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payoff Interviews

Das wird in Zukunft noch häufiger notwendig werden

06.08.2020 7 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Maurice Pedergnana, Prof. Dr. oec. und Geschäftsführender Partner der Zugerberg Finanz AG, zu den Auswirkungen der Coronakrise an den Märkten, wie sich die Staaten und deren Nationalbanken verhalten haben und wie die Anlagepolitik der Zugerberg Finanz derzeit aussieht.

Herr Pedergnana, die jetzige Situation entspricht ziemlich genau dem Zustand, den Keynes schon in den 30er Jahren als Liquiditätsfalle beschrieben hat. Was sind die Ursachen dafür, dass die Welt in diese Situation geraten ist?
Das keynesianische IS-LM-Modell veranschaulicht abstrakte Überlegungen, wie der Gütermarkt und der Geldmarkt ins Gleichgewicht kommen. Vom exogenen Schock einer Pandemie und dem darauffolgenden Lockdown mit dem Stopp sämtlicher Lieferketten waren auch die gesündesten und fittesten Unternehmen der Welt betroffen. Aus Angst vor der Insolvenz haben Unternehmen und private Haushalte ihre Liquiditätshaltung erhöht. Die Geldumlaufgeschwindigkeit ist folglich zusammengesackt. Darauf haben die Zentralbanken expansiv reagiert – richtig, nicht wie in den 30er Jahren. Denn sie haben aus den negativen Rückkoppelungseffekten einer realwirtschaftlichen Krise gelernt.

Die Staaten sprechen Milliarden zur Stützung der Wirtschaft und die Notenbanken betreiben seit dem Aus- bruch der Covid-19-Krise eine extrem expansive Geldpolitik. Wie lange können sie durchhalten?
Beliebig lange, das zählt zu den Vorteilen einer Nationalbank mit ihrem vielfältigen Instrumentarium. Dieses ist weitaus grösser, als es sich Keynes seinerzeit vorstellen konnte. Wir haben soeben die Verletzlichkeit der globalisierten Welt erfahren. Beim Klimawandel betrifft es auch alle Länder und sämtliche Menschen, nur dauert es viel länger, bis die Auswirkungen erlebt und erfahren wer- den. Insofern ist die Corona-Pandemie gut, um uns alle auf rasches, synchrones und zugleich globales Handeln in verschiedensten «Disziplinen» zu trimmen. Das wird in Zukunft noch häufiger notwendig werden.

2008 erschütterte eine Kreditkrise das Vertrauen ins Finanzsystem, dieses Mal bringt eine Pandemie das System an seine Grenzen. Wo sehen Sie Unterschiede der Auswirkungen?
Die Krise von 2008 hatte ihren Ursprung im Finanzsystem. Jetzt sind die Banken durch ihre Kapitalstärke und Ausbreitung bis in die feinsten Kapillaren der Wirtschaft ein wichtiger Teil der Lösung, um eine mehrjährige Kredit- und damit Wirtschaftskrise zu vermeiden. Damit die Wirtschaft wieder in Fahrt kommt, ist es wichtig, dass Unternehmen mit Krediten versorgt werden und die Finanzierungsbedingungen günstig bleiben. Das synchronisierte Vorgehen in Absprache mit Regierungen und Zentralbanken hat dafür gesorgt, dass wir im Jahr 2020 zwar die heftigste, zugleich aber auch die kürzeste Rezession in der Weltwirtschaft erlebt haben. Strikt betrachtet hat sie vier Monate gedauert, grosszügig aufgerundet zwei Quartale.

«Zentral bleibt, dass wir in einer bipolaren Welt leben.»

Sind die Notenbanken mit ihrem Latein allmählich am Ende oder sehen Sie konstruktive Wege, wie sie die Gesundheits- und Wirtschaftskrise meistern können?
Regierungen und Notenbanken machen ihren Job in vielen Ländern richtig. Sie verhindern, dass aus vorübergehenden Liquiditätsproblemen keine Solvenzprobleme werden. Zentral bleibt, dass wir in einer bipolaren Welt leben. Einigen Unternehmen geht es hervorragend, andere verharren im Krisenmodus. Das romantisierte «Small is beautiful» hat seine Grenzen erfahren. Globale Grossunternehmen haben die Krise besser bewältigt, weil sie sich frühzeitig mit den ersten Signalen aus chinesischen Tochtergesellschaften auseinandersetzen mussten. Europas grösste Pflegeheimgruppe Orpea (mit über 3’000 Betten in der Schweiz) hat beispielsweise durch ihre in China gelegenen Pflegeheime rascher erfahren, was zu tun ist, als das glarnerische Kleinheim «Bühli», das sich zum tödlichen Corona-Hotspot entwickelte.

Das Finanzkapital gewinnt einen immer grösseren Einfluss auf die Realsphäre und entfernt sich von letzterer wie die jüngste Hausse an den Börsen zeigt, immer mehr. Wie lassen sich Finanzmarkt und Real- markt wieder stärker in Einklang bringen?
Das ist doch kein Ziel. Aus der Realwirtschaft werden nur die wenigsten Unternehmen an den Finanzmärkten gehandelt. Diese stehen da im harten Wettbewerb um Eigen- und Fremdkapital. Auf den Anleihensmärkten handelt man gewissermassen das unmittelbare Konkursrisiko, auf den Aktienmärkten die «unendliche» Zukunft. Die Fokussierung, einerseits von Angst getrieben auf die Gegenwart sowie die nahe Zukunft bei den Anleihen und anderseits von Zuversicht geprägt auf die «Unendlichkeit» bei Aktien ist genau die wettbewerbsbestimmende, belebende Dichotomie auf dem Kapitalmarkt.

