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payoff Interviews

Die Schweiz bekommt den Druck ungebremst zu spüren

16.02.2016 6 Min.

Thomas Wulf, Secretary General European Structured Investment Products Association, Brüssel, über die Auswirkungen von MIFID 2 auf das Geschäft mit Strukturierten Produkten, ein verändertes Klima in der EU-Kommission und den EUSIPA-Projektplan für 2016.

Herr Wulf, böse Zungen behaupten, die Finanzindustrie sei inzwischen stärker reguliert als die Pharmabranche und Atomkonzerne zusammen. Wie eng ist das Korsett heute wirklich – und deutet sich Entspannung an?

Der Vergleich lässt sich schon ziehen. Man kann sich ja in der Tat des Eindrucks nicht erwehren, dass einige Mitgliedsstaaten meinen, die Grundsätze der Arzneimittelzulassung auf andere Branchen übertragen zu müssen. Nicht zuletzt auf EU-Kommissionsebene setzt sich aber die Erkenntnis mehr und mehr durch, dass das Pendel im Finanzsektor mittlerweile zu heftig in Richtung Regulation ausgeschlagen ist.

Es gibt also künftig wieder mehr Finanzmarktregulierung mit Augenmass?

Wir gehen davon aus, dass sich hier in den kommenden Jahren wenn auch keine umfassende Entspannung, so doch ein stärkeres Überdenken einzelner Regulierungsvorhaben auf Sinnhaftigkeit und Kosten wahrnehmen lassen wird. Letztlich führt vor allem der Druck zur Verabschiedung überregionaler bzw. globaler Standards für eine Industrie wie die Finanzbranche, deren grosse und mittelgrosse Player alle grenzüberschreitend tätig sind, dazu, dass einzelne Wirtschaftsräume und Staaten von exzessiven Alleingängen abgehalten werden. Ein schönes Beispiel sind die kürzlich wieder eingestampften Regelungsvorschläge für eine besonders harsche nationale Risikoklassifizierung von Finanzprodukten in Belgien und Spanien.

Bringt der neue EU-Finanzmarktkommissar Hill hilfreiche Impulse?

Es lassen sich in der Tätigkeit der EU-Kommission durchaus Zeichen erkennen, dass man stärker als früher bemüht ist, überbordende oder fehlgeleitete Regulierungstätigkeit aufzudecken bzw. für die Zukunft zu verhindern. Dies sieht man bereits deutlich daran, dass unter Hill bewusst kein neuer Financial Services Action Plan verabschiedet wurde, der zu Zeiten des Vorgängers Michel Barnier nahezu apodiktisch den Rahmen für die Kommissionstätigkeit vorgab. Stattdessen laufen nun eine Vielzahl von Anhörungen, die zumindest zum Teil darauf abzielen, Ineffizienzen und Widersprüchlichkeiten zwischen den Regelwerken aufzudecken. Man muss allerdings auch sagen, dass die Umsetzung des Mammutregelungspaketes MIFID2/MIFR letztlich beschlossene Sache ist, die auch dem neuen Kommissar kaum Spielraum für abgeschwächte Regulierung lässt. Die Schweiz bekommt diesen Druck auch ungebremst zu spüren, was sich in der Neufassung des an vielen Stellen an die MIFID2 angelehnten FIDLEG ablesen lässt.

Wie gut haben Sie derzeit Eingriffsmöglichkeiten und Gesprächsmöglichkeiten bei den politischen Gremien in Brüssel?

Die grossen Brüssler Institutionen Parlament, Kommission und Rat sind derzeit vor allem mit Zustimmungsverfahren zu Umsetzungsmassnahmen beschäftigt, die allesamt extrem detailbeladen sind. Wichtig sind für die Mitglieder der EUSIPA daher vor allem die Gesprächskanäle mit den in die Ausarbeitung der Detailvorschläge direkt involvierten Behörden wie ESMA und EIOPA, aber auch den jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden AMF, FCA, AFM, BAFIN und anderen, die für die personell unterbesetzten europäischen Behörden die eigentliche Arbeit machen. Hier zahlt sich aus, dass wir über die vergangenen Jahre gute Kontakte zur nationalen Ebene aufgebaut haben, als hierauf noch nicht der Fokus der meisten Interessenvertreter lag. Daneben zeigt dies auch sehr deutlich, wie wichtig starke nationale Verbände für die EUSIPA-Arbeit sind.

Bei MiFID II deutet sich gemäss aktuellen Nachrichten eine Verzögerung an. Welche Hauptänderungen darf man konkret bei Finanzdienstleistungen innerhalb der EU erwarten?

