Blockchain. Über deren Website kann man Policen für den Fall, das sein Flug ausfällt oder sich verspätet, kaufen. Die Versicherung bezahlt via Smart Contract sofort bei Ausfall oder signifikanter Verspätung. Es gibt keinen Vermittler, der das günstiger und schneller kann. Das Unternehmen ist übrigens nach Zug umgesiedelt und bietet auch Social Insurance and Saat-Versicherung. Das zweite Beispiel ist Steemit, ein Blockchain namens Steem basierter Blog, der Autoren und Kuratoren für guten Inhalt bzw. gute Verwaltung belohnt. Bei Dtube, einem Ableger von Steemit, handelt es sich um eine zensurfreie Youtube-Alternative auf Blockchaintechnologie, die ohne Werbung auskommt.
Bei Ebay überlegt man sich seit Wochen auch Bitcoin zu akzeptieren. Wie sieht es mit anderen E-Commerce Anbietern aus?
Ein gutes Beispiel ist OpenBazaar, ein dezentralisierter Marktplatz, der mit Ebay oder Ricardo verglichen werden kann. OpenBazaar arbeitet global, hat keine Transaktionskosten und unterstützt die Verwendung vom mehr als 50 Kryptowährungen zur Zahlung inklusive Bitcoin, Ethereum, Dash und Zcash. OpenBazaar ist aktuell nur auf Desktop-Computer verfügbar.
Gibt es Start-Ups oder Konsortien, die Sie als «rising stars» im Bereich Blockchain sehen?
Es ist schwierig, vernünftige Bewertungen vorzunehmen, da derzeit ein regelrechter Hype existiert. Selbst die besten Entwickler sind sich uneins über den erfolgversprechendsten Zukunftsweg. Ich habe allerdings beobachtet, dass fast alle ICO’s über das Ethereum Netzwerk laufen (82% gemäss meinen letzten Berechnungen). Es gibt jedoch zahlreiche andere Plattformen wie NEO, Stellar, Mothership, Waves und Steem, die einen ähnlichen Rahmen zur Verfügung stellen. Ich rechne damit, dass andere ICO Plattformen in diesem Jahr an Popularität gewinnen werden.
«Bei Privat Equity Anlagen werden Portfoliomanager verpflichtet, um die Opportunitäten zu beurteilen, da dieser Prozess für Aussenstehende zu komplex ist. Etwas Ähnliches ist eigentlich auch bei ICO’s zu erwarten.»
Was ist ihre Meinung zu den unzähligen Token-Sales, die bewusst das Stichwort Blockchain als Marketing-Element nutzen?
Ich habe diesbezüglich gemischte Gefühle. Es bleibt zu beweisen, ob Blockchain Plattformen echte Marktanteilsgewinne erzielen können und ob die aktuelle Spekulation nicht zu einer Überbewertung solcher Ökosysteme geführt hat. Ich denke, es gibt ein grosses Potenzial, aber offensichtlich ist das Arbeiten in der Realität noch unklar. Token Sales sind daher nur etwas für Leute, die mit den bestehenden Risiken leben können.
Wie lässt sich Sense von Non-Sense bei diesem Thema aus Investorensicht trennen?
Durch eine angemessene Sorgfalt und das bedeutet viel Arbeit. Bei Privat Equity Anlagen werden Portfoliomanager verpflichtet, um die Opportunitäten zu beurteilen, da dieser Prozess für Aussenstehende zu komplex ist. Etwas Ähnliches ist eigentlich auch bei ICO’s zu erwarten. Die Beurteilung einer weniger ICO’s ist bereits ein Vollzeit Job, Konsequenterweise dürften sich daher auf diesem Gebiet Investoren mit Spezialisten verbinden durch Syndikate oder Fonds, um ICO Beurteilungen in ihrem Namen durchzuführen.
Wo sehen Sie konkret Risiken beim Thema Blockchain?
Bei der Sicherheit. Wenn jemand in Kryptowährungen engagiert ist und nicht besessen ist von diesem Aspekt, dann begeht er einen grossen Fehler. Sie können Token besitzen, deren Wert sich um 1000% in einem Jahr erhöht hat. Wenn sie jedoch gehackt oder gestohlen werden oder der Nutzer seinen privaten Schlüssel verliert, sind diese Anlagen unwiederbringlich verloren. Es gibt keine Beratungsstelle, die ihnen in einem solchen Fall hilft. Es gibt deshalb einen grossen Anreiz für Hacker rund um den Globus sich vollzeitlich damit zu beschäftigen, anderen Leute ihre Kryptowährungen zu stehlen. Starke Passwörter und Cold Storage sind Pflicht auf diesem Gebiet.
Welche Trends werden wir in nächster Zeit erwarten dürfen?
Ich denke, wir werden einen Fokus auf Kapazität sehen, da die beiden grössten Kryptowährungen Bitcoin und Ethereum unter Skalierungs Begrenzungen leiden, gefolgt von hohen Transaktionsgebühren und langsamen Transaktionsbestätigungen. Etliche andere Kryptowährungen sind Kopien von Bitcoin oder laufen auf der Ethereum Blockchain. Erst wenn die Begrenzungsfragen gelöst sind, werden die Kryptowährungen für eine neue Ära bereit sein.
Wie sehen Sie die Schweiz positioniert?
Die Schweiz hat die Infrastruktur, die Mentalität und die Personen um Blockchain-Lösungen gut in die Praxis umsetzen zu können. Regulierung auf Augenhöhe und staatliche Unterstützung des Themas insgesamt, ermöglichen es Start-ups, sich auf ihr Business zu fokussieren, anstatt sich um die Zukunft sorgen zu müssen. Ein wichtiger Punkt: Die Schweiz besitzt beim Thema Crypto die Glaubwürdigkeit, die grossen Ländern fehlt. Falls die USA oder China dezentrale Anwendungen erstellten, liegt der Verdacht der Leute nahe, es handelt sich um digitale Hintertüren der Geheimdienste. Die Schweiz hat in dieser Hinsicht ein Image, solchen Kompromissen widerstehen zu können.
Vielen Dank!
VITA
Casper van der Elst ist Blockchain-Experte, Certified Bitcoin Professional und Lehrgangsleiter Crypto-Währungen an der SBS Swiss Business School. Des weiteren koordiniert er die Private Equity Aktivitäten bei einer Privatbank in Zürich. Zuvor war Caspar van der Elst als Operations Officer bei einem Hedge-Fonds tätig. Er hält einen Bachlor der Technische Hogeschool Rijswijk in Technology Management sowie einen MBA in International Management der Swiss Business School. Der gebürtige Niederländer lebt mit der Familie im Grossraum Zürich.