Zurück
payoff Interviews

«Deutsche Parteien werden kaum eine homogene Wirtschaftspolitik zustande bringen.»

31.10.2017 5 Min.
  • Martin Raab

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, über die künftige Parteienlandschaft, Potenzial bei Autoaktien, Vermögenspreisinflation und den immer noch grossen Mangel an Dividendentitel im Portfolio.

Herr Krämer, der Wahlausgang in Deutschland hat selbst Pessimis-ten überrascht. Wie gut haben Sie getippt?
Grundsätzlich überrascht hat mich das Ergebnis nicht. Bundeskanzl erin Merkel hat durch die Öffnung der Grenzen 2015 viele konservative Wäh­ler politisch heimatlos gemacht. Viele von denen haben aus Protest die AfD gewählt. Entsprechend haben CDU/CSU heftige Verluste erlitten. Nachdem die SPD eine Neuauflage der grossen Koalition kategorisch ausgeschlossen hat, braucht Merkel nicht nur die FDP, sondern auch die Grünen, um im Bun­destag eine Mehrheit zu bilden. Aber die potentiellen Regierungspartner vertreten sehr unterschiedliche poli­tische Positionen. Sie werden kaum eine homogene Wirtschaftspolitik zu­stande bringen.

«Die künftige Regierung kann froh sein, dass die deutsche Wirtschaft im Moment so gut wächst.»

Welche Auswirkungen auf die Wirtschaft für die nächsten 12-18 Monate erwarten Sie generell – oder sind die Einflüsse auf die Realwirtschaft gar marginal?
Die künftige Regierung kann froh sein, dass die deutsche Wirtschaft im Moment so gut wächst. Dabei könnte es noch zwei, drei Jahre bleiben. Denn die EZB wird ihre Leitzinsen noch lan­ge auf einem Niveau belassen, das für die deutsche Wirtschaft viel zu nied­rig ist. Damit facht sie die Konjunktur weiter an – auch wenn es unter der glänzenden Oberfläche Fehlentwick­lungen gibt.

…was könnte die neue Regierungs-konstellation für die zuletzt im medialen Kreuzfeuer gelegene Automobil-Industrie, und damit den deutschen Auto-Aktien, für neue Impulse bringen?
Die Grünen fordern, nach 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Sie neigen zu einer dirigistischen Haltung, um ihre Kern­anliegen in der Umweltpolitik durch­zusetzen. Der politische Druck auf die Auto­Industrie dürfte hoch bleiben, auch wenn die Union und die FDP ein Überspannen des Bogens verhin­dern dürften. Aber die Probleme sind in den Kursen der Autobauer weit­gehend eingepreist, wenn man an die sehr niedrige Bewertung ihrer Aktien denkt. 

…apropos Modernisierung. Bringt die FDP jetzt die Telekommuni-kationsbranche in Deutschland mit ihrem Digitalisierungsplan in Hochstimmung?
In ihrem Programm spricht sich die FDP dafür aus, die Beteiligung des Bundes an der Telekom und der Post zu verkaufen und mit den Erlösen das Breitbandnetz auszubauen. Auf diesem Gebiet dürfte es einen Schub geben, den die Wirtschaft dringend braucht. Schliesslich sind deutsche Unternehmen laut einer Umfrage des Deutschen Industrie­ und Handels­tags mit der Breitbandanbindung nicht zufrieden. Als Schulnote verga­ben sie im Durchschnitt nur eine 3,7.

Anderes Stichwort: Energiewende. Daran wird wohl festgehalten. Sind deutsche Energiekonzerne noch oder gerade wieder einen Kauf wert?
Die Grünen wollen den Anteil der er­neuerbaren Energien weiter erhöhen. Das könnte sich positiv auf die Absatz­preise der Energiekonzerne auswir­ken. Wir empfehlen daher nicht mehr, Energiekonzerne unterzugewichten. Aber grundsätzlich bleibt es beim Ge­genwind von der Energiewende. Das begrenzt mögliche Kursgewinne.

«Vom Ausverkauf im Sommer hat sich der DAX mittlerweile erholt.»

Welche Einflüsse wird die neue Bundestags-Konstellation auf den Euro in den nächsten drei bis sechs Monaten haben?
Die FDP ist gegen eine vermeintliche Stabilisierung der Währungsunion durch noch mehr Umverteilung. Statt­dessen steht die FDP zum Geist des Maastricht­Vertrags und setzt auf Ei­genverantwortung der Staaten. Die FDP fordert deshalb, den ESM­Ret­tungsfonds zurückzufahren. Mit einer FDP in der Regierung und vielleicht sogar an der Spitze des Finanzminis­teriums dürfte Deutschland nur sym­bolische Schritte in Richtung Macron machen. Das dürfte den Euro etwas belasten, nachdem er nach der Wahl Macrons deutlich gestiegen war.

Wagen Sie eine Jahresend-Prognose (31.12.2017) für den DAX?
Der Dax ist seit Ende August kräftig gestiegen. Er liegt deutlich über unse­rem Jahresendziel von 12’600 Punk­te. Außerdem sind die Preise für Ab­sicherungsinstrumente sehr niedrig, es herrscht Sorglosigkeit. Damit sind auf die kurze Sicht Rückschläge mög­lich. Aber 2018 sollte es in der Grund­tendenz weiter nach oben gehen. Denn trotz des Endes der Anleihenkäufe wird die EZB noch lange eine sehr lockere Geldpolitik betreiben. Die Vermögens­preisinflation ist noch nicht beendet.

Auf welche makroökonomischen Signale sollten Anleger in nächster Zeit verstärkt achten – zur Indikation von wirtschaftlichen Risiken?
Der EUR­USD­Wechselkurs hat kurz­fristig noch immer einer starken Ein­fluss auf die Aktienkurse.

Welches Anlagerezept geben Sie persönlich?
Die EZB steht unter dem Einfluss der hoch verschuldeten Länder aus dem Süden der Währungsunion. Sie wird ihren Einlagensatz noch lange im ne­gativen Bereich lassen. Mit Blick auf das anhaltend niedrige Zinsniveau ha­ben viele deutsche Anleger noch im­mer zu viele Zinstitel und zu wenige Dividendentitel im Portfolio.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

VITA
Jörg Krämer, 51, ist Chefvolkswirt der Commerzbank. Zuvor hat der am Kieler Institut für Weltwirtschaft promovierte Ökonom für die Hypo-Vereinsbank, für Invesco Asset Management und für Merrill Lynch gearbeitet. Jörg Krämer studierte Volkswirtschaftslehre an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken