Brent: Ziemlich abgeschmiert
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Wolfgang Hagl
Redaktor
Die Angst vor einem wachsenden Angebot und einer schwächelnden Nachfrage aus China lastet auf dem Ölpreis. Gleichwohl ist bei Brent ein Rebound nicht unwahrscheinlich.
«Die globale Ölnachfrage bleibt widerstandsfähig» – diese Feststellung machten Ende August die Rohstoffanalysten von J.P. Morgan. Laut den Berechnungen der US-Bank wurden weltweit im vergangenen Monat pro Tag im Schnitt 104.7 Mio. Barrel des wichtigsten Energieträgers verbraucht. Das waren 1.4 Mio. Fass mehr als im August 2023. Gleichzeitig lag die Nachfrage um 250’000 Barrel über den Schätzungen von J.P. Morgan. Die Experten führen den wachsenden Verbrauch auf die Sommerreisezeit in den USA, Europa und China zurück.
Folgerichtig sind die weltweiten Öllager in den ersten vier Augustwochen um 2.5 Mio. Barrel pro Tag geschrumpft. Die Abnahme ging um 1 Mio. Fass über die Projektionen von J.P. Morgan hinaus. Angesichts dieser Zahlen, der angespannten Lage im Nahen Osten sowie der Aussicht auf die US-Zinswende wirkt die jüngste Preisentwicklung am Ölmarkt nicht plausibel. Am gestrigen Dienstag ist der nächstfällige Terminkontrakt auf Brent um rund 5% auf das tiefste Niveau seit Mitte Dezember 2023 gefallen. Noch im Frühjahr hatte es ganz danach ausgesehen, als könnte der Energieträger die Marke von USD 100 ins Visier nehmen. Jetzt steuert Brent auf das USD 70-Niveau zu und kommt damit einer wichtigen Unterstützung gefährlich nahe – dazu später mehr.
Schwierige Gemengelage
Als ein Auslöser der Preisschwäche gilt die Entwicklung in Libyen. Bei dem OPEC-Mitglied stockt die Ölproduktion. Nach Angaben von National Oil Corp (NOC) förderte das afrikanische Land am 28. August weniger als 600’000 Barrel zu Tage. Am 20. Juli lag die Produktion noch bei knapp 1.3 Millionen Fass täglich. Am Montag musste der libysche Energiekonzern für ein weiteres Ölfeld «Force Majeure» erklären. Die Schliessung von Anlagen auf Grund höherer Gewalt geht auf den Zank rivalisierender politischer Lager um die Kontrolle der Zentralbank sowie die Öleinnahmen zurück. Und genau hier soll es laut einer Bloomberg-Meldung jetzt Fortschritte gegeben haben. Demnach würden die Streitparteien kurz vor einem Kompromiss stehen. Die Aussicht auf höhere Liefermengen aus Libyen kam an den vergangenen Tagen mit Zweifeln am Bedarf Chinas zusammen. Im Reich der Mitte war der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe schwächer ausgefallen als erwartet. Ausserdem meldete Peking für Juli den erstmaligen Rückgang der Auslandsaufträge seit acht Monaten.
Entscheidenden Einfluss auf die Ölpreise nehmen die OPEC+. Diese aus Mitgliedern der OPEC und weiteren Förderländern – allen voran Russland – bestehende Gruppe würde gerne mehr Öl verkaufen. Nur noch bis Ende September werden pro Tag freiwillig 2.2 Mio. Barrel zurückgehalten. Danach sollen die seKürzungen innert eines Jahres Monat für Monat zurückgenommen werden. Rein rechnerisch könnten dadurch ab dem 1. Oktober täglich rund 180’000 Fass Öl zusätzlich zur Verfügung stehen. Unbestätigten Meldungen zufolge wird dieser Plan von den acht beteiligten Ländern weiterhin verfolgt. Gleichwohl muss sich zeigen, ob es tatsächlich dabei bleibt respektive welchen Preis die OPEC+ für die zusätzlichen Mengen akzeptieren. In gewisser Weise kommt die aktuelle Entwicklung also einer Art «Machtprobe» zwischen den Märkten und dem Kartell gleich – der Ausgang ist offen.
Anlageidee
Schon jetzt steht Brent vor einer charttechnischen Härteprüfung. Durch die jüngsten Verluste hat sich der Future dem horizontalen Widerstand im Bereich von USD 70/72 angenähert. Die Wurzeln dieses Supports reichen weit zurück. Seit Jahren kommen in diesem Areal Hoch- und Tiefpunkte zusammen. Im ersten Semester 2023 drehte Brent an der Unterstützung genauso nach oben, wie zum Ende des vergangenen Jahres. Es ist also nicht unvernünftig, gegen den kurzfristigen Trend auf eine «Duplizität der Ereignisse» zu setzen. Aus fundamentaler Sicht sprechen neben einem möglichen Umdenken bei den OPEC+ die robusten Nachfragedaten und die angespannte Geopolitik für eine Rebound. Realisieren lässt sich diese ziemlich gewagte Tradingidee mit dem Mini-Future Long (Valor 128545857). An steigenden Notierungen bei Brent partizipiert das Produkt mit einem Hebel von aktuell 7.3. Die Stopschwelle wird von Société Générale bei USD 65.07 fixiert. Der Abstand von mehr als einem Zehntel zum Ölpreis darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass überproportionale Verluste drohen, falls Brent weiter unter Druck steht oder gar nach unten ausbricht.