«Das Finanzsystem befindet sich in einer sehr instabilen Lage.»
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Dieter Haas
Professor Didier Sornette, Inhaber des Lehrstuhls für Enterpreneurial Risks an der ETH Zürich, über die Früherkennung von Blasen, mögliche Auslöser, den gegenwärtigen Stand der Krisensymptome, eine Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse in die Praxis und Themen für die Blasenforschung ausserhalb des Finanzsystems.
Professor Sornette, sechseinhalb Jahre nach der Finanzkrise scheint die Finanzwelt sich wieder einem Siedepunkt zu nähern. Wie hoch ist Ihrer Meinung nach das Risiko, dass die globale Finanzblase im laufenden Jahre platzt?
Wie lassen sich systemische Krisen frühzeitig erkennen?
Betrachten Sie die Grafik 1. Sie widerspiegelt die Effizienz der US-amerikanischen Verschuldung des Nicht-Finanzsektors. Anders ausgedrückt zeigen die Punkte, wie viele USD des Bruttoinlandproduktes geschaffen werden für jeden USD aufgenommener Schulden. Die schwarze Linie verbindet die Daten gemäss dem zugrunde liegenden Modell. Die graue Linie kennzeichnet die Entwicklung des von unserem Research-Team an der ETH Zürich entwickelten DS LPPL Trust Index (DS LPPL = Didier Sornette Log-Periodic Power Law). Wenn der Index die Schwelle von 5% überschreitet, ist der zugrunde liegende Prozess nicht tragfähig und es besteht ein erhebliches Risiko eines kritischen Systemwechsels. In den 50er-Jahren wäre eine Wirtschaftsleistung von rund eineinhalb Jahren nötig gewesen zur Abdeckung aller Schulden. Inzwischen hat sich dieser Betrag in weniger als drei Jahren verdoppelt. Gemäss unseren Analysen ein unhaltbarer Prozess, der unweigerlich in eine kritische Veränderung münden wird.
Was fungiert als Auslöser?
Das Financial Crisis Observatory (FCO) publiziert seit Oktober 2014 eine monatliche Übersicht des Global Bubble Status. Wo zeigen sich gegenwärtig Anzeichen einer Blasenbildung?
In den FCO Cockpit-Berichten betrachten wir 435 einjährige Zeitreihen. Aus diesen filtern wir jeweils diejenigen heraus mit Blasenwarnsignalen über die betreffende Periode. Damit erhalten wir einen breiten Marktüberblick auf einer einheitlichen Basis. Wir unterscheiden positive und negative Blasen. Im Falle einer positiven Blase beginnen Leute etwas zu kaufen, weil die Kurse steigen. Bei einer negativen Blase geschieht das Gegenteil. In beiden Fällen stehen Herdenverhalten und lokale Nachahmung am Ursprung der Prozesse. Im Bericht vom Februar stellten wir neuartige positive Blasenwarnsignale in europäischen Bondindizes fest, verursacht durch die am 22. Januar getroffene Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB), ab März Staatsanleihen zu kaufen. Des Weiteren sahen wir Blasensignale in defensiven Aktien wie bspw. den Sektoren Detailhandel, Konsumgüter sowie bei Dividendenpapieren. Auf der anderen Seite stellten wir negative Blasenwarnsignale fest, und zwar beim USD, dem Russischen Rubel und russischen Aktien, Öl-bezogenen Rohstoffen und Industriemetallen wie Kupfer. Die Anleger kaufen derzeit Aktien, weil sie den Vorgaben der Notenbanken folgen und nicht aufgrund guter ökonomischer Fundamentaldaten. In diesem schizophrenen Kontext sieht man einen Anstieg defensiver Anlagen während Rohöl und Kupfer, die für ein Anziehen der wirtschaftlichen Aktivitäten stehen, Kursverluste verzeichnen.
Die aktuelle Einschätzung einiger ausgewählter Zeitreihen finden sich unter dem Link: http://tasmania.ethz.ch/pubfco/fco.html. Können Sie den Lesern eine Interpretationshilfe geben zu den vier Indikatoren Ihres Modells?
Die vier Indikatoren unterscheiden sich durch ihre Zeitskala sowie ihren Warnstatus. Unter kurzfristig verstehen wir einen Zeitraum von Wochen bis sechs Monaten, unter langfristig einen solchen von mehr als einem halben bis drei Jahre. Für beide Zeitskalen gibt es sogenannte Frühwarn- bzw. Blasenendstadiumsignale. Die Ersteren erhalten ihre Informationen aus historischen Kursen, welche ein zunehmendes Momentum sowie Anzeichen einer Herdenbildung erkennen lassen. Das kann von Anlegern zum Aufbau von Positionen genutzt werden. Demgegenüber zeigt das Vorliegen eines Blasenendstadiumsignals eine kritische Lage an, die jederzeit kippen könnte. An diesem Punkt sollten Anleger, die investiert sind, ihre Positionen zurückfahren.
Fixe Währungskurse oder Mindestkurse können mit Ihrem Modell nicht analysiert werden. Wie geht das FCO damit um, zumal eine Änderung wie etwa im Falle der überraschenden Aufhebung des EUR-CHF-Mindestkurses erhebliche Auswirkungen auf die Märkte hat?
Ein Währungsmindestkurs ist eine politische Entscheidung. Soviel wir wissen, gibt es keine Modelle, die Meinungen der Politiker erfassen. Nichtsdestotrotz sahen wir in unseren Berechnungen ein sehr starkes LPPLS-Signal (Log Periodic Power Law Singularity) einer negativen Blase des Euros zum CHF, kurz bevor die SNB am 15. Januar die Auflösung des Mindestkurses bekanntgab (siehe Grafik 2). Ein Signal, das erschienen ist nach einer zuvor über zweijährigen Absenz irgendwelcher Hinweise. Obwohl uns klar war, dass der CHF in eine Phase massiver Nachfrage eintreten würde und die SNB daher gezwungen wäre, massive Beträge an Euros zu erwerben, konnten wir die plötzliche Entscheidung der SNB ex ante jedoch nicht voraussagen.
Wie lautet die aktuelle Einschätzung Ihres Models zum Schweizer Blue Chip Aktienindex SMI?
Es gibt derzeit keine Anzeichen eines beschleunigten exponentiellen Wachstums beim SMI. Die aktuelle Kursentwicklung sieht vielmehr nach einer Seitwärtsentwicklung aus. Typische und klassische Beispiele für Blasenendzeit-Signale beim SMI gab es in der Vergangenheit in den Jahren 1994 und 1998. In beiden Jahren führte ein ausgeprägtes exponentielles Wachstum zu einer Singularität, dem Kern aller LPPLS-Modelle.
Ist ein breit diversifiziertes Anlegen im Aktienmarkt das geeignete Mittel für eine möglichst optimale Werterhaltung des Vermögens?
Wir sind nicht sicher, ob eine Diversifikation der beste Weg zum Vermögensschutz darstellt. Das FCO ist vielmehr der Meinung, dass Diversifikation gut funktioniert, wenn wir sie nicht brauchen, jedoch nicht funktioniert, wenn wir sie brauchen würden. Diversifikation ist daher mehr ein klassisches Herdenverhalten. Wenn man diversifiziert ist, verliert man in Krisenzeiten zusammen mit der Masse. Die Verluste fühlen sich dann nicht so schlimm an, so die allgemeine Wahrnehmung. Man könnte argumentieren, dass es im Falle, wenn es zum Schlimmsten käme, besser wäre, in defensive Aktien und Dividendenaktien zu investieren. Interessanterweise scheint gerade dies momentan abzulaufen. Anleger drängen im grossen Stile in die genannten Bereiche.
Ihr Modell kann nach eigenen Aussagen die Wahrscheinlichkeit eines Platzens einer Blase im Voraus und mit erstaunlicher Genauigkeit prognostizieren. Gibt es Pläne für eine Umsetzung in die Praxis, bspw. in Form eines FCO-Anlagefonds, der allen Anlegern zugänglich wäre?
Die Finanzwelt ist dank ihrer Datenvielfalt ein ideales Analysefeld für die Blasenforschung. Welche Themen ausserhalb der Finanzwelt sind für Sie von besonderem Interesse?
Interessanterweise wird die aufgeworfene Frage das Thema eines am 26. März stattfindenden Workshops sein mit dem Titel «Financial, Technological, Social and Political Bubbles», organisiert vom Vorsitzenden der Entrepreneurial Risks der ETH zusammen mit Axpo Trading. Wir haben den Begriff «Social Bubble» geprägt, um gesellschaftliche Bemühungen zu identifizieren und um anzudeuten, dass bedeutende Projekte oft über einen «Social Bubble»-Mechanismus ablaufen. Blasen können auch als kollektiver Überschwang definiert werden. Sie sind eigentlich nicht per se schlecht, ganz im Gegenteil. Es scheint, dass Blasen ein notwendiger Prozess sind, um ein allgemeines Risikoverhalten zu fördern. Sie bilden ein wünschbares Gegengewicht zur Neigung des etablierten Kapitals und der Gesellschaft, die darin besteht, Risiken zu vermeiden.