Die grossen Änderungen liegen zusammengefasst in der Einführung einer standardisierten Marktinfrastruktur, die die gesamte Ablaufkette des Wertpapierhandelsgeschäfts und der involvierten Akteure mit einbezieht. Wichtige Einzelkapitel sind die Regelungen zu Punkten wie Trading Venues (OTFs und MTFs), Derivatives and Equity Instruments Trading, Pre- and Post-Trade Transparency Requirements, Investor Protection, Transaction Reporting and Recordkeeping, Product Intervention/Supervisory Powers and Sanctions. Ziel war und ist, so einen entscheidenden Beitrag zur globalen Attraktivität des europäischen Kapitalmarktes zu leisten. Ob das auf Makroebene dann letztlich wirklich gelingt, bleibt abzuwarten. Zur Verschiebung des MIFID2/MIFIR-Paketes sei noch angemerkt, dass diese eines neuen Rechtaktes und damit auch der parlamentarischen Zustimmung sowie jener der Mitgliedstaaten im Rat bedürfen. Da wird es sicher noch Diskussionen, zum Beispiel zum Zeitpunkt und Umfang der Verschiebung als auch zur Wechselwirkung einer solchen Verschiebung mit anderen Regelungswerken, geben.

Wo befürchten Sie künftig die grösste Einschränkung für Finanzprodukte innerhalb der EU?

Wir erwarten eher nicht, dass sich durch die Umsetzung der MIFID2-Richtlinie direkt Einschränkungen der Produktlandschaft ergeben. Vielmehr werden einzelne Staaten sich überlegen müssen, wie sie von den neuen Produkteingriffsrechten, geregelt in der MIFIR-Verordnung, Gebrauch machen.

In Belgien wurde kürzlich von den Finanzbehörden erheblich in den Markt eingegriffen…

Das ist richtig, die Gefahr für die Produktlandschaft droht eher von steuerlicher Seite. Belgien hat noch im Dezember 2015 eine Spekulationssteuer von 33% auf die Erlöse aus dem Verkauf von Aktien und Finanzinstrumenten, soweit ein solcher innerhalb von sechs Monaten nach Erwerb erfolgt, beschlossen. Da sich auch erlittene Verluste grundsätzlich nicht gegenrechnen lassen, sehen wir natürlich vor allem kurzfristig gehandelte Hebelprodukte sehr nachteilig behandelt. Die Auswirkungen auf die Produktlandschaft sind sicher zu erkennen.

Welche Projekte stehen auf der EUSIPA-Agenda für 2016 ganz oben?

Auf regulatorischer Ebene müssen die Mitgliedsverbände der EUSIPA versuchen, aus der Vielzahl der derzeitigen Vorhaben die wirklich geschäftswichtigen Themen herauszufiltern. Kostenoffenlegung und Zielmarktbestimmung gehören sicherlich dazu, sind aber nicht die einzigen Probleme. Ein weiteres Feld sind die Details der kommenden Produkteingriffsrechte sowie generell Regelungen, die, gleich welcher Herkunft, die Emittenten zur Änderungen der technischen Produktstruktur unabhängig von der Marktnachfrage veranlassen. Dies können, wie erwähnt, steuerliche Themen, aber auch z.B. Regelungen zur Kapitalstruktur von Emittenten, schlagwortartig bezeichnet mit MREL und TLAC, sein. Daneben wird sich EUSIPA auch, zusammen mit ausgewählten Mitgliedsverbänden, um eine Verbesserung der Marktberichte und auch die Stärkung unserer Mitgliederstruktur bemühen. Positive Neuigkeiten sind hier vielleicht schon in den kommenden Wochen zu erwarten.

 

VITA

Thomas Wulf ist seit Januar 2012 EUSIPA-Generalsekretär und war zuvor sieben Jahre für die internationale Anwaltskanzlei Linklaters tätig. Zuletzt war er dort von Brüssel aus für Geschäftsentwicklung und Marketing in Westeuropa zuständig und leitete zuvor das Marketingteam der belgischen Büros der Kanzlei. Wulf ist Jurist und war von 2002 bis Anfang 2005 Mitarbeiter im EUVerbindungsbüro der Commerzbank AG. Bereits im Referendariat hatte er beim Bundesverband der Deutschen Industrie in Brüssel die Gelegenheit, die europäischen Institutionen und den Gesetzgebungsprozess aus der Nähe kennenzulernen. Der verheiratete Familienvater lebt in Brüssel.

 

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