Zurück
payoff Interviews

Die Fed macht einen hervorragenden Job, übrigens auch die SNB

07.10.2021 11 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Herr Pedergnana, auf der ganzen Welt wird Geld gedruckt, trotzdem sind die Inflationszahlen historisch tief. Wie kann das sein?
Das geht auf die Quantitätsgleichung zurück. Wenn auf der einen Seite der Güterkorb respektive das Bruttoinlandprodukt wächst, muss auf der anderen Seite die Geldmenge zunehmen. Und zwar umso stärker, je stärker die Geldumlaufgeschwindigkeit fällt. In der Krise ist die Liquiditätshaltung von Unternehmen und privaten Haushalten in die Höhe geschnellt. Darauf haben die Zentralbanken die richtigen Antworten gefunden und geldpolitisch stabilisierend gewirkt.

Das überrascht mich.
Betrachten wir doch mal die Banknoten in der Schweiz. 58% des Werts aller Banknoten machen die 1’000-Franken-Noten aus. Diese haben einen Umfang von fast CHF 50 Milliarden, aber Hand aufs Herz: Wann haben Sie letztmals eine derartige Banknote in der Hand gehalten? Der grösste Teil des Notenumlaufs befindet sich in Safes und Tresoren. Die Bargeldhaltung ist zwar in die Höhe geschnellt, um Negativzinsen zu vermeiden, aber die Geldumlaufgeschwindigkeit ist in den Keller gefallen.

Und die Inflation?
Die Zentralbanken haben in der Vergangenheit ihre Inflationsziele bei einer Punktbetrachtung nicht erreicht. In den USA ist die Federal Reserve (Fed) als global erste Zentralbank zum Inflationsziel von 2% als Durchschnittswert übergegangen. Das bedeutet, dass nach Jahren des Unterschrei- tens der Zielmarke eine Zeit lang toleriert wird, wenn die Inflation 2% übersteigt. Wie lange diese Duldsamkeit währt, ist ungewiss.

Derzeit liegt die Kerninflationsrate in den USA bei 3.5%.
Der Fed Vorsitzende hat unlängst angedeutet, dass er das Inflationsziel bald als erreicht betrachtet. Allerdings hat die Fed als gleichberechtigtes Ziel nebst der Preisstabilität auch noch die Vollbeschäftigung zu verfolgen. Da ist weiterhin einiges im Argen. Die Beschäftigungsquote liegt anhaltend tief, und insbesondere Niedrigverdiener und Mitglieder von Minderheiten haben es schwer, vom Arbeitsmarkt im gegenwärtigen konjunkturellen Aufschwung erfasst zu werden. Die Fed misst dem Kampf gegen Ungleichheit inzwischen mehr Bedeutung bei und kommuniziert dies auch klar und transparent.

Gibt es denn Unterschiede zur Inflation in Europa?
Ja, gewiss. Die Inflationsentwicklung in Europa ist generell viel tiefer als in den USA. Deshalb ist die Geldpolitik auch weniger expansiv. Das stärkt den Euro längerfristig gegenüber dem Dollar. Die EZB hat als vorrangiges Ziel, die Preisstabilität zu sichern. Zudem soll sie, sofern dies nicht im Konflikt mit ihrem vorrangigen Ziel steht, die allgemeine Wirtschaftspolitik der Europäischen Union unterstützen.

Warum strebt die Geldpolitik keine Inflationsrate von 0% an?
Zum einen schätzen Zentralbanken aus einer jahrzehntealten Furcht vor einer Deflation einen Sicherheitsabstand gegenüber einem sinkenden Preisniveau. Zum anderen gibt es gute Hinweise, dass die ausgewiesene Inflationsrate die tatsächliche überzeichnet, weil sie Qualitätsverbesserungen von Gütern und Dienstleistungen unzureichend berücksichtigt. Das lässt sich beispielsweise an der Entwicklung des «VW Golf» darstellen. 1974 rollte die erste Generation nach dem legendären Käfer in Wolfsburg vom Band, mit 50 PS und einer maximalen Geschwindigkeit von 142 km/h. Die Sicherheitsvorkehrungen waren gering, die Anzahl an Verkehrstoten entsprechend hoch. Die achte Generation von 2019 weist eine deutlich bessere Motorenleistung auf und ist dennoch sparsamer. Zudem ist der VW Golf mittlerweile viel sicherer, komfortabler und luxuriöser ge- worden: ABS, Katalysator, Servolenkung, Airbag, Sechsganggetriebe, LED-Scheinwerfer, lasergeschweisste Verarbeitung. Start-Stopp-Automatik und ein komplettes Infotainmentsystem mit Sprachsteuerung runden das Fahrzeug ab. Das Auto von heute ist so digital und sportlich wie nie zuvor. Der reale Preis hat in diesen fast 50 Jahren zwar zugenommen, die Qualität allerdings noch viel mehr. Aber in der Inflationsberechnung kommt dies zu wenig zur Geltung.

Es gibt somit Inflation, also einen Preisanstieg. Was ist an der Rally der vergangenen 10 Jahre anders als in früheren Boomphasen?
Es gibt die reale Entwicklung, die uns vorantreibt. Daran wird auch der gegenwärtige De-Globalisierungstrend nichts ändern. Wir haben kein ununterbrochenes Rallye! Ging
das schon vergessen? Der pandemiebedingte Absturz im März 2020 war viel stärker und umfangreicher als jener der globalen Finanzkrise von 2008/09. Damals dauerte es sieben Jahre, bis die europäische Wirtschaft wieder das Vorkrisenniveau erreicht hatte. Diesmal geht’s schneller, weshalb die Aktienmärkte auf eine stolze 18-monatige Rallye zurückblicken können. Der Taucher seit dem Ende des 3. Quartals 2021 tut allen gut und erinnert daran, dass die Börse keine Einbahnstrasse ist.

«Der reale Preis hat in diesen fast 50 Jahren zwar zugenommen, die Qualität allerdings noch viel mehr.»

Die Opportunitäten liegen innerhalb der jeweiligen Anlageklassen, denn die Korrelationsmuster haben sich verändert. Was wir bevorzugen sind Unternehmen mit Preissetzungsmacht und hohen relativen Marktanteilen. Damit glauben wir, Alpha generieren zu können, also eine Rendite, die nicht durch die allgemeine Marktentwicklung bestimmt wird.

Welchen Einfluss spielen die Leitzinsen auf diese Entwicklung?
Die Leitzinsen liegen dort, wo sie am meisten Wirkung erzielen. Die Geldpolitik darf keinesfalls überreagieren. Die Fed – Hochachtung, eine grandiose Ansammlung kluger Ökonomen – macht einen hervorragenden Job, übrigens auch die SNB. Nach aussen wird vieles personifiziert, aber intern werden die Handlungsmöglichkeiten breit diskutiert und die Massnahmen immer klug abgestützt. Deshalb sind die Zentralbanken in der Umsetzung derart erfolgreich.

Und wo sorgen Sie sich um die Inflation?
Die Inflation, die ich derzeit mit grosser Sorge beobachte, ist die Inflation rund um «ESG». Es gibt bereits über 40 ESG-Ratings, 150 ESG-Rankings und 450 ESG-Indizes, wobei die grosse Zahl von Investmentbanken, staatlichen Organisationen und Forschungseinrichtungen nicht berücksichtigt ist, die eigene ESG-Analysen betreiben, die zur Erstellung von Ratings genutzt werden. Das ist verrückt und macht den Markt für Kundinnen und Kunden unüberschaubar sowie anfällig für sogenanntes «Greenwashing».

Aktien, Immobilien, Bonds – alles ist sehr teuer geworden. Gibt es noch «günstige» Assets?
Ich weiss nicht, ob der Begriff «sehr teuer» angemessen ist.

Aktien: Zurich oder auch Axa, da verdiene ich 7% Gewinnrendite auf CHF 100 Einsatz. Ist das teuer? Ich finde das vor allem sehr spannend. Zumal es deutlich mehr ist als ich mit sicheren eidgenössischen Anleihen «verdienen» könnte. Der SMI schwankte vor mehr als 20 Jahren zwischen 6’000 und 8’000 Punkten. Jetzt liegt er bei 11’500 Punkten. Wer da bereits Höhenangst kriegt, hat sich nie mit wirklich langfristigen Wirtschaftsentwicklungen befasst.

Immobilien: Ich war kürzlich gerade wieder in Deutschland. Die Immobilienqualität ist teils miserabel. Durch die Mieteinnahmen von EUR 7 pro Quadratmeter ist das Mieten zwar günstig – und die Immobilien, wenn man nicht gleich in München oder auf dem Prenzlauer Berg Ausschau hält, bleiben immer noch tief bewertet. Berlin, eine charmante, aber etwas schmuddelige Grossstadt mit einem wahrhaft veralteten Immobilienbestand, da gibt es viel zu tun. Der Immobilienmarkt steht erst am Anfang einer immensen Renovations- und Neubauwelle hin zur Schaffung von lebenswertem Wohnraum für alle. Da gibt es börsennotierte deutsche Immobiliengesellschaften, deren Wohnungen zu aktuell EUR 1’500 pro Quadratmeter be- wertet sind. Ist das teuer für die wichtigste Stadt Kontinentaleuropas?

Bonds: Seit bald zehn Jahren erzielen wir 3.5% Rendite (in Schweizer Franken) in einer Lösung, die schwerpunktmässig auf europäischen Unternehmensanleihen in den Bereichen BBB und BB setzt. Auch heute noch haben wir keine Mühe, 2.5% bis 3.5% Rendite zu erwirtschaften – das reicht von nachrangigen Versicherungsanleihen, mit denen ich eine Komplexitätsprämie erwirtschaften kann, bis hin zu Anleihen von Private Equity-geprägten Portfoliogesellschaften sowie Anleihen von nichtkotierten Familienunternehmen. Selektiv und diszipliniert.

Die Aktienmärkte scheinen nun langsam ein Top erreicht zu haben und steigen kaum mehr. Ist der Aktienboom vorbei?
Diese Frage wird seit hundert Jahren gestellt. Weil man aus der Vergangenheit her ableitet, dass die Märkte höher als früher sind. Haben Sie sich schon mal gefragt, ob das Bruttoinlandprodukt (BIP) seinen Höhepunkt erreicht hat? Nein – hat es übrigens auch nicht. Es wächst und wächst und wächst, hier am Beispiel der USA; 2020 kam es zur kürzesten Rezession der Wirtschaftsgeschichte. Nun sind wir wieder zurück auf dem Wachstumspfad.

Das wachsende (nominelle) BIP bildet den Nährboden für privatwirtschaftliche Innovationen. Die Schlüsselvariable auf dem Aktienmarkt sind letztlich die Unternehmensgewinne und deren Aussichten. Da besteht für mich kein Zweifel, dass diese sich noch lange nach oben entwickeln können. Aber in keiner Branche wird das zum einfachen Spaziergang. Derzeit vermeiden wir den typischen Maschinen- und Anlagebau mit seinen geringen Margen; dagegen gibt es im Biotech- und Medtech-Bereich, in der chemischen und pharmazeutischen Industrie wie auch in der IT-Branche viele grossartige Entwicklungsmöglichkeiten.

Welche Teilsektoren an den Aktienmärkten haben noch Luft nach oben. Wo sehen Sie am ehesten noch Potenzial?
Grundsätzlich sehe ich bei vielen Aktien noch Potenzial, aber auch bei breit diversifizierten Privatmarktanlagen sowie bei europäischen Unternehmensanleihen im Crossover-Bereich. Bei den Aktien fühle ich mich mit Substanzwerten wohl, die mir auf 100 Franken eine Gewinnrendite von 5% und mehr erwirtschaften. Liegt die Gewinnrendite darunter, muss dies mit einem überzeugenden Geschäftsmodell sowie einer superioren Marktstellung mit überdurchschnittlichen Wachstumsperspektiven einhergehen.

Was halten Sie von Edelmetall-Investments? Die Preise erscheinen in diesem Bereich noch verhältnismässig günstig.
In Frage käme einzig Gold, rein vom Volumen her und aus Gründen der Handelbarkeit. Gold ist realwirtschaftlich jedoch immer noch gleich viel wert wie vor 3’000 Jahren, d. h. es ist exzellent für den langfristigen Vermögenserhalt, allerdings aufwändig in der Verwahrung. Für den Bestimmungszweck einer absehbaren Wertsteigerung kann es nicht eingesetzt werden.

Und wie beurteilen Sie Investitionen in Krypto-Currencies?
Meine Söhne sind investiert, ich nicht. Persönlich tätige ich nur Investments, die auf einer Prognose des zukünftigen «Cash Flows» basieren. Vielleicht mag ich mal den Gegenwartswert der erwarteten «Cash Flows» einer Aktie, einer Anleihe oder einer Immobilie falsch einschätzen, aber die Aussicht auf eine Rendite über eine bestimmte Anzahl Planjahre besteht zumindest. Wo mir diese Perspektive fehlt, wie auch bei Gold oder Rohöl, investiere ich nicht.

Die Märkte sind zweifelsohne «aufgeblasen». Aber wie weit weg sind wir von einem Platzen dieser Blasen?
Es gibt weltweit eine immer grössere Menge an Menschen, die deutlich mehr als das Existenzminimum als Haushaltseinkommen verfügen. Mit diesem «mehr» leisten sie sich Dinge, die man sich vor 20, 30 Jahren vielleicht nicht hätte leisten können oder technologisch noch nicht vorlagen: Man fährt mit einem rassigen e-Bike herum, leistet sich eine Reise auf den Hurtigruten, macht ausgiebige Ferien in Australien und lässt dort die Seele baumeln. Andere wiederum geben eine sechsstellige Zahl für ein Heimkino mit Micro LED-Technologie aus.

«Wo mir diese Perspektive fehlt, wie auch bei Gold oder Rohöl, investiere ich nicht.»

Viel von unserem erwirtschafteten Einkommen fliesst in die höheren «Ebenen der maslowschen Bedürnispyramide». Das kann schon mal dazu führen, dass man für tausend Franken zu einem Endspiel eines Tennis- oder Fussballturniers oder zu einer Opernaufführung nach Verona reist und sich nicht einmal mehr darüber wundert, dass die Protagonisten selbst x Millionen im Jahr verdienen. Als ich geboren wurde, kostete die erste James Bond-Verfilmung noch USD 1 Million. Heute verschlingt jede 007-Ver- filmung bis zu USD 300 Millionen – mit aberwitzigen Effekten. In diesem Sinne ist die ganze Welt «aufgeblasen», aber wer will denn das Rad der Zeit um hundert Jahre zu- rückdrehen und 60 Stunden in der Woche in einem staubigen schwerindustriellen Betriebnebst einem heissen Hochofen malochen für ein paar Kreuzer?

Alternative Anlagen wie Oldtimer, Wein, Kunst oder Briefmarken. Welches alternative Investment lässt ihr Herz persönlich höherschlagen?
Grundsätzlich soll es einem Freude bereiten. Da gefällt mir auch eine Goldkette am Hals einer Frau oder ein schöner Diamantring. Meine persönliche alternative Anlage ist zweigeteilt. Einerseits setze ich auf die Dekarbonisierung und bin seit vielen Jahren in den globalen Technologie-Leader Carbon Clean investiert. Anderseits gefällt mir die Idee von Mikrofinanzierung. Da bin ich ebenfalls schon seit mehreren Jahren in Midland Microfinance in Indien investiert. Da geht es um die finanzielle und soziale Stärkung von rund 400’000 gewerbetreibenden Frauen in ländlichen Gebieten, die sich dank seriös strukturierter Kleinstkredite aus der Armut herauskämpfen.

Sehr eindrücklich. Vielen Dank fürs Interview.

____

Maurice Pedergnana, 56, ist ein Teamplayer. In jungen Jahren war er begeisterter Fussballer, dann studierte er Volkswirtschaft und Managementlehre an der HSG in St. Gallen und schloss mit einem Doktorat ab. Nach einigen Jahren in der Unternehmensberatung, u.a. in der Finanzbranche, wechselte er an die Hochschule Luzern – Wirtschaft. Anlegen ist seine Passion. Seit dem 1.1.2009 ist er bei der Zugerberg Finanz AG und leitet da den Anlageausschuss. Inzwischen verfügt die Gesellschaft über mehr als 50 Mitarbeitende.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken