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payoff Portrait von Nick Clay von redwheel Opinion Leaders

Der Einfluss von Innovationen auf das Wirtschaftswachstum

16.12.2024 7 Min.
  • Nick Clay
    Fondsmanager und Leiter Global Equity Income Team
    Redwheel

Ein Weckruf für Investoren in der KI-Ära: KI-Anlagen sind keine Selbstläufer, trotzdem können Anleger davon profitieren,

Die Euphorie über die künstliche Intelligenz (KI) hat die Märkte weltweit erfasst. Aktuelle Bewertungen deuten darauf hin, dass KI alles verändern wird, ganze Branchen revolutioniert und die Art und Weise, wie wir arbeiten, reisen und kommunizieren, umgestaltet. Erwartet werden massive Produktivitätssteigerungen durch KI: Automatisierung von Prozessen, Kostensenkung und langfristige Rentabilität. Doch ist diese Erwartung gerechtfertigt? 

Die Akzeptanz wächst

Ein Blick zurück auf die Geschichte der Innovationen zeigt, dass sich das Tempo der Einführung im letzten Jahrhundert dramatisch verändert hat. Die folgende Grafik zeigt die Einführungszeiträume der wichtigsten Innovationen, die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts entstanden sind. Elektrogeräte, Autos und Telefone – greifbare und physische Innovationen – brauchten Jahrzehnte, um sich in einer nicht-digitalen Welt durchzusetzen. Dennoch kann man feststellen, dass die Adoptionszyklen schneller werden, was vor allem auf das Wachstum der Massenkommunikation zurückzuführen ist.

Innovationen vor 1950: Die Adoptionszyklen sind lang, werden aber immer kürzer

Quelle: ourworldindata.org, Dezember 2019.

Im Gegensatz dazu verlief der Aufstieg der digitalen Technologien nach 1950 in einer Ära der Massenmedien und der Globalisierung. Moderne Innovationen wie das Internet, Smartphones und jetzt auch die KI verbreiteten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit, angetrieben durch globale Konnektivität und den Netzwerkeffekt.

Innovationen nach 1950: Deutliche Verkürzung der Adoptionszyklen

Quelle: ourworldindata.org, Dezember 2019.

Angesichts dieser rasanten Verbreitung ist zu erwarten, dass KI sich schnell durchsetzen wird, was sich auch auf die Produktivität auswirkt. Unternehmen integrieren KI bereits in Prozesse und Produkte – von generativen Chatbots bis hin zu fortschrittlicher Robotik. Aber wird eine schnellere Einführung auch zu langfristigen Produktivitätssteigerungen führen?

Dazu werfen wir zunächst einen Blick auf ein Jahrhundert aussergewöhnlichen technologischen Fortschritts. Die nachstehende Grafik zeigt sechs technologische Wellen oder Epochen, von denen jede einen tiefgreifenden Einfluss auf unser Leben und unsere Industrie hatte. Gemeinsam haben sie die Art und Weise, wie wir produzieren, arbeiten, konsumieren und kommunizieren, drastisch verändert und unsere Gesundheit, Langlebigkeit und Lebensqualität verbessert. Sicherlich hat sich dies positiv auf das reale Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausgewirkt.

Zeitstrahl 1950 bis heute

Quelle: Redwheel, November 2024.

Innovation vs. Wirtschaftswachstum und Produktivität

Eine Analyse des realen BIP-Wachstums in den USA seit den 1930er Jahren zeigt jedoch einen langsamen, aber anhaltenden Rückgang des langfristigen Wachstumstrends. Trotz des Aufschwungs in den späteren Jahren des Zweiten Weltkriegs ist das Gesamtwirtschaftswachstum unter seinen historischen Durchschnitt von 3,3 Prozent gefallen. Dieser Rückgang hält an – trotz mehrerer aufeinander folgender Wellen bedeutender Innovationen, von der Elektrifizierung bis hin zur digitalen Revolution.

Womöglich wurde das nachlassende BIP-Wachstum durch einen Anstieg des Arbeitsproduktivitätswachstums kompensiert. Dieses Mass bezieht sich speziell auf die Zunahme der von den US-Arbeitskräften pro Stunde produzierten Waren und Dienstleistungen.

Doch auch hier sehen wir innerhalb der vergangenen zehn Jahre eine Verlangsamung der durchschnittlichen Wachstumsraten. Die Daten zeigen, dass die Effizienzgewinne im Lauf der Zeit zurückgingen, trotz bedeutender Innovationsrevolutionen und des Aufkommens von PCs, Düsenflugzeugen, Satelliten, E-Mail und Internet.

Die Vorstellung, dass Innovation zu einem deutlichen Sprung des Wirtschaftswachstums – gemessen am BIP – oder einer Produktivitätssteigerung führt, trügt offenbar. Vielmehr scheint es, dass Innovation eine schiere Notwendigkeit ist, um die Volkswirtschaften weiter voranzubringen, wenn auch in einem langsameren Tempo. Um das rückläufige Produktivitätswachstum aufzuhalten, braucht es demnach mehr Innovationen, die schnell eingeführt werden müssen.

Das Produktivitätsparadoxon verstehen

Das Paradoxon der Innovation besteht darin, dass sie zweifellos bestimmte Prozesse oder Branchen verbessert, umfangreichere Auswirkungen auf die Produktivität aber oft zu kurz kommen. Dies ist wohl auf eine ganze Reihe komplexer und miteinander verwobener Faktoren zurückzuführen, die die Makroökonomie, die Arbeitsmarktdynamik und die Demografie betreffen.

Eine wichtige Beobachtung ist jedoch, dass Effizienzsteigerungen oft mit zusätzlicher Komplexität und mehr Volumen einhergehen. So hat zum Beispiel die E-Mail die Kosten und den Zeitaufwand für die Kommunikation im Vergleich zu Briefen oder Faxen drastisch gesenkt, aber der einfache Versand von E-Mails hat zu einem erheblichen Anstieg des Nachrichtenvolumens geführt, was Arbeitnehmer ablenkt und Effizienzgewinne verwässert.

Weitere Faktoren sind abnehmende Grenzerträge in grossem Massstab und systemische Komplexität. Innovationen führen oft zu komplexen Sachverhalten, die neue Fähigkeiten, Infrastrukturen oder rechtliche Rahmenbedingungen erfordern, was Produktivitätssteigerungen dämpfen kann.

Die Auswirkungen spekulativer Euphorie auf Innovationszyklen

Die Erkenntnis, dass es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen potenziell bahnbrechenden Innovationen und Produktivitätswachstum gibt, wirft ein neues Licht auf den übermässigen Optimismus, den Innovationen hervorrufen können. Wie wir heute bei der KI sehen, glauben die Anleger stets, dass „es dieses Mal anders sein wird“: Kapital strömt in den Sektor, die Bewertungen steigen und das spekulative Verhalten nimmt zu.

Ironischerweise begünstigt das Überangebot an Kapital die Akzeptanz von KI, allerdings durch Standardisierung der Technologie. Es erhöht den Wettbewerb und senkt die Markteintrittsschranken, sodass eine grosse Anzahl ähnlicher Optionen entsteht.

Zum Vergleich: In der Internet-Ära kam es zu einem sprunghaften Anstieg der spekulativen Investitionen, gerade während der Dot-Com-Blase. Während das Internet zweifelsohne die Kommunikation, den Handel und den Datenzugang veränderte, führte seine weit verbreitete Nutzung zu einem Überangebot und zur Kommerzialisierung. Auch das Cloud Computing hat sich von einer disruptiven Technologie zu einem Standardangebot entwickelt, wobei der Wettbewerb die Gewinnspannen drückt.

In der vordigitalen Ära waren Versorgungsunternehmen ein Beispiel für diesen Prozess: Elektrizität und Stromnetze waren einst revolutionär und versprachen exponentielles Wachstum, da sie Haushalte und Unternehmen mit Energie versorgten. Die ersten Anleger strömten in diese Sektoren und erwarteten anhaltend hohe Renditen. Im Lauf der Zeit wurden diese Dienste jedoch zu Massenprodukten und reguliert und wandelten sich von Wachstumsinvestitionen zu stabilen, ertragsbringenden Anlagen. Ihr wahrgenommener Wert liegt nun eher in der Zuverlässigkeit als in der Innovation.

Mögliche Auswirkungen für KI-Investoren

Das Muster scheint sich zu wiederholen, da generative KI bis 2030 schätzungsweise 300 Milliarden US-Dollar an Cloud-Investitionen erhalten wird. Die Märkte preisen die Erwartung einer flächendeckenden Akzeptanz und dramatischer Auswirkungen auf die Rentabilität ein, insbesondere für Chip-Hersteller und KI-Dienstleister.

Die Historie zeigt jedoch, dass eine weit verbreitete Einführung einer Innovation dazu führt, dass die Technologie zur Massenware wird, was ihre Gewinnspannen und ihren langfristigen Wert verringert. Eine ähnliche Dynamik könnte auch die KI betreffen, wobei der zunehmende Wettbewerb und die bessere Zugänglichkeit die Prämie, die mit Innovationen in der Frühphase verbunden ist, schmälern könnte.

Die Anleger müssen daher Vorsicht walten lassen. Leider ist es oft schwer, der Anziehungskraft von Aktien zu widerstehen, deren Aufwärtstrend offenbar kein Ende nimmt. Die Angst, etwas zu verpassen, dominiert und sorgt dafür, dass Blasen und daraus resultierende Konzentrationen auf den Märkten immer wieder auftreten. Daher sind wir der Meinung, dass eine strenge Anlagedisziplin unerlässlich ist.

Inmitten der KI-Euphorie dauerhafte Renditen erwirtschaften

Die Verlockungen von Innovation werden die Märkte immer in ihren Bann ziehen. Von der Elektrizität über das Internet bis hin zur KI bieten transformative Technologien das Versprechen, die Wirtschaft umzugestalten und den Wohlstand zu fördern.

Doch sowohl das reale BIP als auch die Arbeitsproduktivität sind seit Jahren rückläufig. Wie oben gezeigt, sind Innovationen weit davon entfernt, das langfristige Produktivitätswachstum anzukurbeln, sondern vielmehr erforderlich, um es aufrechtzuerhalten. Die KI könnte einen grundlegenden Wandel herbeiführen, aber – wie bei früheren Innovationen auch – könnte ihre Einführung zu einer Standardisierung und zu mässigen langfristigen Renditen führen.Für Anleger besteht die Herausforderung darin, ein Gleichgewicht zwischen der Beteiligung am innovationsgetriebenen Wachstum und der disziplinierten Vermeidung spekulativer Exzesse zu finden. Wir sind der Ansicht, dass sich Anleger durch die Konzentration auf Anlagestrategien mit strengen, bewertungsbasierten Kriterien so positionieren können, dass sie von Innovationen profitieren können, ohne deren Hype zum Opfer zu fallen.

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