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payoff Interviews

«Die K.O.-Strategie der Lufthansa ging voll auf.»

14.11.2017 8 Min.
  • Martin Raab

Dr. Gerald Wissel, CEO Airborne Consulting und Europas führender Luftfahrtexperte, über die Hintergründe zum Air Berlin Konkurs, Strategiepläne der Golfstaaten-Airlines, Frischzellenkuren und warum er keinen Regionalflughafen mehr kaufen würde.

Herr Wissel, im Luftfahrtsektor liegt mehr denn je Fluch und Segen eng beieinander. Das Grounding von Air Berlin hilft der Lufthansa erheblich, oder?

Das muss man differenziert betrachten. Einerseits versuchte Lufthansa jahrelang, Air Berlin zu schwächen und marode zu machen, war das doch der grösste Konkurrent im Heimatmarkt. Andererseits war Air Berlin aufgrund der relativ hohen Kostenstruktur immer noch für Lufthansa der genehmere Wettbwerber, als beispielweise easyJet oder Ryanair. Somit wollte Lufthansa ein Grounding mit allen Mitteln verhindern, was schlussendlich dazu geführt hat, dass ein Grossteil der attraktiven Slots an die Lufthansa geht. Alleine durch die Integration von SN Brussels und Air Berlin wächst Eurowings um mehr als 80 Flugzeuge und ca. 10 Mio. Passagiere.

Welche Taktik wendete die Lufthansa an, um Air Berlin zu piesacken?

Zunächst Lufthansa und dann Eurowings bzw. Germanwings haben über Jahre auf ausgewählten Strecken Ticketpreise absichtlich auf ein Niveau abgesenkt, welches nicht mehr profitabel war – weder für Lufthansa noch für Air Berlin. Allerdings hatte Air Berlin auf den Strecken letztlich höhere Verluste als die Lufthansa und keine Kapitaldecke. Das kann mittelfristig ein ziemlich giftiger Cocktail werden, wie man sieht. Die K.O.-Strategie der Lufthansa ging voll auf, hätte aber auch leicht nach hinten losgehen können.

Was umfassen die EUR 210 Millionen, welche Lufthansa an Air Berlin bezahlt, eigentlich genau?

Der Flugbetrieb von Air Berlin hat – bis auf die Start- und Landerechte bzw. sogenannte Slots – keine nennenswerten Assets. Allerdings dürfen Slots nach EU-Gesetz nicht verkauft werden. Damit diese nicht – wie im Falle eines Groundings – an die zentrale Slotvergabe zurückfallen und dann mit hoher Wahrscheinlichkeit an Wettbwerber, wie Ryanair oder easyJet gehen, hat Lufthansa ein anderes Konstrukt gewählt. Air Berlin verschiebt die Slots in Tochtergesellschaften mit eigener Betriebsgenehmigung, wie Niki oder LGW, welche dann an die Lufthansa verkauft werden. Zudem steigt Lufthansa in die bestehenden Leasing-Verträge der Flugzeuge ein und bietet dem fliegenden Personal Arbeitsplätze zu weitaus geringeren Konditionen. De facto kauft Lufthansa damit attraktive Slots.

Welche Auswirkungen hat das Verschwinden von Air Berlin auf den europäischen Luftverkehrsmarkt?

Insbesondere in Deutschland und Österreich baut Lufthansa seine Monopolsituation weiter aus, was schlussendlich zu höheren Preisen führen wird. Alles andere wäre illosorisch. Es scheint so, dass wir in einigen Märkten in Europa wieder zum dem alten Konstrukt der Home Carrierer zurückkommen: Monopolist mit starker Unterstützung seitens der Politik.

… die EU-Monopolkommission agiert hier nicht?

Auch hier muss man differenzierter betrachten: Einerseits hat die europäische Behörde den Wettbwerb in der gesamten EU im Fokus, der sich durch diesen Deal nicht signifikant ändern dürfte. Mit anderen Worten: Die Wettbewerbsposition von z.B. Air France oder British Airways ist nicht gefährdet. Andererseits sollten aber die
nationalen Wettbewerbshüter in Deutschland und Österreich sehr genau hinsehen, denn hier wird es bei bestimmten Strecken zu einer Monopolsituation kommen. Es
bleibt abzuwarten, wie sich die nationalen Behörden verhalten werden und welchen Einfluss die Politik am Ende haben wird.

… droht nach dem Desaster von Alitalia und Air Berlin nun die Investitonsfreudigkeit der Golfstaaten-Airline Etihad, welche an beiden beteiligt war, zu wanken?

Die Europa Strategie von Etihad bzw. dem damaligen CEO Hogan war eine einzige Katastrophe. Das gesamte Geld, welches über die letzten Jahre insb. in Air Berlin und Aliatlia gesteckt worden ist, konnte in keinster Weise auf der Langstrecke verdient werden, was unter dem Strich zu hohen Verluste für die Fluggesellschaft aus Abu Dhabi geführt hat. Emirates hatte seit Beginn auf eine andere Strategie gesetzt, wie z.B. auf eine homoge Flotte, die direkte Bedienung von Metropololen, die Vermeidung von grossen Zukäufen und Beitritten einer Allianz sowie einem konstistenten Marketing. Mit Abstrichen steht Emirates heute sehr gut da. Allerdings haben sowohl Etihad als auch Emirates keinen signifikanten Heimatmarkt und konkurrieren um die Streckenrechte der VAE. Ein Zusammenschluss beider Fluggesellschaften würde aus vielen Gründen Sinn ergeben.

In der Region ist ja auch noch Qatar Airways und Turkish Airlines zu Hause …

Turkish Airlines ist durch staatliche Förderung und politischen Ehrgeiz in den letzten Jahren stark gewachsen. Allerdings kann man auch hier die Wirtschaftlichkeit vieler
Strecken in Frage stellen, was jedoch durch agressives Marketing überstrahlt worden ist.

«Die Europa Strategie von Etihad bzw. dem damaligen CEO Hogan war eine einzige Katastrophe.»

Zudem ist Turkish Airlines nicht nur Mitglied der Star Alliance, sondern auch Anteilseigner von Sunexpress, der Fluggesellschaft, die für Eurowings eine Reihe an Strecken bedient, und dennoch einer der grössten Wettbewerber der Lufthansa. Das offenbart eine andere Baustelle: Das Luftfahrtbündnis Star Alliance und dessen zukünftige Ausrichtung.

Und die Kataris?

Qatar Airways ist ein Sonderfall. Dort ist man sehr ambitioniert und verfügt über sehr viel Kapital aus seinen Rohstoffreserven für die weitere Expansion. Zudem hat Qatar Airways in der Vergangenheit – wie auch Emirates und Etihad – sich von einer direkten Mitgliedschaft in einer der grossen Luftfahrtallianzen ferngehalten und sich stattdessen direkt an der IAG, der Muttergesellschaft von British Airways, beteiligt. Durch diese Beteiligung hat Qatar Zugriff auf ein grösseres Streckennetz und Umsteigeverbindungen, was das Nichtvorhandensein eines Heimatmarktes ein Stück weit kompensiert. Allerdings konkurieren alle drei Fluggesellschaften:
Emirates, Ethiad und Qatar Airways auf den selben Märkten und treiben damit einen harten Verdrängungswettbewerb, der sich auch auf die anderen internationalen
Fluggesellschaften auswirkt und weiter auswirken wird.

Etwas unter dem Radar flogen zuletzt die US-Airlines. Wie ist die Lage dort?

Alle amerikanischen Fluggesellschaften profitieren von einem sehr grossen Heimatmarkt. Zudem haben alle Airlines ein vergleichbar schlechteres Produkt und einen
noch schlechteren Service an Bord und Boden. Erst durch das staatlich subventionierte Chapter 11 Verfahren konnten sich die grossen Gesellschaften von finanziellen
Altlasten, wie Pensionsrückstellungen, befreien und dadurch zunehmend in Flotte und Produkt investieren. Auch wenn heute die Gesetzeslage einen transatlantischen
Merger von Fluggesellschaften verhindet, so bin ich überzeugt, dass genau darin ein grosses Potential liegen wird. Unabhängig davon werden die Amerikaner in Zukunft wieder stärker im weltweiten Luftverkehr mitmischen.

Welche Geschäftskonzepte sind derzeit aussichtsreich, welche eher Geldvernichtung?

Es ist erstaunlich, wie viele Menschen es immer noch gibt, die eine eigene Fluggesellschaft gründen möchten. Mein Team und ich haben jedoch bis heute keinen
Business Plan gesehen, von dem wir überzeugt waren, dass dieses ein tragfähiges Konzept unter Berücksichtigung aller Rahmenbedingungen hat. Hinzu kommt, dass
auch bei einem Konzept mit Erfolgsaussichten sehr viel Kapital für Investitionen und die Überbrückung der ersten Jahre erforderlich ist. Wenn man sich heute den
gesamten Wertschöpfungsprozess in der Airline Industrie ansieht, so gibt es nur wenige Segmente mit ausreichenden Margen und Potential für das Verdienen von Geld. Neben den beiden Flugzeugherstellern sind dieses vor allem die Leasing Gesellschaften. Vom Kauf eines Regionalflughafens würde ich dagegen vollständig abraten.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

VITA
Dr. Gerald Wissel, ist Luftfahrt-Experte, Buchautor und Berater für Innovationsmanagement und Kundenservice in der Reise- und Tourismusbranche. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre und Promotion über Innovationsmanagement war er Geschäftsführer des nationalen Forum für Wissenschaft und Technik im Auftrag des Deutschen Bundestags sowie Lehrbeauftragter für Strategie und Business Development an der Privaten Hochschule in Göttingen. Danach war er fast 10 Jahre bei der Lufthansa u.a. als Projektleiter in Abu Dhabi und Kairo, Manager Inhouse Consulting, Manager Strategie Lufthansa Passage im Team von Lufthansa-CEO Mayrhuber und zuletzt Gründer und Global Head Lufthansa Private Jet und Lufthansa Passage Charter mit direktem Reporting zum Bereichsvorstand. Als Executive Vice President war er bei VistaJet International Ltd. in London, verantwortlich für den weltweiten Umsatz mit Privatjets, und hat schliesslich in Hamburg die AIRBORNE Gruppe mit Schwerpunkten auf Beratung, Vermittlung von Privatjets und Kauf/Verkauf von Flugzeugen als geschäftsführender Gesellschafter gegründet.

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