Der Milde Winter wird Europas Rezession Verzögern, nicht Verhindern
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Tomasz Wieladek
Chief European Economist
T. Rowe Price
Andere Risiken dürften den Kontinent später im Jahr belasten.
Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine stiegen die Energiepreise im vergangenen Winter sprunghaft an und legten dann im Sommer wegen der Sorge vor einem Gasmangel noch stärker zu. Ein starker Anstieg der Energiepreise war in der Vergangenheit stets ein zuverlässiger Indikator für eine nahende Rezession in der Eurozone. Das für die Jahreszeit zu warme Wetter in den letzten Monaten hat aber die Gaspreise nun wieder auf das Niveau von vor dem Ukraine-Krieg sinken lassen. Bedeuten die inzwischen wieder gut gefüllten Gasspeicher jetzt, dass eine Rezession vermieden werden kann?
Die kurze Antwort lautet nein. Die Gaspreise sind zwar gesunken, doch haben sich noch andere Risikofaktoren herauskristallisiert, die nach unserer Einschätzung die Wirtschaft der Eurozone später im Jahr belasten werden. Während also der Preisrückgang bei Gas kurzfristig einer Erholung förderlich sein wird, glaube ich, dass eine Rezession in der zweiten Hälfte des Jahres immer noch wahrscheinlich ist.
Viele Prognostiker – mich eingeschlossen – hatten erwartet, die Rezession werde im vierten Quartal des vergangenen Jahres einsetzen. Wir konnten damals natürlich nicht ahnen, dass ein rekordwarmer Winter die Energiepreise zum Absturz bringen würde. Die Gasspeicher sind weiterhin fast voll, und damit dürfte es in diesem Winter jetzt auch kein Knappheitsproblem mehr geben. Diese positive Entwicklung hat zusammen mit der Normalisierung der Lieferketten das Geschäftsvertrauen gestärkt und es vielen gasintensiven Industriezweigen ermöglicht, die Produktion wieder aufzunehmen. Kurzfristig dürfte daher die Wirtschaftsaktivität in der Eurozone anziehen und eine gasbedingte Rezession in diesem Winter damit unwahrscheinlich sein.
Der Gaspreis-Schock ist jedoch nicht die einzige wirtschaftliche Herausforderung, vor der die Eurozone steht. Aufgrund des Inflationsanstiegs und der gefürchteten Zweitrundeneffekte hat die Europäische Zentralbank (EZB) kürzlich damit begonnen, ihre Geldpolitik in einem beispiellosen Tempo zu straffen. Die Kapitalkosten von Unternehmen, die schon vor Beginn des Straffungszyklus der EZB sehr hoch lagen, sind dadurch auf ein Niveau gestiegen, wie es zuletzt während der europäischen Staatsschuldenkrise zu beobachten war.
Ebenso hat sich die Geld- und Finanzierungssituation für private Haushalte und Unternehmen, die ohnehin schon angespannt war, durch den restriktiven Kursschwenk der EZB und die in Aussicht gestellten weiteren Maßnahmen noch verschärft. In der Niedrigzinsphase wuchs die Verschuldung von Regierungen, Unternehmen und Privathaushalten, was sie gegenüber diesen Finanzschocks anfälliger macht. Da geldpolitische Impulse erst mit einer zeitlichen Verzögerung wirken, werden ihre negativen Auswirkungen wahrscheinlich nicht vor dem vierten Quartal in den Daten zu erkennen sein.
Nachfrage nach Wohnbaufinanzierungen ist eingebrochen
(Abb. 1) Geldpolitische Straffung der EZB zeigt Wirkung
Als exportabhängiger Staatenblock ist das Schicksal der Eurozone eng mit dem der Weltwirtschaft verknüpft – und hier sind die Nachrichten auch nicht gut. So ist der globale Einkaufsmanagerindex (EMI) für das verarbeitende Gewerbe in den letzten Monaten in den rezessiven Bereich abgerutscht, während in den USA – ein wichtiger Markt für die Eurozone – sowohl der Dienstleistungs- als auch der Fertigungs-EMI eindeutig Rezessionsterrain betreten hat. Zudem haben die Auftragsbestände in deutschen Industriebetrieben mittlerweile eine Reichweite von fünf Monaten, verglichen mit drei Monaten in normalen Zeiten. Das lässt darauf schließen, dass die Betriebe die aktuelle globale Nachfrageschwäche zwar kurzfristig meistern können, aber nicht mittelfristig.
Kurzfristig wird die wirtschaftliche Aktivität in der Eurozone dank niedrigerer Gaspreise, sich normalisierender Lieferketten und voller Auftragsbücher weiter robust bleiben. Mittelfristig dürfte die Eurozone dann aber wegen der weltweiten Konjunkturschwäche und der Folgen der Geldpolitik in eine Rezession abgleiten. Tatsächlich untermauert die hartnäckig hohe Kernrate des Verbraucherpreisindex neben einer robusten Realwirtschaft den starken Willen der EZB, ihre Geldpolitik weiter zu straffen. Die Rezessionsdynamik dürfte sich daher im weiteren Verlauf des Jahres verstärken.
Abflauende Wirtschaftsaktivität signalisiert Wahrscheinlichkeit einer Rezession
(Abb. 2) Der globale EMI der Fertigungsindustrie ist gesunken
Diese Einschätzung hat mehrere Folgen für den Markt. Kurzfristig kann die EZB aufgrund des hartnäckigen Drucks der Kerninflation und der robusten Wirtschaftsaktivität ihren sehr restriktiven Kurs fortsetzen. Die Preisentspannung bei Gas in diesem Jahr dürfte außerdem die Konsensprognosen weg von einem Rezessionsszenario führen. Insgesamt glauben wir, dass dies in etwa den nächsten drei Monaten zu einer verstärkten Inversion der Renditekurve für deutsche Bundesanleihen und einem stärkeren Euro führen wird.
Sobald jedoch die mittelfristigen Faktoren zum Tragen kommen und eine Rezession droht – vermutlich ab dem Frühsommer –, dürfte sich nach unserer Erwartung die Bund-Renditekurve versteilern und der Euro fallen.
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