«Brent – als internationale Benchmark für den Ölpreis − wird dadurch auf 75 US-Dollar/Barrel steigen.»
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Serge Nussbaumer, Chefredaktor
Nitesh Shah, Research Director bei Wisdom Tree, nimmt Stellung zu den Aussichten am Rohstoffmarkt für das Jahr 2019, den politischen Einflüssen und dazu welches Industriemetall seiner Ansicht nach das grösste Potenzial hat.
Mister Shah, wie lautet Ihre Einschätzung für die Rohölpreise (Brent and WTI) für das Jahr 2019?
Die globalen Ölmärkte ziehen etwas an, da die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC) eine Politik der Produktionskürzung um 1.2 Millionen Barrel gegenüber dem Stand vom Oktober 2018 beschlossen hat. Die tatsächliche Kürzung dürfte sogar noch strenger ausfallen. Saudi-Arabien, das grösste OPEC-Mitglied, hat öffentlich erklärt, dass es alleine eine Million Barrel pro Tag reduzieren wird (obwohl es sich formell nur verpflichtet hat, 322’000 Barrel zu reduzieren). Darüber hinaus dürften die OPEC-Mitglieder, die von der Quote ausgenommen sind − nämlich Iran, Venezuela und Libyen − Produktionsrückgänge aufgrund von Sanktionen und Produktionsstörungen verzeichnen und damit zusätzlich zur Verknappung beitragen. Brent − als internationale Benchmark für den Ölpreis − wird dadurch auf 75 US-Dollar/Barrel steigen. Die Produktion in den USA expandiert jedoch weiter, und so wird WTI bis in die letzten Monate dieses Jahres 10 US-Dollar/Barrel unter Brent bleiben. Ab diesem Zeitpunkt werden sich die beiden Benchmarks dann annähnern, das heisst, Brent wird sinken und WTI steigen.
Was sind die Gründe für den Preis-unterschied zwischen Brent und WTI?
Obwohl die globalen Ölmärkte angespannt sind, handelt WTI mit einem Abschlag gegenüber Brent, was anzeigt, dass die Arbitrage-Möglichkeiten begrenzt sind. Das Überangebot aus der US-Produktion kann nicht vollständig beziehungsweise nicht ohne Zusatzkosten exportiert werden. Die Exporte aus den USA stossen wegen der aktuellen Infrastruktur an ihre Grenzen. Eine der Einschränkungen bei der Ausfuhr an der US-Südküste im Golf von Mexiko besteht beispielsweise darin, dass die Wassertiefe in den meisten dortigen Häfen nur für Schiffe mit einer Transportkapazität von maximal 1 Million Barrel ausreicht. Diese kleineren Schiffe führen das US-Öl in tiefere Gewässer, wo die Ladung in grössere Frachter umgepumpt wird, die üblicherweise für den weltweiten Öltransport eingesetzt werden. Das ist zeitaufwendig und kostspielig und hat den 10-US-Dol-lar-Keil zwischen die beiden Öl-Benchmarks getrieben. Sobald die USA mehr Infrastruktur aufbauen, wird der Preisunterschied sinken. Einige Infrastrukturprojekte in den USA zur Erhöhung der Exportkapazität werden Ende dieses Jahres umgesetzt sein, weitere in den Jahren 2020 bis 2022.
Wann erwarten Sie, dass wir Peak Oil erreichen werden?
Die Vorhersage von Peak Oil ist mit vielen Schwierigkeiten behaftet. Vor einem Jahrzehnt dachten viele Analysten, wir stünden kurz vor dem Höhepunkt des Ölfördervolumens. Das Fracking in den USA brachte dann positive Überraschungen und setzte solch pessimistischen Szenarien ein Ende.
Im Prinzip hängt eine Versorgungsspitze von der Verknappung einer endlichen Ressource ab. Die nachgewiesenen Reserven in Ländern wie Venezuela und Saudi-Arabien sind aber nach wie vor gross. Ein Indikator dafür, wie viele Produktionsjahre wir noch vor uns haben, wenn wir weiterhin mit der aktuellen Rate produzieren, ist das «Global Reserves to Production Ratio». Laut BP Statistics liegt diese Quote heute bei etwa 50. Das sagt uns natürlich nicht, zu welchem Zeitpunkt die Produktion ihren Höhepunkt erreichen wird, da das Tempo der Ölförderung wahrscheinlich von der Preisdynamik bestimmt wird. Wenn beispielsweise die Preise kurzfristig steigen, könnte dies Anreize für eine frühere höhere Förderung schaffen, was zu einer früheren Förderungsspitze führen könnte. Eine zusätzliche Komplikation ist das Tempo, mit dem die Nachfrage vom Öl zu anderen Energiequellen abwandert. deswegen ist es sehr schwierig zu sagen, wann wir Peak Oil erreichen werden.
