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payoff Learning Curve

Derivatbörsen der Welt (Teil 1): Strukis in Europa

02.05.2012 8 Min.
  • Martin Diethelm

Strukturierte Produkte gehören global zum Standard der modernen Geldanlage. Doch unterscheiden sich die Vorlieben in den einzelnen Ländern stark. Ein Blick über den Tellerrand in einer zweiteiligen Serie mit Start an Europas Derivatbörsen.

Angebotsrekord in Deutschland

Nach der Schweiz ist der deutsche Markt der zweitgrösste in Europa mit einem Marktwert von gut EUR 100 Mrd. an ausstehenden Produkten. Zum Vergleich: In der Schweiz liegen gemäss der Nationalbank Strukturierte Produkte im Wert von fast CHF 200 Mrd. in den Depots. In Deutschland teilen sich 16 Banken 90% des Volumens. Anders als in der Schweiz ist der Markt stark von inländischen Banken dominiert. Der grösste ausländische Emittent ist die UBS mit einem Marktanteil von weniger als 3%. Ein zweiter grosser Unterschied zur Schweiz liegt in der Anzahl erhältlicher Produkte. An den zwei Derivatbörsen Euwax und Scoach (DE) sind zusammen weit über eine Million Produkte kotiert, während an der Scoach (CH) weniger als 40’000 Strukturierte Produkte angeboten werden. Dies hat u.a. damit zu tun, dass in der Schweiz häufiger massgeschneiderte Produkte angeboten werden und ein grösserer Anteil des Handels ausserhalb der Börse stattfindet.

Deutsche mögen es konservativ

Trotzdem sind die kumulierten Handelsvolumina der beiden Börsen in Deutschland nur unwesentlich grösser als dasjenige in der Schweiz. Die deutschen Anleger scheinen weniger risikobereit zu sein als ihre Schweizer Kollegen. Rund zwei Drittel der in Deutschland angebotenen Derivate (nach Marktwert gemessen) fallen in die Kategorie der Kapitalschutzprodukte. Der Anteil von Partizipationsprodukten liegt unter 10%, Renditeoptimierungsprodukte sind leicht beliebter. Hebelprodukte machen nur gut 1% aus. In der Schweiz ist jeder zehnte Franken in Hebelprodukte investiert.

Italienische Bonds als Konkurrenz für Strukis

Etwas kleiner ist der Markt in Italien. An der SeDeX, dem Ableger für Strukturierte Produkte der Borsa Italiana, sind derzeit 4’268 Strukturierte Produkte mit einem gesamten Marktwert von gut EUR 10 Mrd. kotiert. Dabei wird fast jedes zweite Derivat von der Société Générale herausgegeben. Ab dem zweiten Halbjahr 2011 sind die Emissionsvolumina stark zurückgegangen, vor allem komplexe Produkte wurden deutlich weniger nachgefragt. Im Januar 2011 verbuchte die Börse ein Handelsvolumen von EUR 1,3 Mia. Im August lag dieser Wert bei knapp der Hälfte. Als Grund dafür wird angeführt, dass durch die Kreditkrise italienische Staatsanleihen besser rentierten als manch kompliziertere Produktstruktur und deshalb das Interesse zurückging. Nach wie vor sehr beliebt sind Warrants sowie Mini-Futures, deren Kategorien zusammen fast drei Viertel der ausstehenden Produkte und über 85% des Handelsvolumens zuzuordnen sind. Kapitalgeschützte Produkte sowie einfache Tracker sind relativ rar. Von den Renditeoptimierungsprodukten entfällt fast die Hälfte auf Express-Zertifikate, die in der Schweiz ein Schattendasein fristen.

Boom in Frankreich und Holland

Die NYSE Euronext European Markets ist Haupthandelsplatz für Wertschriften aus vier Ländern: den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Portugal. Ein grosser Effizienzgewinn für die Emittenten entsteht daraus allerdings nicht. Trotz der gemeinsamen Börse muss ein Strukturiertes Produkt in jedem Land einzeln zugelassen werden, sodass an der Euronext vier separate Handelsplätze und entsprechend unterschiedliche Produktpaletten nebeneinander existieren. Insgesamt wurden 2011 an der Euronext in fünf Millionen Trades Strukturierte Produkte im Wert von knapp EUR 28 Mrd. gehandelt, was einem Zuwachs von 19% gegenüber dem Vorjahr entspricht, siehe Abbildung 2. Von den vier Märkten ist der holländische der grösste bezüglich Handelsvolumen, während dafür in Frankreich die Produktauswahl breiter ist. Die Anzahl gelisteter Produkte hat in beiden Märkten innerhalb eines Jahres um über die Hälfte zugenommen. Offenbar sind Franzosen und Niederländer risikofreudig: In Frankreich nehmen Mini-Futures und Warrants die obersten Stellen der Beliebtheitsskala ein. In Holland hingegen sind Warrants weitgehend unbekannt, Mini-Futures rangieren einsam an der Spitze. Kapitalgeschützte Produkte werden weniger angeboten. Auf dem französischen Markt sind nur 15 Stück verfügbar.

Portugiesen lieben den DAX

Sowohl in Frankreich als auch in Holland ist Gold der zweitbeliebteste Basiswert – jeweils nach den heimischen Aktienindizes. Die Portugiesen haben sich hingegen mit dem DAX angefreundet. Über die Hälfte des Handels von gut einer halben Milliarde Euro jährlich wird mit Produkten auf den deutschen Index generiert. Dass die Beliebtheit des deutschen Leitindex DAX seit den erfolgten Finanzhilfen für die klammen Portugiesen zugenommen hat, darf wohl dem Reich der Gerüchte zugeordnet werden. Nochmals deutlich kleiner ist der belgische Markt. Mit 10’000 Trades wurden Mini-Futures und Outperformance-Zertifikate im Gesamtwert von EUR 33 Mio. über die Börse verschoben. Andere Produkte werden nicht gehandelt. Allerdings ist die Gesamttendenz steigend: Der Umsatz hat im letzten Jahr um ein Drittel zugenommen.