Rechnen Sie in absehbarer Zeit mit einer Ablösung des Papiergeldes durch digitale Zahlungsmittel?
Das Papiergeld ist nicht gerade umfangreich. Rund 60 % des Notenumlaufs in der Schweiz sind 1’000er Noten. Ich kenne niemanden, der solche als Zahlungsmittel verwendet. Wenn ich mein eigenes Zahlungsverhalten beobachte, habe ich höchstens eine 50 Franken-Note in der Tasche. 99 % aller Transaktionen führe ich digital aus. Papiergeld bleibt gewiss die Standardwährung für Negativzinsumgehung und Steuerhinterziehung; es ist im Drogen- und Menschenhandel sowie in der Schwarzarbeit verbreitet. Eine Notwendigkeit im normalen Leben sehe ich nicht.

Sind Gold oder dezentrale Kryptowährungen, deren Angebot im Unterschied zum Papiergeld begrenzt ist, Alternativen oder ist ihre aktuelle Attraktivität lediglich ein Sympton der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Krise?
Gold ist nicht «ewig» begrenzt, das ist ein Irrglaube. Wir haben sehr grosse, bislang unerschlossene Goldreserven in der Erde, und es ist eine Frage der Technologie, bis dieses preiswert gewonnen werden können. Spätestens dann wird der Goldrausch vorbei sein. Immerhin: Seit 2’500 Jahren hat eine Unze Gold real zwar nicht an Wert gewonnen, aber auch nicht an Wert eingebüsst. Noch interessanter wäre allerdings eine Anlage mit einer Realverzinsung von jährlich «bescheidenen» 2% gewesen. Der Zinseszinseffekt wird in seiner Mächtigkeit unterschätzt. Wer mit einem Franken angefangen hätte, könnte heute mit dem Ersparten sämtliche Aktien der Welt aufkaufen.

«Gold ist nicht «ewig» begrenzt, das ist ein Irrglaube.»

Ist die Zeit der Welthandelswährung US-Dollar abgelaufen bzw. könnte ein neues Weltwährungssystem ein Weg aus der Liquiditätsfalle sein und wenn ja, wie sollte es aussehen?
Beim Zusammenbruch des Bretton Woods Systems hat die USA noch mehr als 40% zum weltweiten Sozialprodukt beigetragen. Die arabischen Staaten wurden verpflichtet, Öl in US-Dollar zu verkaufen usw. Heute trägt die USA noch 20% zur Weltwirtschaft bei. Der Welthandel profitiert, wenn es letztlich auch bei den Währungen wieder mehr Wettbewerb gibt – gerade auch entlang der frisch dynamisierten Seidenstrasse. Ob es wie in Skandinavien mit nur gerade 26 Millionen Menschen gleich fünf Währungen benötigt, bezweifle ich. Das ist dysfunktional.

Wie werden sich die unternehmerischen Fragestellungen und deren Konsequenzen für Investments in den nächsten fünf bis zehn Jahren Ihrer Ansicht nach verändern?
Die grossen Leitlinien hat Fredmund Malik treffend zusammengefasst. Wir sind mitten in einem fundamentalen Wandel zu einer digitalen Welt. Systematisches Innovieren ist eines der obersten Ziele des modernen Managements, und die erfolgreichen Unternehmen sind dem Wandel stets voraus. Bei unseren Anlagen behalten wir dies immer im Mittelpunkt unserer Analysen. Wer ausschliesslich in ETFs investiert, ist denkfaul. Da sind alle drin, die Gewinner wie auch die Verlierer der Zukunft. Reden wir doch in zehn Jahre wieder, was sich ausbezahlt hat!

Als Chefökonom und Leiter des Anlageausschusses der Zugerberg Finanz, wie sieht aktuell die Asset Allocation in einem Balanced Portfolio bei Ihnen aus
Das ist wenig spektakulär und zudem auf Zins- und Dividendenerträge von erfolgreichen Geschäftsmodellen fokussiert. Wir kombinieren eine eher moderate Aktienquote von 29% mit Infrastrukturwerten (9%) und Unternehmensanleihen (51% – mit einer durchschnittlichen Verfallsrendite von mehr als 3% p.a.). Realwirtschaftlich diversifiziert wird das Portfolio mit liquiden Private Equity-Werten (8%) wie HBM Healthcare. Das ist eine global investierte Beteiligungsgesellschaft an innovativen Unternehmen aus dem Bio- und Medtech-Bereich.

…und wie sieht Ihre aktuelle persönliche Finanzstrategie aus, um in den kommenden Monaten und Jahre gut über die Runden zu kommen?
Ich bin mit dem grössten Teil meines Vermögens investiert wie unsere Kundschaft. Von der Risikoneigung her ist die Strate-gie so ausgerichtet, dass mich die Marktrisiken am härtesten treffen würden. Das ist nur logisch, denn vom langfristigen Erfolg unseres im Kern defensiven Vorgehens mit einem Heimatfokus auf Schweizer Unternehmen bleibe ich überzeugt. In einem «Sidepocket» investiere ich zudem noch in die indische Mikrofinanzentwicklung, die kleingewerblich tätige Frauen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit fair unterstützt. Das ist mir immer ein Kernanliegen, auch bei den Kundengeldern: Mit Kapital auch noch Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen und eine «soziale» und «ökologische» Rendite zu erzielen. 

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