«Die Vorhersage von Peak Oil ist mit vielen Schwierigkeiten behaftet.»
Rohstoffe – vor allem Energie und Industriemetalle – zeigen deutliche Anzeichen für einen erneuten Aufwärtstrend. Was sind die Gründe und wird der Trend in den kommenden Monaten andauern?
Die Rohstoffe als Gruppe stiegen im vergangenen Monat um 1.3%, angeführt von Industriemetallen (4.2%) und Energie (3.8%). Diese beiden konjunkturgetriebenen Sektoren haben am meisten von den Anzeichen profitiert, dass sich die USA und China einem Handelsabkommen nähern, was die Bedenken über einen Rückgang der Nachfrage zerstreuen würde. Dass sich der eigentliche Deal zwischen den Ländern wahrscheinlich um mehrere Monate verzögern wird, sollte kein Grund zur Sorge sein, es sei denn, die Gefahr steigt, dass der Deal scheitert. Die Fundamentaldaten für die beiden Teilsektoren bleiben gut.
Im Energiesektor dürfte Öl weiterhin von der Verknappung des OPEC-Angebots profitieren. Das Kartell hat seine April-Sitzung abgesagt und damit die derzeitige Politik der Produktionskürzung bis mindestens Juni 2019 verlängert. Die Verschiebung des Treffens wird der Gruppe auch die Möglichkeit geben, die Auswirkungen der Sanktionen auf Venezuela und den Iran sowie mögliche Ausnahmeregelungen für Verbraucher von iranischem Öl zu bewerten.
Die meisten Basismetalle befinden sich in einem Angebotsdefizit, d.h. das Minenangebot hält nicht Schritt mit der Nachfrage. Die Bestände der London Metal Exchange für Zink, Kupfer und Nickel sind sehr knapp. Das zeigt, dass die Versorgungsdefizite bei diesen Metallen durch den Abbau von Lagerbeständen ausgeglichen werden.
Welches Industriemetall hat in den kommenden Monaten das grösste Potenzial und weshalb?
Nickel. Die Versorgungslage ist am knappsten und die Lagerbestände werden schnell abgebaut. Aus struktureller Sicht wird die Nachfrage nach dem Metall aufgrund des zunehmenden Bedarfs an Batterien für Elektrofahrzeuge voraussichtlich steigen. Nicht nur der Absatz von Elektrofahrzeugen steigt rasant, auch die Entwicklung der Batterietechnik begünstigt eine höhere Nickelnachfrage. Das ist eine mehrjährige Geschichte, die sich auch nach den kurzfristigen zyklischen Trends fortsetzen wird.
Im Jahr 2019 hinken die Agrarrohstoffe den anderen Rohstoffsektoren hinterher. Werden sie aufholen? Wenn ja, was könnte der Auslöser sein?
Die Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe können sich bei einem Angebotsschock sehr plötzlich ändern. So kann beispielsweise ungewöhnliches Wetter die Erträge stören oder den Ernteprozess behindern. Wenn das Angebot aufgrund ungünstiger Witterungsbedingungen eingeschränkt ist, können die Preise steigen. Ebenso sind einige Wetterereignisse gut für den Anbau von Nutzpflanzen und können das Angebot erhöhen, was zu einem negativen Preisschock führt. In diesem Jahr wird das Wetterphänomen El Niño erwartet. Im Moment sieht es zwar so aus, als ob es ein schwaches Ereignis sein wird. Aber wenn es sich verschärft, könnten wir Auswirkungen auf verschiedene Agrarkulturen sehen.
Welcher landwirtschaftliche Rohstoff würde im Falle von El Niño preislich am stärksten positiv oder negativ reagieren?
Weizen, Kakao und Zucker dürften sich preislich positiv verändern, wenn sich der El Niño intensiviert. Soja, Mais und Kaffee hingegen dürften sich bei einer Intensivierung des El Niño preislich negativ verändern.
Herzlichen Dank!
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VITA
Nitesh Shah ist seit April 2018 Director im Research Team von WisdomTree. Zuvor war er Commodities Strategist bei ETF Securities bis zur Übernahme durch WisdomTree. Insgesamt ist Nitesh Shah seit
16 Jahren als Ökonom und Stratege tätig. Seine Erfahrung deckt ein breites Spektrum an Märkten und Anlageklassen ab. Vor seinem Eintritt bei ETF Securities war Nitesh Shah als Ökonom für europäische strukturierte Finanzmärkte bei Moody’s Investor Service sowie Mitglied des globalen Makroökonomie-Teams. Davor war er als Wirtschaftswissenschaftler beim Pension Protection Fund und als Aktienstratege bei Decision Economics aktiv. Begonnen hat er seine Karriere bei der HSBS Investment Bank.