Comeback der Anleihen?
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Marktausblick zur Jahresmitte 2023 – Zweites Thema
Der starke Anstieg der Anleiherenditen seit Anfang 2022 hat das Renditepotenzial in vielen Anleihesektoren verbessert. Eine aggressive Umschichtung des Portfolios in längerfristige Anleihen erscheint jedoch noch verfrüht.
„Wer pauschal von einem ‚Comeback der Anleihen’ spricht, ist ein wenig zu optimistisch“, sagt Husain. „Einige Rentenmärkte konnten bereits ein Comeback machen. Bei anderen könnte das in naher Zukunft der Fall sein. Aber ich denke, es ist zu pauschal, einfach zu sagen: ‚Kaufen Sie jetzt Anleihen‘.“
Die Renditen der meisten Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmensanleihen sind real (nach Inflation) immer noch nicht positiv,
stellt Husain fest. Und da die Renditekurve der US-Staatsanleihen Ende Mai kurz vor einer Rekord-Inversion stand (Abbildung 4), könnten Anleger, die Geldmarktbestände gegen längerfristige Anleihen eintauschen, einen hohen Renditeabschlag zahlen.
Invertierte Renditekurve macht den Kauf von Anleihen mit längeren Laufzeiten teuer
(Abb. 4) Renditekurve der Staatsanleihen (10 Jahre minus 3 Monate konstante Fälligkeit)
Negative Renditekurven machen es teuer, die Duration zu verlängern2 – insbesondere für Anleger, die kurzfristiges Geld aufnehmen, um ihre Long-Positionen in Anleihen zu finanzieren, stellt Husain fest. „Am Ende opfert man täglich Ertrag“.
Unter diesen Bedingungen kommt eine aggressive Verlängerung der Laufzeiten am Rentenmarkt der Vereinigten Staaten einer Wette auf eine bevorstehende Rezession gleich, argumentiert Husain. „Man hört: ‚Ich denke, die Fed wird die Zinsen bald senken, und zwar wahrscheinlich sehr schnell.’ Ich bin mir nicht sicher, ob wir das sagen können, zumindest jetzt noch nicht.“
Page ist jedoch der Meinung, dass eine bescheidene Verlängerung der Duration für Anleger, die sich gegen genau dieses Szenario – das plötzliche Eintreten einer Rezession in den USA, gefolgt von raschen Zinssenkungen der Fed – absichern wollen, sinnvoll sein könnte.
Der Anlageallokationsausschuss von T. Rowe Price, so Page, hat die Duration in seinen Multi-Asset-Portfolios leicht verlängert – zum einen, um sich vor einem Wachstumsschock zu schützen, und zum anderen, um die Erträge potenziell zu steigern, falls die Renditen stark sinken. „Wenn man unsere taktischen Positionen betrachtet, sind wir defensiv und offensiv gleichzeitig.“
High Yield im Fokus
Der Anstieg der Renditen hat nach Ansicht von Husain möglicherweise zu interessanteren Gelegenheiten bei Unternehmensanleihen geführt. Renditen im Bereich von 8-10% und Kreditspreads nahe ihrem 10-Jahres-Durchschnitt (Abbildung 5) machen den globalen Hochzinsmarkt in jedem Szenario attraktiv, das nicht auf eine tiefe, globale Rezession hinausläuft, meint er.
In den Unternehmensanleihesektoren weltweit bieten sich Chancen
(Abb. 5) Investment‑Grade- und High Yield-Spreads, in Basispunkten
Ein langsameres Wirtschaftswachstum und höhere Zinssätze dürften die Ausfallraten während des restlichen Jahres 2023 und im Jahr 2024 schrittweise ansteigen lassen, so Husain. Da die Bilanzen der Unternehmen im Durchschnitt aber immer noch einen geringen Verschuldungsgrad und eine ausreichende Schuldendienstdeckung aufweisen, scheinen die Ausfallrisiken moderat zu sein, meint er.
Page fügt hinzu, dass die Analysten von T. Rowe Price Ende Mai auf der Grundlage ihrer Kreditanalysen eine Ausfallrate für US-Hochzinsanleihen von etwa 3% in den nächsten 12 Monaten prognostizierten, was in etwa dem längerfristigen historischen Durchschnitt entspreche.
„Wir gehen nicht davon aus, dass die Ausfallraten auch nur annähernd den zusätzlichen Renditeaufschlag zunichte machen werden, den man bei Hochzinsanleihen im Vergleich zu Investment-Grade-Anleihen erzielen kann“, sagt Husain.