Schweden als Nummer 1

In Skandinavien buhlen gleich drei Börsen für Strukturierte Produkte um die Gunst der Trader. Die NDX, eine Tochter der Euwax, deckt die Märkte Schweden, Finnland und Norwegen ab. Anhand des Beispiels der NDX lässt sich eine Tendenz erkennen, die sich in vielen anderen Märkten widerspiegelt: In jungen Märkten werden vorwiegend Hebelprodukte angeboten, während in etablierten Märkten auch konservativere Derivate gehandelt werden, siehe Abbildung 3. Das überschaubare norwegische Segment beinhaltet rund 300 Produkte, davon sind zwei Drittel Hebelprodukte, der Rest entfällt auf Partizipationsprodukte. Im dreimal grösseren finnischen Markt gehört schon jedes 20. Produkt in die Klasse der Kapitalschutzprodukte, im relativ grossen schwedischen Markt mit insgesamt 4’300 gehandelten Produkten jedes 14. In allen drei Märkten sind Renditeoptimierungsprodukte rar. Nur Outperformance-Zertifikate und wenige Express-Zertifikate sind in Schweden und Finnland auffindbar. Deutlich kleinere Volumina werden an der Nasdaq OMX gehandelt, dies mit schwedischen, finnischen und dänischen Produkten. Seit einem Jahr ist mit Burgundy eine dritte Börse auf dem skandinavischen Markt aktiv.

Aufschwung in Austria

In Österreich sind die Handelsvolumen seit der ersten Erhebung in 2006 stetig steigend. Einbrüche wie in der Schweiz oder Deutschland in Folge der Finanzkrise sind kaum erkennbar. Momentan sind Strukturierte Produkte von gut 13.5 Mia. EUR in österreichischen Depots registriert. Derzeit sind 3‘757 Anlageprodukte und 2‘526 Hebelprodukte an der Wiener Börse kotiert. Volumenmässig dominieren allerdings auch in diesem Markt die Anlageprodukte, wobei solche mit Kapitalschutz in der Minderheit sind (ca. 10%). Auf Seiten der Emittenten ist die Raiffeisen Centrobank (RCB) die Nummer eins in der Alpenrepublik, gefolgt von Erste Bank, Volksbank und der Bank Austria. Ferner sind die BNP Paribas, Deutsche Bank und die RBS mit eigenen Derivate-Teams am Österreichischen Markt aktiv. Bei der Anlegerschaft halten sich nationale und internationale Basiswerte in der Beliebheitsskala die Wage.

Legale Steuertricks in Spanien…

Düstere Wolken sind temporär für Strukturierte Finanzprodukte in Spanien aufgezogen. Aufgrund der desolate Kassenlage hat das Finanzministerium eine zweijährige Steuererhöhung (um 7% auf jetzt 25%) auf Kapitalerträge erlassen. Postwendend wurden dramatisch weniger Neuemissionen für Strukturierte Produkte lanciert. Doch die Derivate-Branche kontert mit einer kreativen Lösung: «Einige unserer Counterparts haben für uns einfach Produkte strukturiert, deren Erträge erst ab dem zweiten Laufzeitjahr ausgeschüttet werden – statt auf jährlicher Basis.» erläutert Juan Pablo Jimeno, Head of Global Structured Solutions bei BBVA in Madrid das simple Rezept für Steueroptimierung. Neben der BBVA sind bekannte Namen wie Banco Santander, Deutsche Bank, Commerzbank oder BNP Paribas am Markt aktiv.

…aber hoher Nationalstolz bei Basiswerten

Die spanischen Anleger setzten bevorzugt auf heimische Werte – im Gegensatz zu den Portugiesen, die besonders den DAX als Basiswert schätzen. 65% aller Hebelprodukte sind auf spanische Aktien oder Aktienindizes bezogen. Der Rest verteilt sich auf Internationale Indizes (9%), Ausländische Aktien (16%) und Devisenpaare (10%). An der Bolsa de Madrid wurden im letzten Jahr ingesamt Hebelprodukte im Volumen von 1.3 Mia. EUR gehandelt, in den ersten drei Monaten des neuen Jahres gingen die Volumen leicht zurück. Derzeit sind 3‘825 Hebelprodukte und rund 900 Anlageprodukte gelistet.

Bescheidenes Angebot in England

In der Finanzmetropole London haben sich Strukturierte Produkte bislang noch nicht richtig durchgesetzt. An der London Stock Exchange wird ein jährliches Volumen von umgerechnet etwas mehr als CHF 1 Mrd. gehandelt. Ein zentraler Grund für die niedrige Popularität liegt in der unvorteilhaften steuerlichen Behandlung Strukturierter Produkte. Gemäss David Lake, Head of UK Sales, Investor Products & Equity Derivatives bei der RBS, interessieren sich die Briten insbesondere für Autocall-Zertifikate. Eine steigende Nachfrage wird bei inflationsgeschützten Produkten und Tracker, die auf proprietäre Indizes der Emittenten lauten, registriert. Da der Markt an individuellen Investoren noch relativ jung ist, dürfte in diesem Segment in den nächsten Jahren ein Wachstum einsetzen. Insgesamt präsentieren sich die jeweiligen Märkte in Europa trotz gewisser Harmonisierung bei der Regulierung mit einem grossen Eigenleben. Wie die Situation in Fernost und der restlichen Welt aussieht, lesen Sie in der folgenden Ausgabe des payoff magazines.

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