Zurück
payoff Interviews

Dabei bleibt in einem durch Volatilität geprägten Markt­umfeld Fingerspitzengefühl gefragt.

06.01.2023 8 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

«Dabei bleibt in einem durch Volatilität geprägten Markt­
umfeld Fingerspitzengefühl gefragt.»

Frau Petersen, das Jahr 2022 dürfte Anlegern nicht in bester Erinnerung bleiben, welche Erwartungen haben Sie für 2023?
Auch im Jahr 2023 werden Investoren alte «Denkmuster» auf den Prüfstand stellen müssen. Dazu gehört erstens die Annahme, dass die Notenbanken zur Hilfe eilen, sobald die Konjunktur schwächelt. Zweitens der Glau- be, dass ein wirtschaftlicher Abschwung das Inflationsproblem beseitigt. Und drittens die Hypothese, dass Staatsanleihen hoher Bonität ein Portfoliogegengewicht in unsicheren Zeiten darstellen. Die vorerst fortgesetzte Straffung der Geldpolitik im Kampf gegen aufwärtsgerichtete Inflationsrisiken und Enttäuschungspotenzial bei den Unternehmensgewinnen, dem fundamentalen Rückgrat der Börsen, lassen einen volatilen Start in das neue Jahr vermuten. Dennoch dürften sich im Laufe des Jahres selektive Chancen bei Risikoaktiva ergeben.

Werden die Notenbanken, allen voran das Fed, mit ihrer Geldpolitik die Inflation wieder in den Griff bekommen oder sind sie diesbezüglich skeptisch?
Mit einem zügigen Rückgang der Teuerung auf Vorpandemieniveaus ist nicht zu rechnen, selbst wenn die Gesamtinflationsraten auf absehbare Zeit auch in Europa gipfeln. Das Thema Inflation wird nicht gänzlich verschwinden, solange Produktionshemmnisse, etwa Lieferschwierigkeiten und Angebotsknappheiten bei Material und Arbeitskräften fortwirken. Sei es im Zusammenhang mit der Pandemie, geopolitischen Spannungen, der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, der Neuverkabelung der Welt oder grünen Transformation der Wirtschaft. Diese Inflationstreiber liegen wohlgemerkt nicht innerhalb des direkten Einflussbereichs der Geldpolitik. Nicht eine überhitzende Nachfrageseite, etwa Konsum und Investitionen, welche die Zentralbanken steuern können, befeuert die Inflation, sondern eine verknappte Angebotsseite. Ein Unterschied zu den vergangenen Jahrzehnten der «grossen Mäßigung». Wir bleiben bei der Einschätzung, dass die Notenbanken letztlich den Zielkonflikt zwischen Wachstum und Inflation anerkennen und ein gewisses Mass an Inflation akzeptieren werden.

Rechnen Sie mit Zinssenkungen der US-Notenbank im kommenden Jahr?
Der hartnäckige unterliegende Inflationsdruck beschränkt die Fed in ihren Möglichkeiten zu Leitzinssenkungen. So deutet die schrumpfende US-amerikanische Erwerbsbevölkerung auf ein anhaltendes Lohnwachstum hin. Anders als von vielen Marktteilnehmern erwartet, dürfte sich 2023 als das Jahr der zinspolitischen Verschnaufpause entpuppen, nicht jedoch der Leitzinssenkungen.

Im abgelaufenen Jahr gab es starke Kursrückgänge bei wichtigen Währungen insbesondere zum USD (bspw. Yen, EUR). Wie sehen Ihre Wechselkursprognosen für das Jahr 2023 aus?
Die Schwäche vieler Hauptwährungen im vergangenen Jahr – darunter der Euro und der japanische Yen – war nicht zuletzt Ausdruck der Stärke des US-Dollars. Handelsgewichtet, sprich gegenüber einem breiten Korb von Währungen, hat der Greenback im Jahr 2022 um rund 81⁄2 Prozent aufgewertet. Insbesondere zwei Treiber haben die Dollarstärke begünstigt: erstens die in Umfang und Geschwindigkeit schärfste Zinswende der Fed seit vier Dekaden; zweitens die traditionelle Rolle des Dollar als «sicherer Hafen» in der von starker Unsicherheit geprägten Zeit. Die Europäische Zentralbank, im internationalen Vergleich bis zum Sommer 2022 zögerlich agierend, zeigt sich inzwischen umso entschlossener im Kampf gegen die Inflation. Für sich genommen sprechen die sich einengenden Zinsdifferenzen zwischen den Währungsräumen für einen wieder festeren Euro im Jahr 2023. Die Bank of Japan wiederum hat mit der Verbreiterung des Zielkorridors für Anleiherenditen einen ersten Schritt in Richtung restriktiverer Geldpolitik unternommen.

Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Kursentwicklung der Edelmetalle (Gold und Silber) im kommenden Jahr?
Edelmetalle bewegen sich in einem Spannungsfeld: Die erhöhte Risikoaversion im Lichte geopolitischer Unwägbarkeiten und Rezessionssorgen und das inflationäre Umfeld wirken für sich genommen stützend. Dagegen setzt der entschlossene Straffungskurs der Zentralbanken Goldnotierungen als zinslose Anlagealternative unter Druck. Dieser Gegenwind sollte im neuen Jahr nachlassen, wenn sich ein Ende der Leitzinserhöhungen abzeichnet und die Märkte von ihren US-Zinssenkungsfantasien Abstand nehmen. Generell dürften jedoch eher Rohstoffe im Fokus stehen, die für den Umbau der Energieversorgung in Richtung kohlenstoffarme Wirtschaft benötigt werden, zum Beispiel Lithium und Kobalt, aber auch klassische Industriemetalle wie Kupfer und Stahl, die für den Aufbau der Infrastruktur bezüglich Erzeugung und Transport nachhaltiger Energieformen unerlässlich sind.

Welcher Anlagekategorie (Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Immobilien) räumen Sie in den kommenden Monaten die besten Chancen ein?
Zu Jahresbeginn bleibt taktisch eine vorsichtigere Grundhaltung bei der Allokation angebracht. Insbesondere die Aktienkurse in den USA und Europa bilden unseres Erachtens die bevorstehende Rezession und das damit einhergehende Enttäuschungspotenzial bei Unternehmensgewinnen noch nicht hinreichend ab. Erst wenn dies der Fall ist und/ oder der Risikoappetit an den Börsen spürbar ansteigt, bietet sich wieder eine konstruktivere Risikopositionierung an. Dabei bleibt in einem durch Volatilität geprägten Marktumfeld Fingerspitzengefühl gefragt. Innerhalb des Aktienspektrums kann durch Umsortierung, also etwa Bevorzugung qualitativ hochwertiger oder dividendenstarker Unternehmen und Branchen, zum Beispiel Gesundheit, Energie und Finanzen, mehr Robustheit erzeugt werden. Auch kann es sinnvoll sein, Obligationen mit hoher laufender Verzinsung, darunter Unternehmensanleihen hoher Bonität, und verstärkt auch alternative Anlageklassen zur Diversifizierung einzusetzen. Rohstoffe dürften als Beimischung auch 2023 die Diversifikation erhöhen.

Wo rechnen Sie mit positiven Überraschungen an den Finanzmärkten im Jahr 2023?
Chancen bestehen vor allem dann, wenn als Risiken wahrgenommene Veränderungen sich günstiger entwickeln als befürchtet. So könnte sich etwa das ausgeprägte Ungleichgewicht am US-amerikanischen Arbeitsmarkt zügiger auflösen oder sich pandemiebedingte Disruptionen im Welthandel merklicher entspannen als gemeinhin erwartet, einhergehend mit einem rascher nachlassenden Inflationsdruck. Aber auch die Energietransformation Europas, für die Russlands Krieg geradezu als Katalysator wirkt, könnte schneller vonstattengehen als oft vermutet. Selbstverständlich gehören auch jegliche Verbesserungen des Ukraine-Konflikts zu den Aufwärtsrisiken im Jahr 2023.

Wo orten Sie die grössten Risiken beziehungsweise wo sind die wirtschaftlichen Schäden noch zu wenig eingepreist?
Neben Unwägbarkeiten im Hinblick auf den Kurs der Geldpolitik im Jahr 2023 und dessen Implikationen, etwa auf die Finanzstabilität, bestehen ungewöhnlich schwer kalkulierbare Risiken im Bereich der Geopolitik. So könnte eine weitere Eskalation der russischen Aggression in der Ukraine die Finanzmärkte verunsichern. Auch eine dramatische Verschlechterung der Beziehungen zwischen den grössten Volkswirtschaften der Welt, den USA und China, im Extremfall in Richtung eines offenen Handelskrieges, wäre eine besorgniserregende Nachricht, übrigens nicht zuletzt für Europa.

Wie sollen sich Anleger im Obligationenmarkt positionieren?
Der Zins ist zurück. Nach dem ausgeprägten Renditeanstieg am Obligationenmarkt im letzten Jahr sind Rentenpapiere wieder eine Konkurrenz zu Aktien. TINA, „There is no alternative“, das Kürzel für die langjährige unermüdliche Jagd nach Rendite im Negativ- bzw. Niedrigzinsumfeld, wurde inzwischen abgelöst durch geflügelte Worte wie TARA, „There is a real alternative“ oder BARB, „Bonds are back“. Dabei müssen sich Anleger im Risikospektrum für Obligationen nicht allzu weit in den oberen Bereich bewegen, um die inzwischen attraktiveren Renditen zu vereinnahmen. Also etwa nach langen Laufzeiten suchen, die das Kapital länger binden, oder nach Kreditrisiken im Zusammenhang mit dem Emittenten. Wir bevorzugen kurzlaufende Staatsanleihen und Unternehmensanleihen mit einer hohen Bonität („Investment Grade“). Dagegen könnte eine anhaltend hohe und volatile Inflation die Diversifikationseigenschaften von länger laufenden Staatsanleihen schmälern, neben der Aussicht auf eine weniger üppige Zentralbankliquidität bei hohen Staatsschuldenbergen. Solange sich der Markt kein klares Bild von den Inflationsperspektiven auf längere Sicht gemacht hat, bleiben inflationsgeschützte Obligationen eine attraktive Beimischung.

Was für Stile/Strategien sind bei Aktien für 2023 besonders aussichtsreich und in welchen Megatrends sehen Sie besonders lukrative Potentiale?
Gerade auf Sektorebene eröffnen strukturelle Veränderungen, wie beispielsweise die grüne Transformation der Wirtschaft und der demografische Wandel, Anlagechancen für Investoren. So verleiht etwa die steigende Lebenserwartung und damit einhergehenden Bedarf nach Medizintechnik und Arzneimitteln dem Gesundheitswesen Rückenwind. Den Gesundheitssektor sehen wir auch deshalb als interessant an, da er vergleichsweise attraktiv bewertet ist und in Abschwungphasen resiliente Cashflows bieten dürfte. Unter den zyklischer orientierten Sektoren bevorzugen wir auf Sicht der kommenden sechs bis zwölf Monate, Energie und Finanzen. Im Energiesektor dürften die hohen Gewinne trotz anhaltender Knappheiten bei fossilen Energieträgern zwar nicht zu halten sein. Gleichzeitig eröffnet der Übergang zur Netto-Null-Wirtschaft Chancen für alternative Energiequellen. Höhere Nettozinsmargen wiederum stützen die Rentabilität der Banken.

Vielen Dank!

——————–

Ann-Katrin Petersen, Director, verstärkt seit 2022 das BlackRock Investment Institute (BII) als Senior Investment Strategist. In ihrer Rolle trägt sie zum Thought Leadership des BII bei, ist Teil des globalen taktischen Asset Allocation-Teams und stellt die Verbindung zwischen den lokalen Märkten in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Osteuropa sowie den globalen Strategen des BII her. Frau Petersen stösst von Allianz Global Investors zu BlackRock. Die fundamentale „Top-Down“-Analyse von Kapitalmarktentwicklungen und die Unterstützung des Fondsmanagements durch Investmentideen bildeten dort seit dem Jahr 2017 den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit als Investmentstrategin im Bereich Global Economics & Strategy. Die Diplom-Volkswirtin begann ihre berufliche Laufbahn 2010 als Economist Europe in der volkswirtschaftlichen Abteilung der Allianz SE. 2014 wechselte Frau Petersen in den Bereich Global Capital Markets & Thematic Research, dem „Think Tank“ von Allianz Global Investors. Ann-Katrin Petersen absolvierte als Jahrgangsbeste ihr Volkswirtschaftsstudium an den Universitäten Bayreuth und Nottingham. Darüber hinaus hält sie einen Bachelor of Arts in „Philosophy & Economics“ und ist CFA-Charterholder. Im Jahr 2019 wurde Frau Petersen von Financial News als einer der „Rising Stars of Asset Management“ in Europa ausgezeichnet.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken