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payoff Interviews

«Die Deutschen mögen keine Veränderung.»

10.09.2017 7 Min.
  • Martin Raab

Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt Bremer Landesbank, über den Kraftprotz Deutschland, Konjunkturrisiken, prekäre Daten aus Amerika, dem Euro-Dollar-Wechselkurs und seine Erwartungen für die deutsche Wahlnacht.

Herr Hellmeyer, die deutsche Wirt-schaft wird inzwischen als Europas Kraftprotz bezeichnet. Was sind die Ursachen für den aktuellen Boom – alles nur dank dem florierenden Export?
Der Export spielt eine Rolle, war zuletzt aber wenig dynamisch. Deutschland ist der Hort der Hidden Champions. Das ist der gehobene Mittelstand, der in der jewei-ligen Branche Marktführer ist und auf glo-baler Ebene in dieser Branche unter den stärksten drei Unternehmen reüssiert. Von weltweit 2’700 Hidden Champions hat Deutschland einen Anteil von circa 40% bei einem Anteil an der Weltbevölkerung von gut 1%. Die Reformen unter Gerhard Schröder wirken nach. Das niedrige Bewertungs-niveau des Euros als auch die Zinspolitik der EZB kommen uns zugute.

… grösster Handelspartner der Bun-desrepublik sind die USA für Exporte Ist das Fluch oder Segen?
Weder noch! Die USA haben einen Anteil in Höhe von 16% an der Weltwirtschaft. Vergleiche mit Frankreich, das zuvor diese Rolle einnahm, hinken, weil die Grösse der Volkswirtschaften dabei unberücksichtigt bleibt. Die Eurozone oder auch die EU als vergleichbare Grössen sind für Deutsch-land bedeutender als die USA. Die aktu-ellen Handelsdispute mit den USA stellen ein bedeutendes Konjunkturrisiko für Deutschland dar. Sie sind aber ein ebenso grosses Risiko für die USA. Die USA gehen mit den derzeitigen Ansätzen in der Han-delspolitik das Risiko einer internationalen Selbstisolierung ein. Deutschland und die EU stehen vor beachtlichen Herausforde-rungen. Es bedarf einer Neuausrichtung in der Aussen- und Handelspolitik, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden.

… könnte China ein neuer Freund sein? Von dort wird ja schon fleissig importiert.
Die Importabhängigkeit von China sehe ich entspannter. China entwickelt sich vom Lohnniveau her sportlich. Die Standortvor-teile Chinas schmelzen vor diesem Hintergrund als auch bezüglich des Risikos, das westliche Unternehmen mit der Standort-wahl China eingehen. Hier erwarte ich per-spektivisch eine Normalisierung.

Was meinen Sie mit Neuausrichtung der Aussen- und Handelspolitik genau?
Einerseits bedarf es einer Emanzipation gegenüber den USA und es bedarf ande-rerseits einer Neubewertung des Sektors der aufstrebenden Länder, die mit circa 64% Anteil an der Weltwirtschaft und einem Wachstumspfad von mindestens 4% der treibende Faktor der Dynamik der Welt-wirtschaft sind. Allen voran geht es dabei um die Projekte «One Belt – One Road» und «Seidenstrasse», die die Dynamik der Weltwirtschaft in der kommenden Dekade wesentlich bestimmen werden.

Sie sagten unlängst, die US-Wirtschaft sei inzwischen das schwächste Glied unter den globalen Volkswirtschaf-ten. Ein Risikoherd?
Das gilt in einer quantitativen Betrach-tung. Die USA sind letztes Jahr hinter den Wachstumsclip der Eurozone zurückgefal-len. Es gilt aber vielmehr um die qualitative Bewertung der Wirtschaft in den USA.

«DAX und Eurostoxx sowie europäische Aktien sind günstig bewertet.»

… heisst konkret?
Die private Konsumverschuldung nahm in den USA seit 2008 um mehr als 40% zu, während die mittleren Einkommen nominal um circa 20% stiegen bei den lockersten Kreditvergabestandards in der US-Geschichte. 70% des US-BIP sind mit dem Konsum korreliert. Das ist ein fragiles Gebilde. Im Unternehmenssektor hat sich gleichfalls das höchste Verschuldungsniveau in der Geschichte der USA angehäuft. Hinsichtlich der erwarteten Zinserhöhungen sind Risikoprofile ausgeprägt. Die Neuverschuldung der öffentlichen Hand stellte sich 2016 laut US-Treasury auf 5.5% des BIP für 1.5% Wachstum. Das ist qualitativ betrachtet prekär.

Wie gross schätzen Sie die Wahr-scheinlichkeit eines Abschwungs in den USA in den nächsten 12 Monaten ein?
Zunächst einmal haben wir im letzten und in diesem Jahr den Optimismus der Kollegen bezüglich Wachstum in den USA aus diesen eben genannten strukturellen Gründen nicht geteilt. Ich sehe für das laufende und auch kommende Jahr besten-falls Wachstumsclips zwischen 1.5% – 2.0% in den USA. Das Rezessionsrisiko liegt bezüglich der Strukturdaten bei 35%.

Welche Erwartungen haben Sie zur weiteren Euro-Dollar-Entwicklung?
Ich bin für die Bewertung des Euros zuver-sichtlich. Anders als in den USA ist die Kreditvergabe nicht der entscheidende Wachstumstreiber, sondern es sind wie-derkehrende Einkommen. Deswegen ist die EZB besorgt, deswegen haben wir Null- und Negativzinsen und sportliche quantitative Massnahmen, um den Kreditvergabezy-klus in Gang zu setzen. Gegenüber dem USD hat sich eine neue Bandbreite zwi-schen 1.10 – 1.12 und 1.18 – 1.20 etabliert. Die dürfte sich in den kommenden neuen Monaten langsam Richtung 1.13 – 1.15 bis 1.23 – 1.25 verschieben.

Mit Blick auf Branchen: Wie sehen Sie die aktuelle Situation im export-starken Automobilsektor – drohen in nächster Zeit durch «Diesel-Gate» Umsatzrückgänge?
Deutsche Automobile sind und bleiben Qua-litätsprodukte. So erwarte ich eine überschaubare Belastung. Hinter dem Thema Diesel-Gate steht mehr internationale Handelspolitik als man es derzeit wahrhaben will. Dennoch, Schaden ist gegeben. Diese Krise wird die Innovationskraft der deut-schen Automobilindustrie fordern und für Neuausrichtungen sorgen.

Welche Sektoren oder Einzeltitel gehören zu einem ausgewogenen «Deutschland-Portfolio» und wie sehen Sie das allgemeine Bewertungs-niveau (KGVs)?
Der Konsum läuft dank eines starken Arbeitsmarkts. Der erhöhte Wachstums-pfad der Weltwirtschaft sorgt für Nach-frage im industriellen Sektor. Derzeit macht es bezüglich der aktuellen politischen Lage Sinn, den Automobilsektor unterzugewichten. Das DAX-KGV liegt mit derzeit 13 deutlich unterhalb des Durchschnitts der Bewertung der letzten fünf Jahre. Das KGV des S&P 500 steht bei circa 19. DAX und Eurostoxx und Europa sind günstig bewertet. Die Qualität des Aufschwungs ist dank Basierung auf wiederkehrenden Einkommen bestechend.

Welchen Einfluss hat die Million Flüchtlinge auf die deutsche Wirt-schaftsleistung bzw. die Fiskalsitua-tion – sind Effekte erkennbar?
Das hat primär eine konsumtive Wirkung, die bezüglich des BIP sehr überschaubar ist, da diese Menschen vor Ort versorgt werden müssen. Es belastet die öffentlichen Haushalte. Es ist also ein durch öffentliche Schulden initiierter Wachstumsimpuls. Das darin liegende Potential kann bestenfalls erst langfristig gehoben werden.

Wagen Sie Prognosen für den Bundes-tagswahlkampf und die Implikation auf die Volkswirtschaft?
Die Deutschen mögen keine Verände-rung. Kanzlerin Merkel scheint gesetzt, ob nun via Koalitionspartner FDP, SPD oder Jamaika. Die Volkswirtschaft Deutschlands war überwiegend trotz und nicht wegen der Politik erfolgreich. Ergo sehen Sie mich entspannt.

… wird es dennoch einen «Wahlnacht»-Effekt im September auf die DAX-Familie geben?
Nein, ich gehe eher von einem Non-Event für die DAX-Familie aus.

Herzlichen Dank!

 

VITA

Folker Hellmeyer war nach dem Abschluss seiner Banklehre und der Bankakademie von 1984 bis 1987 als Kundenbetreuer im Devisenhandel der Deutschen Bank in Hamburg tätig. 1988 entsandte ihn die Bank als Kassahändler nach London. 1989 kehrte er zurück nach Hamburg und initiierte den Aufbau eines JPY-Handelsbuches. Nach weiteren Stationen im Interbanken-devisenmarkt, u.a. für die Landesbank Hessen-Thüringen, trat er im April 2002 als Chefanalyst und Chefvolkswirt bei der Bremer Landesbank ein. Darüber hinaus spielt Hellmeyer die maßgebliche Rolle im Advisory des im Januar 2016 aufgelegten BLB Global Opportunity Fund. Als Kommentator des Geschehens an den internationalen Finanzmärkten ist er u.a. bei ARD, ZDF, auf n-tv, N24, der Deutschen Welle und den dritten Programmen zu Gast. Im Jahr 2008 veröffentlichte Hellmeyer das Bestsellerbuch «Endlich Klartext» im FinanzBuch Verlag.

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