Zurück
payoff Opinion Leaders

Der Klimawandel – eine Gefahr für die Ziele von Zentralbanken?

03.09.2021 5 Min.
  • Katharine Neiss, Chief European Economist

Jüngste Forschungen deuten darauf hin, dass der Klimawandel eine Gefahr für die Kernziele der Zentralbanken einschliesslich Preisstabilität, Finanzstabilität sowie Sicherheit und Solidität von Finanzinstituten darstellt.

So könnten steigende Agrar- und Lebensmittelpreise die Inflationsraten in die Höhe treiben und Klima-Ereignisse die Bewertung von Vermögenswerten beeinflussen, was sich auf institutsspezifische und systemweite Risiken auswirken würde. Daher müssen die Zentralbanken die Auswirkungen des Klimawandels – ebenso wie die Folgen der Demografie, Globalisierung und innovativer Technologien – überwachen und verstehen.

Noch wichtiger für eine optimierte Kapitalallokation ist, dass die Marktpreise der Finanzinstitute die Risiken des Klimawandels widerspiegeln – viele bedeutende globale Institute haben diese jedoch noch nicht eingepreist. Eine aktuelle Analyse der EZB hat beispielsweise ergeben, dass fast keines der von ihr beaufsichtigten Institute die von der Expertenkommission „Taskforce on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) aufgestellten Anforderungen an die Offenlegung von Klimadaten erfüllt. Eine effiziente Kapitalallokation wird angesichts der schieren Menge des benötigten Kapitals in Zukunft von grösster Bedeutung sein. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass in den nächsten 30 Jahren fast 150 Bio. US-Dollar an kumulativen Investitionen aufgewendet werden müssen.

Herausforderungen für das moderne Zentralbankwesen

Die Zentralbanken der Industrieländer haben mittlerweile erkannt, dass der Klimawandel Risiken für das makroökonomische Finanzsystem birgt. Damit sie jedoch speziell auch in diesem Zusammenhang eine Überwachung und Risikobewertung durchführen und die Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors sicherstellen können (z. B. durch Stresstests), ist ein Offenlegungsrahmen erforderlich. Die TCFD bietet ein solches Rahmenwerk, aber bisher ist Grossbritannien das einzige Land, das den Standard verbindlich gemacht hat.

Antworten auf die Frage, ob Zentralbanken eine aktive Rolle im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen sollten, insbesondere durch den Einsatz monetärer Instrumente, sind indes umstrittener. Zentralbanken, die ein sekundäres Mandat zur Unterstützung der wirtschaftlichen Ziele der Regierung und eines nachhaltigen Wachstums haben, wie z. B. die EZB und die Bank of England, sind sich inzwischen einig, dass eine Änderung des Mandats weder wünschenswert noch notwendig ist. Zugleich hat EZB-Ratsmitglied Isabelle Schnabel kürzlich festgestellt, dass der EU-Vertrag die EZB verpflichtet, den Klimawandel zu berücksichtigen.

Unterstützen Zentralbankmandate die Bekämpfung des Klimawandels, besteht ein weitere Herausforderung darin, sicherzustellen, dass die geldpolitischen Massnahmen zweckmässig und nicht zyklusabhängig sind. So wäre es beispielsweise kontraproduktiv, wenn Zentralbanken ihr klimaförderndes Handeln auf einen Lockerungszyklus beschränken würden. Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass eine Ausrichtung der Zentralbankkäufe auf grüne Anlagen allein wahrscheinlich keinen bedeutenden Unterschied machen würde.

Evolution statt Revolution

Die Massnahmen der Zentralbank zum Klimawandel können durchaus im Einklang mit dem traditionellen Rollenverständnis stehen, wenn diese zum einen die effiziente Allokation von Ressourcen erleichtern und zum anderen längerfristige gesellschaftliche Ziele am effektivsten unterstützen, wenn sie frei von kurzsichtiger politischer Einflussnahme sind. Darüber hinaus brauchen jene Zentralbanken, deren sekundäres Ziel die Unterstützung der Regierungspolitik ist, nicht zwingend eine Änderung ihres Mandats, um den Klimawandel zu berücksichtigen – sie müssten lediglich ihren politischen Schwerpunkt verlagern.

Angesichts der globalen Kapitalmarktverflechtungen müssen die Zentralbanken zusammenarbeiten, um Best Practices zu entwickeln und umzusetzen, wie wir es beim Financial Stability Board und dem Network for the Greening of the Financial System gesehen haben. Die weitere Zusammenarbeit wird dazu beitragen, regulatorische Arbitrage – sprich ein Abwandern von Unternehmen in weniger regulierte Länder –, Komplexität und Greenwashing einzudämmen.

Klimabezogene Offenlegungen werden es den Zentralbanken in Zukunft ermöglichen, eine effektive Überwachung von institutsspezifischen und systemischen Risiken durchzuführen. Dies beinhaltet Szenarioanalysen und Stresstests, damit Kapitalpuffer entsprechend angepasst werden können, um die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems in einer Vielzahl von Szenarien sicherzustellen.

Die Entwicklung im Zentralbankwesen, die sich im Laufe von zwei Krisen vollzogen hat, scheint an der Schwelle zu einer neuen Phase zu stehen, um die Klimakrise zu bewältigen. Für viele Institutionen mögen die Veränderungen zunächst eher evolutionär denn revolutionär sein. Anstelle von Mandatsänderungen haben Zentralbanken die Möglichkeit, den Schwerpunkt ihrer Politik zu verlagern, um sie besser mit den mittelfristigen Regierungszielen in Einklang zu bringen. Im Laufe der Zeit könnten die Änderungen jedoch deutlicher ausfallen, da die Kernfunktion der Zentralbanken, Kapital effizient dorthin zu leiten, wo es am meisten benötigt wird, eine stark verbesserte Offenlegung von Klimarisiken erfordert – insbesondere mit Blick auf ihre eigene Politik und ihre Bilanzen.

Der Gefahr einer schleichenden Mandatsausweitung müssen die Zentralbanken mit einer klaren Trennung zwischen ihrer einzigartigen Rolle bei der effizienten Lenkung von Kapitalflüssen und einer proaktiven staatlichen Klimapolitik begegnen. Jene Institutionen, die den schmalen Grat zwischen Kernfunktionen und aktivistischer Politik meistern, können den Volkswirtschaften die dringend benötigte Unterstützung im Kampf gegen den Klimawandel bieten.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken