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payoff Interviews

Der Zinsschritt der SNB kam definitiv früher als erwartet.

07.07.2022 7 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Herr Peter, die Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung nimmt zu. Wie ist Ihr Ausblick für die Weltwirtschaft?
Die neusten Indikatoren deuten auf eine klare Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hin. In Deutschland sind es vor allem steigende Energiepreise und eine drohende Gasknappheit, welche den Unternehmen Sorge bereiten. Dies spiegelt sich beispielsweise im Ifo-Geschäftsklimaindex wider, welcher im Vergleich zum Vormonat zurückfiel. Auch die Einkaufmanagerindizes sind in vielen Regionen rückläufig. Mit Werten über 50 Punkten verharren diese aber vorerst in der Wachstumszone. Dies hat uns veranlasst, unsere Wachstumsprognosen anzupassen. Neu rechnen wir mit einem Weltwirtschaftswachstum von 3.2% für das laufende Jahr.

Die SNB hat Mitte Juni überraschend die Leitzinsen um 50 Basispunkte angehoben. Inwieweit hat das Ihren Ausblick verändert?
Der Zinsschritt der SNB kam definitiv früher als erwartet. Da Zinserhöhungen aber bereits in der Zinskurve eingepreist waren, hat sich die Ausgangslage für uns nicht gross geändert. Schon seit einiger Zeit sehen wir wieder selektiv attraktive Anlagemöglichkeiten bei Obligationenanlagen. Der Schritt entlastet aber viele unserer Kunden in Bezug auf ihre Liquiditätsbestände. Die meisten Banken haben ihre Zinssätze auf Bankguthaben entsprechend angepasst oder sehen neu sogar gänzlich von Negativzinssätzen ab.

Welches Szenarium: Inflation, Stagflation oder Deflation erachten Sie in den kommenden zwei bis drei Jahres als das wahrscheinlichste?
Wir gehen davon aus, dass Inflation auch über die nächsten Jahre ein Thema bleiben wird und rechnen auch mittelfristig mit Inflationsraten über der 2%-Zielmarke der Zentralbanken. Nebst dem Anstieg der Energiepreise sehen wir aber verschiedene andere Faktoren, welche auf eine strukturelle Inflation hinweisen. Aufgrund der angespannten Situation am US-Arbeitsmarkt sind beispielsweise die Löhne im Mai um über 5% gestiegen. Kurzfristig könnte die Inflation also sogar noch etwas steigen. Voraussichtlich ab dem 4.  Quartal sollte der Druck jedoch nachlassen, unter anderem aufgrund des Basiseffektes. Was das Wachstum betrifft, halten wir eine technische Rezession, sprich zwei Folgequartale mit negativem Wirtschaftswachstum, für wahrscheinlich. Da die Auftragsbücher vieler Unternehmen gut gefüllt sind und der Arbeitsmarkt sehr solide ist, erscheint die Gefahr einer klassischen Rezession mit Massenarbeitslosigkeit und ähnlichem eher gering. 

Die Entwicklung an den Aktienmärkten ist seit Anfang dieses Jahres negativ. Glauben Sie, dass wir das «Gröbste» hinter uns haben, oder steht uns noch ein weiterer Rutsch nach unten bevor?
Die Mischung von hoher Inflation, steigenden Zinsen und einer möglichen Rezession ist ein giftiger Cocktail für die Aktienmärkte. Dementsprechend deutlich wurden diese gebeutelt. Allerdings sind die prognostizierten Zinspfade mittlerweile weitgehend in die Aktienmärkte eingepreist. Die im Juli beginnende Berichtssaison wird uns weitere Hinweise geben, wie sich die US-Unternehmen in diesem anspruchsvollen Umfeld schlagen und wie sich insbesondere die Kosten auf die Gewinnmargen auswirken. Ich gehe aktuell davon aus, dass ein wesentlicher Teil der Korrektur bereits hinter uns liegt. Für eine Erhöhung der Aktienallokation ist es aktuell aber noch zu früh.

Die Federal Reserve hat eine aggressive Kampagne zur Straffung der Geldpolitik eingeleitet. Wie weit wird die Fed Ihrer Meinung nach gehen, um die Inflation zu bekämpfen?
Notenbankchef Jerome Powell stellte bei der Pressekonferenz nach dem letzten Zinsentscheid die Bekämpfung der unerwünscht hohen Inflation und das Wiedererlangen der Preisstabilität unmissverständlich in den Vordergrund der Geldpolitik. Deshalb dürfte der Leitzins auch beim nächsten Treffen im Juli um 75 Basispunkte angehoben werden, gefolgt von weiteren, kleineren Schritten. Es ist aber durchaus möglich, dass die Fed schon bald eine Pause einlegen wird, um die Auswirkungen der Zinserhöhung auf die Inflationsentwicklung abzuwarten. Denn Zinserhöhungen greifen bekanntlich erst mit einer gewissen Verzögerung. Sollte sich das Wirtschaftswachstum weiter abschwächen und der Inflationsdruck gemäss unseren Erwartungen nachlassen, könnte es schon Mitte 2023 zu einer Rückkehr zu einer wieder lockereren Geldpolitik kommen.

Der US-Dollar hat erheblich an Wert gewonnen. Welche Auswirkungen hat der starke US-Dollar auf die Weltwirtschaft und die globalen Finanzmärkte?
Der starke US-Dollar wird vor allem für amerikanische Unternehmen zum Problem. Denn rund 40% der Umsätze der S&P 500 Unternehmen werden im Ausland erwirtschaftet. Für Unternehmen in Schwellenländern führt der starke US-Dollar zudem zu höheren Finanzierungskosten, da viele Firmen Schulden in US-Dollar aufgenommen haben. Für Schweizer Anleger sind wir aktuell neutral positioniert und gehen davon aus, dass sich der USD/CHF-Kurs weiterhin in der Bandbreite zwischen 0.90 und 1.00 bewegen wird.

Was können wir Ihrer Meinung nach in der zweiten Jahreshälfte bezüglich der Aktienrenditen erwarten?
Ich gehe davon aus, dass die Volatilität an den Aktienmärkten hoch bleiben wird. Gemäss den neusten Statistiken haben viele «Retail-Investoren» sich aus den Aktienmärkten wieder verabschiedet und die Stimmung ist allgemein sehr negativ. Dies ist normalerweise eine gute Ausgangslage für kurzfristige Erholungs-Rallys. Für einen längerfristigen Aufwärtstrend wäre ein Umschwenken der Zentralbanken und eine Abkehr von der restriktiven Geldpolitik nötig. Dies wird aber noch etwas dauern.

Wie sieht es mit Chancen für Investoren aus? Gibt es bestimmte Bereiche, die Sie im Auge haben?
Da die nächsten Zinserhöhungen weitgehend in die Zinskurven eingepreist sind, sehen wir wieder vermehrt Anlagemöglichkeiten bei Obligationen. Wer jetzt Aktien kaufen möchte, sollte sich vor allem auf Unternehmen mit soliden Bilanzen (wenig Schulden) und Preissetzungsmacht konzentrieren. Zu den Sektoren, welche wir nach wie vor übergewichten gehören beispielsweise Gesundheitsunternehmen und Infrastrukturaktien.

Haben Strukturierte Produkte einen Platz in Ihrer Asset Allocation?
Auf jeden Fall. Gerade das neue Umfeld von höheren Zinsen kombiniert mit tiefen Aktienständen und hoher Volatilität eröffnet viele interessante Anlagemöglichkeiten.

Und wenn ja, wie und wo und welche Strukturen?
Für konservative Anleger gibt es zum ersten Mal seit Jahren wieder die Möglichkeit in Kapitalschutzprodukte mit einer attraktiven Partizipationsrate (z. B. an einem Aktienindex) zu investieren – sogar in Schweizer Franken. Als Ergänzung zu einem diversifizierten Portfolio sind zudem (Barrier) Reverse Convertible Strukturen interessant. Selbst mit einer tiefen Barriere sind je nach Basiswert (wir setzen vor allem auf Indizes) Coupons im Bereich von 8% wieder realistisch. Schon seit längerem im Einsatz haben wir aktive gemanagte Zertifikate (AMC), mit welchen wir insbesondere unsere Themenschwerpunkte umsetzen.

Welches ist Ihre persönliche, favorisierte Anlage für die kommenden 6-12 Monate?
Wir bevorzugen im aktuellen Umfeld nach wie vor Realwerte. Dazu zählt Gold als Diversifikationsanker im Portfolio aber auch Aktien. Selbst wenn kurzfristig die Volatilität an den Aktienmärkten erhöht bleiben wird, werden sich attraktive Kaufgelegenheiten eröffnen. Der Fokus sollte sich dabei auf Qualitätsaktien richten. Zu den Sektoren, welche diese Merkmale aufweisen und gleichzeitig attraktiv bewertet sind, gehören beispielsweise Aktien von Pharmaunternehmen.

Vielen Dank!

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Nicolas Peter ist Leiter Banking & Investments und Mitglied der Geschäftsleitung der Aquila AG. In seiner Funktion ist er für das Depotbankgeschäft der Aquila verantwortlich und unterstützt mit seinem Team die unabhängigen Vermögensverwalter in der Aquila-Gruppe mit Portfolio Management Dienstleistungen, Finanzmarktpublikationen wie auch Anlageempfehlungen. Er startete seine berufliche Laufbahn im Investment Advisory bei der Coutts & Co. AG in Genf und Zürich wo er internationale private und instituti- onelle Vermögensverwaltungs- und Beratungskunden betreute. Zwischen 2011 und 2016 leitete er verschiedene Teams innerhalb der Portfolio Management Einheit und war Head of Discretionary Portfolio Service bevor er 2016 zur Aquila AG gestossen ist.

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