Bottom-up-Research und eine geschickte Wertpapierauswahl dürften für das Management des Ausfallrisikos entscheidend sein, mahnt Page. „Erfahrene aktive Manager wissen zwischen gesunden und echten Schrottbilanzen zu unterscheiden.“ Auf diese Weise können Anleger seiner Meinung nach „Zombies“ vermeiden – Unternehmen, die technisch gesehen noch im Geschäft sind, aber mit ziemlicher Sicherheit auf den Konkurs zusteuern.
Globale Perspektive
Für Anleger in Märkten mit invertierten Renditekurven (wie in den USA) können andere Rentenmärkte weltweit eine interessante Diversifizierung und potenzielle Renditechancen bieten, so Husain. „Ich sehe in der Welt einige Märkte, die tatsächlich sehr steile, positive Renditekurven aufweisen“, stellt er fest. „Die Anleger werden also gewissermaßen dafür bezahlt, dass sie sie halten.“
Einige Zentralbanken, insbesondere in den Schwellenländern, könnten kurz davor stehen, die Leitzinsen zu senken, fügt Husain hinzu, was in diesen Märkten ein Potenzial für Kapitalzuwächse schaffen könnte. Allerdings seien die Märkte für Schwellenländeranleihen nur auf einer sehr selektiven Basis attraktiv.
Globale Investoren müssen auch einige „schwarze Schwäne“ im Auge behalten – potenziell folgenschwere Ereignisse, deren Wahrscheinlichkeit schwer abzuschätzen ist, warnt Husain. Eine Schlüsselrolle spiele hier die Möglichkeit einer Änderung der Geldpolitik durch die BoJ.
Japans Version der quantitativen Lockerung, so Husain, beinhaltet die Begrenzung der Renditen für japanische Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten. Die BoJ behält diese Kontrollen bei, obwohl die Fed und andere große Zentralbanken zu einer Straffung der Geldpolitik übergegangen sind. „Ich würde Japan als einen letzten Anker der quantitativen Lockerung bezeichnen.“
Dieser Anker könnte jedoch bald weichen, was erhebliche Auswirkungen auf andere Rentenmärkte weltweit haben könnte.
Japanische Investoren, so Husain, kontrollieren den weltweit größten Pool an Finanzvermögen. Ein großer Teil dieses Vermögens ist jedoch außerhalb Japans angelegt – zum Teil ein Erbe der jahrelangen vernachlässigbaren Renditen auf japanische Anleihen. Sollte die BoJ jedoch einen Anstieg der Renditen zulassen, könnten die japanischen Anleger beginnen, ihr Vermögen in ihr Heimatland zurückzuholen, was einen erheblichen Schock für die Märkte außerhalb Japans bedeuten würde.
„Die japanische Geldpolitik könnte zu schweren Erschütterungen des weltweiten Fnanzsystems führen,“ warnt Husain. „Ich weiß, dass sich die BoJ der Auswirkungen bewusst ist, die sie auf die Märkte weltweit haben könnte, aber meiner Meinung nach ist dies eine reale, gegenwärtige Gefahr. Ich denke, das ist etwas, das wir als Investoren auf jeden Fall im Auge behalten sollten.“
Die Bedrohung durch ein breiteres systemisches Marktereignis – vielleicht ausgelös durch eine Liquiditätsverknappung in den USA – ist ein weiteres potenziell dramatisches, aber schwer zu bezifferndes Risiko, so Husain.
Abgesehen vom jüngsten Ansturm von Einlegern auf mehrere US-Regionalbanken ist das globale Bankensystem nicht der wahrscheinlichste Kandidat für ein solches Ereignis, meint Husain. Ein schwacher US-Gewerbeimmobiliensektor stellt ebenfalls ein Risiko dar, aber es ist unwahrscheinlich, dass die Kreditvergabe der Banken in diesem Sektor das Epizentrum der nächsten Krise sein wird, fügt er hinzu.
„Der Plan der Behörden für eine Bankenkrise ist so gut wie fertig“, meint Husain. „Sie wissen damit umzugehen.“
Ein wahrscheinlicherer Schauplatz, so Husain, ist das so genannte Schattenbanksystem – Kreditgeber, die weniger reguliert, weniger liquide und undurchsichtiger sind als Geschäftsbanken. Viele dieser Kreditgeber und die komplexen Finanzinstrumente, die sie geschaffen haben, haben noch keinen vollständigen Konjunkturzyklus überstanden, stellt Husain fest. „Wenn wir nach potenziellen Krisenherden suchen, denke ich, dass wir sie dort finden könnten.“
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2 Die Duration ist ein Maß für das Zinsrisiko bei festverzinslichen Wertpapieren. Im Allgemeinen haben Anleihen mit längeren Laufzeiten auch eine längere Duration.