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payoff Interviews

«Der S&P 500 ist immer noch rund 25% unterbewertet.»

17.02.2015 6 Min.
  • Dieter Haas

Brain Wesbury, Chief Economist First Trust Advisors, über die Perspektiven des US-Aktienmarktes, allfällige Risiken, Zinserhöhungen des Fed, den US-Wohnungsmarkt und seine persönliche Anlagestrategie.

Mr. Wesbury, Sie sind immer noch optimistisch, was amerikanische Aktien betrifft und pessimistisch im Hinblick auf den Anleihemarkt. Könnten Sie unseren Lesern kurz und knapp die Grundlagen Ihrer aktuellen Einschätzung darlegen?

Ich bin für den US-Aktienmarkt immer noch optimistisch. Unternehmensgewinne haben in den USA Rekordstände erreicht. Der Hauptmotor dafür ist die steigende Produktivität. Neue Technologien – wie Fracking, 3D-Drucker, Robotics, Cloud, Smartphones, Tablets, Apps etc. – führen zu verbesserter Effizienz, Kostenreduzierung und gestiegenen Gewinnmargen. Natürlich hat die Fed für eine Geldflut gesorgt, aber die Banken vermehren diese Liquidität nicht, wie in den Jahrzehnten zuvor, sondern halten sie als Überschussreserven. Das ist der Grund, weshalb ein Zurückfahren des amerikanischen QE-Programms im letzten Jahr den US-Aktienmarkt unberührt liess. Nach unserem Modell ist der S&P 500 immer noch rund 25% unterbewertet.

Seit dem Beginn der 1980er-Jahre wurden fast 60% der Arbeitsplätze im Produktionssektor der USA ins Ausland verlagert. Was meinen Sie zu einer Reindustrialisierung in den USA?

Dieser Arbeitsplatzabbau ging nur zu einem Teil auf das Konto Produktionsverlagerung ins Ausland. Zum anderen gab es aber auch massive Steigerungen aufgrund von Produktivitätsverbesserungen. Das kann man weltweit beobachten. Auch in Japan und den Schwellenländern gibt es einen Rückgang von Arbeitsplätzen im Produktionssektor. 

Eine hochinteressante, jedoch wenig beachtete Entwicklung der letzten Jahre in der amerikanischen Industrie ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Mittels eines Diffusionsindex wird ermittelt, zu welchem Anteil welche Sektoren neue Arbeitsplätze schaffen. Seit 2010 weist der Index ein Plus an neuen Stellen auf. Im vierten Quartal 2014 waren es 65,2% mehr. Dies zeigt, dass die USA wettbewerbsfähiger geworden sind und dass eine Rückverlagerung der Produktion stattfindet. Im Gegensatz zum Rest der Welt werden in den USA neue Jobs geschaffen.

Erwarten Sie eine Zinserhöhung seitens der Fed in 2015?

Im Gegensatz zu vielen anderen Zentralbanken, die auf einem eher expansiven Kurs sind, hat die Fed ihr Anleihekaufprogramm 2014 beendet. Wir erwarten den ersten Zinsschritt im Mai oder Juni. Die Fed muss ihre Finanzpolitik normalisieren. Im Jahr 2004 hob Alan Greenspan die Zinssätze bei jedem Zinstreffen um jeweils 25 Basispunkte an. Wir gehen davon aus, dass Janet Yellen eine Erhöhung bei jedem zweiten Zinstreffen vornehmen wird und dass die US-Leitzinsen Ende 2015 bei ungefähr 1% oder etwas niedriger liegen werden. Dieses Vorgehen ist nicht restriktiv, nur nicht mehr ganz so locker. Weiterhin erwarten wir, dass die Fed innerhalb der Bandbreite ihrer Zinsziele bleiben wird, da es weiterhin Überschussreserven im System gibt. Das ist erstaunlich. Nie zuvor hat eine Zentralbank versucht, die Leitzinsen zu erhöhen, während es noch Überschussreserven im System gab.

Sie haben kürzlich erwähnt, dass 2015 das Jahr des Durchbruchs auf dem Wohnungsmarkt sein wird. Welche Faktoren bringen Sie zu dieser Überzeugung?

Um mit dem Bevölkerungswachstum mithalten zu können, werden in den USA jährlich 1,5 Millionen neue Häuser gebraucht. Diese Zahl wurde zuletzt vor sieben Jahren erreicht. Wir stehen aber am Wendepunkt der Wohnungsknappheit in vielen Gegenden des Landes. Das Schuldenniveau ist gesunken, Löhne und Gehälter steigen, Energiekosten sinken, die Preise für Wohneigentum steigen, Banken sind bereit, gegen höhere Zinsen Kredite zu vergeben und das Verbrauchervertrauen steigt – ideale Voraussetzungen für ein Jahr des Durchbruchs auf dem Wohnungsmarkt.

Wie stabil schätzen Sie den wirtschaftlichen Aufschwung in den USA ein – auf einer Skala von 1 (sehr instabil) bis 10 (sehr stabil)?

Wir nennen die US-Wirtschaft eine Arbeitspferdwirtschaft, die sich, wie ein Arbeitspferd, langsam bewegt, aber trotz aller Hindernisse immer ihrem vorgegebenen Weg folgt. Also würde ich zehn von zehn Punkten vergeben – sehr stabil, aber nach wie vor nicht boomend.

Was sind die Hauptrisiken, denen die US-Wirtschaft in den nächsten Monaten ausgesetzt ist?

Es gibt vier Faktoren, die mich beunruhigen. 1. Wird die Fed die Leitzinsen zu stark erhöhen? Das ist eher unwahrscheinlich. 2. Wird die Regierung Steuern erhöhen (wie 2014 in Japan)? Hier ist die Antwort Nein, denn Kongress und Präsident sind festgefahren. 3. Werden sich die USA protektionistisch verhalten? Auch in diesem Punkt sehen wir ein ganz klares Nein. Und 4. Werden Staatsausgaben und Verordnungen genug wachsen, um private Investoren zu verdrängen? Wohl kaum. Es sieht im laufenden Jahr aufgrund der politischen Machtverteilung nicht nach einer grossen Änderung der Politik aus.

Welchen Sektor oder Anlagestrategie würden Sie empfehlen, ausgehend von Ihren US-Makro-Ansichten?

Europäische Aktien sind (basierend auf Kursgewinnen und KGV) kostengünstiger als US-Aktien. Ich gehe davon aus, dass beide Märkte 2015 Aufwind bekommen werden. Im amerikanischen Markt bevorzuge ich zyklische Sektoren, wie Technologie, Gesundheitswesen, Industrie- und Rohstoffwerte sowie Verbrauchsgüter.

Ist es klug, auf einen starken Dollar zu setzen?

Währungsprognosen fand ich schon immer schwierig. Auf der einen Seite gibt sich die Fed weniger expansiv. Auf der anderen Seite verhält sich die EZB expansiver. Die Märkte wissen das aber schon seit Langem. Es braucht wohl einen Überraschungseffekt, um den Dollarkurs zu bewegen. Ich erwarte daher in den kommenden Monaten Stabilität.

Welche Erwartungen hegen Sie hinsichtlich des Schweizer Franken?

Der steile Kursanstieg des Schweizer Franken war überraschend. Das zeigt das Vertrauen der Anleger in den Finanzplatz Schweiz auf der einen Seite und sinkendes Vertrauen in die Eurozone auf der anderen. Ich glaube, dass dieses Vertrauen in die Schweiz gerechtfertigt ist. Deutschland, die Schweiz und Grossbritannien werden auch im kommenden Jahr mehr Anlegerkapital, Wachstum und Gewinn erwerben.

Wie investieren Sie persönlich?

In den letzten Jahren habe ich eine sehr aggressive Anlagestrategie verfolgt. Zurzeit bevorzuge ich ein zyklisches, wachstumsorientiertes Exposure von Aktien globaler Unternehmen mit einer grossen Palette. In Zeiten von sehr niedrigen Zinsen haben festverzinsliche Anlagen sehr wenig Potenzial. In vielen Fällen sind Dividendenerträge attraktiver als Anleiherenditen. Das wird, meiner Meinung nach, auch im kommenden Jahr so bleiben.

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