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Corona ist Trendverstärker für nachhaltige Anlagen

24.08.2020 7 Min.
  • Alexander Schindler, Vorstandsmitglied

Die intensive Nachhaltigkeitsdebatte der vergangenen Jahre sowie die zunehmende ESG-Regulatorik haben Spuren in den Portfolios der Investoren hinterlassen. Nur wenige Grossinvestoren verzichten heute noch auf nachhaltige Anlagestrategien. Ein Trend, der durch die Coronakrise noch verstärkt wird.

Seit Jahren befragt Union Investment institutionelle Anleger in Deutschland nach ihrer Haltung zur nachhaltigen Kapitalanlage. Die aktuelle, im Frühjahr dieses Jahres durchgeführte Befragung überraschte mit einem Rekordwert: 80 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, ESG-Kriterien bei der Kapitalanlage zu berücksichtigen. Noch vor fünf Jahren hatten sich lediglich 60 Prozent der deutschen Grossanleger in diesem Sinne geäussert, und im vergangenen Jahr lag der Anteil bei 72 Prozent. Diese Zahlen bestätigen, dass Nachhaltigkeit zu einer wichtigen Dimension in der Kapitalanlage geworden ist. Der Befragung zufolge geht die grosse Mehrheit der Investoren hierzulande davon aus, dass die Bedeutung nachhaltiger Anlagestrategien künftig weiter zunehmen wird.

Das war nicht immer so. Über eine lange Zeit hinweg war das Engagement der Investoren eher halbherzig. ESG-Strategien wurden oftmals nur pro forma und nicht systematisch genutzt. Vielen galt Nachhaltigkeit als ein mediengetriebenes Modethema mit erhöhtem Aufwand und Renditerisiken. Der letzte Punkt konnte inzwischen eindeutig entkräftet werden. Zahlreiche Studien belegen, dass der Einsatz nachhaltiger Strategien nicht mit Renditenachteilen verbunden ist. Und die Einordnung von Nachhaltigkeit als Modethema ist inzwischen einer Einschätzung gewichen, die den Einsatz von ESG-Kriterien als sinnvolle und notwendige Ergänzung des klassischen Risikomanagements betrachtet – und als zusätzliches Instrument, um innovative Wachstumsunternehmen zu identifizieren. Die Coronakrise könnte der weiteren Verbreitung nachhaltiger Kapitalanlagen nun eine zusätzliche Dynamik verleihen, denn nicht selten haben sich Krisen in der Vergangenheit als Katalysator erwiesen. Sollte sich zeigen, dass das Risiko-Rendite-Profil nachhaltig gemanagter Portfolios in der Krise dem von traditionellen Portfolios überlegen war, könnte das noch mehr Investoren vom Nutzen nachhaltiger Investmentstrategien überzeugen.

Resilienz in der Krise

Schon in früheren Abschwungphasen konnte exemplarisch gezeigt werden, dass sich Aktien nachhaltig agierender Unternehmen besser entwickelten als der breite Markt. Nun aber stellt sich die Frage, ob ESG-Ansätze auch in der Coronakrise resilienter waren. Im Wissen darum, dass es noch zu früh ist, die Robustheit der Strategien abschliessend zu beurteilen, haben sich im Mai Spezialisten von Union Investment dieser Frage angenommen. Als Anlageuniversum wurde der MSCI World gewählt. Mit seiner internationalen Ausrichtung und einer breiten Sektorenzusammensetzung eignet er sich als verlässlicher Indikator für den globalen Aktienmarkt. In einem nächsten Schritt erfolgte die Sortierung aller Unternehmen nach ihrem ESG-Score. Im Rahmen einer stark vereinfachten Investmentstrategie wurden die besten 20 Prozent der Aktien gekauft (Long-Position) und die am schlechtesten bewerteten 20 Prozent der Titel gleichzeitig verkauft (Short-Position). Der gewählte Long/Short-Ansatz mag auf den ersten Blick nicht der einfachste sein. Er lieferte aber eine robuste Antwort auf die Fragen nach der Performance von ESG-Strategien und der Selektionskraft von ESG-Scores in der Coronakrise. Im Gegensatz zu einem weniger komplexen Vergleich zweier Aktienindizes oder Portfolios liessen sich so Nebeneffekte reduzieren, die nicht zwingend ein Indiz für die Wirkung eines Nachhaltigkeitsansatzes sind.

Die Ergebnisse in Kürze: Während die mit einem schwächeren ESG-Score bewerteten Unternehmen in der Seitwärtsbewegung der Märkte zu Jahresbeginn noch gleichauf mit den Top-ESG-Titeln lagen, verloren sie im Abschwung ab Ende Februar. Zeitweise betrug der Vorsprung der Nachhaltigkeitsperformer über fünf Prozentpunkte. Obwohl auch Aktien mit guter ESG-Bewertung in der Krise Federn lassen mussten, liessen sich hier die Kursverluste in der aktuellen Krise zumindest abfedern. Das kombinierte Long/Short-Portfolio profitierte zudem gleich doppelt. Zum einen, weil die Top-Titel weniger verloren als ihre Pendants mit schwächerer ESG-Bewertung. Zum anderen, weil die fallenden Kurse der Nachhaltigkeitsverlierer auf der Short-Seite zur Performance beitrugen. Die Analyse zeigt, dass mit Hilfe einer ESG-Strategie selbst in der ersten, besonders schweren Phase der Coronakrise bessere Ergebnisse zu erzielen waren. Weitere aktuelle Untersuchungen, etwa des Analysehauses Scope oder von Refinitiv Eikon, scheinen die höhere Widerstandsfähigkeit von Unternehmen mit ESG-Ausrichtung ebenfalls zu bestätigen.

Nachhaltiger Umbau der Wirtschaft

Auch in anderer Hinsicht wird die Coronakrise die Verbreitung der nachhaltigen Kapitalanlage wohl vorantreiben. Denn in dramatischer Weise hat das Virus der Welt die Verletzlichkeit von Wirtschaft und Gesellschaft vor Augen geführt. Ausserdem haben die massiven wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns gezeigt, dass ein Zurückfahren der Wirtschaft zwar ökologisch temporär Vorteile bringen mag, aber aufgrund der damit einhergehenden sozialen Verwerfungen keine Alternative ist. Wir sind auf Wachstum angewiesen, brauchen aber eine qualitative Veränderung von Wachstum. Der bereits angestossene nachhaltige Umbau der Wirtschaft bekommt vor diesem Hintergrund eine zusätzliche Dringlichkeit. Im Gegensatz zu früheren Krisenphasen ist zudem den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft diesmal bewusst, dass eine nachhaltige Transformation nicht auf die lange Bank geschoben werden kann. Das zeigt sich auch daran, dass die in Europa und auf nationaler Ebene beschlossenen oder angedachten Massnahmen der Corona-Konjunkturprogramme explizit mit dem Aufbau einer nachhaltigeren Wirtschaft verknüpft worden sind.

Der Finanzwirtschaft und damit auch den Investoren kommt bei der Transformation eine besondere Rolle zu. Ohne die Bereitstellung privaten Kapitals und der damit verbundene Umlenkung von Finanzströmen kann ein nachhaltiger Umbau nicht gelingen. Vor diesem Hintergrund werden institutionelle Investoren künftig stärker in die Pflicht genommen. Natürlich können sie nicht zu bestimmten Investitionen gezwungen werden. Allerdings steigt der Druck, über veränderte Transparenzpflichten vermehrt Auskunft über die ESG-Relevanz ihrer Investments zu geben. Die sich verändernden regulatorischen Bedingungen sind daher für Investoren der wichtigste Faktor, sich künftig mehr mit Fragen der nachhaltigen Kapitalanlage zu befassen. In der eingangs angesprochenen Studie äusserten sich 70 Prozent der Befragten entsprechend. Das ist nicht verwunderlich, zumal auch auf der Privatkundenseite neue Nachhaltigkeitsanforderungen gestellt werden. So sollen Bankberater zukünftig verpflichtet werden, ihre Kunden nach deren Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen.

Auch die potentiellen Auswirkungen des nachhaltigen Umbaus auf die eigenen Portfolios werden von den Investoren als handlungsleitend angesehen. Sie sind sich einig, dass die Transformation die Karten an den Kapitalmärkten neu mischen und sowohl Anlagechancen als auch Anlagerisiken mit sich bringen wird. Dies gilt besonders mit Blick auf die Massnahmen zur Reduktion der Erderwärmung. 92 Prozent der Investoren sind überzeugt, dass die damit verbundenen Risiken noch nicht angemessen bepreist sind. Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis gelangte Ende vergangenen Jahres auch die globale Investoreninitiative PRI (Principles for Responsible Investment) in einer Studie über die Auswirkungen der Klimapolitik auf die Kapitalanlage. Die Untersuchung ermittelte, dass die im MSCI ACWI Index enthaltenen Unternehmen bis 2025 insgesamt Bewertungsabschläge von 3,1 bis 4,5 Prozent hinnehmen müssen. Das entspricht einem Volumen von 1,6 bis 2,3 Billionen US-Dollar. Ähnliches, so die Studienautoren damals, gelte für bis zu einem Drittel der im FTSE 100 enthaltenen Titel.

Die Coronakrise wird sich nicht als „Game Changer“, voraussichtlich jedoch als Beschleuniger des nachhaltigen Umbaus der Wirtschaft erweisen. Zwar sind die CO2-Emissionen durch die Pandemie kurzfristig stark gesunken. Gleichzeitig ist das öffentliche Interesse am Klimawandel geringer geworden, denn die Pandemiebekämpfung zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Diese Entwicklung ist allerdings nur temporärer Natur. Der Klimawandel wird schon bald wieder ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken, und der Strukturbruch durch die Coronakrise wird genutzt werden, um nicht nachhaltige Wirtschaftsmodelle und Gewohnheiten umzustellen. Als Investor darauf zu spekulieren, dass die angestossenen Massnahmen zur Transformation durch die Pandemie an Relevanz verlieren, ist leichtsinnig. Die Coronakrise wird den Wandel nicht aufhalten.

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