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Durch die Eindämmung des Virus könnte Europa die USA übertreffen

22.08.2020 7 Min.
  • Tomasz Wieladek, Internationaler Ökonom

Striktere Lockdown-Maßnahmen könnten die kurzfristige Performance beflügeln

Die wichtigsten Punkte

  • Die USA haben zwar mit umfangreicheren fiskalpolitischen Maßnahmen auf die Coronavirus-Krise reagiert als Europa, allerdings fielen die Lockdowns in Europa schärfer aus und dauerten länger an.
  • Die harten Maßnahmen in Europa werden die Wirtschaft schwer belasten, das Verbrauchervertrauen wird sich dadurch aber wahrscheinlich schneller erholen.
  • Falls sich das Verbrauchervertrauen in Europa zügig erholt, dürfte die Wirtschaft dort eine raschere Belebung verzeichnen als in den USA.

In der Vergangenheit haben sich die USA von einer Rezession gewöhnlich schneller erholt als Europa. Diesmal aber vielleicht nicht. Als Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie hat die US-Notenbank (Fed) weit größere Konjunkturpakete geschnürt als die Europäische Zentralbank (EZB). Dafür fielen die Lockdowns in Europa schärfer aus und waren von längerer Dauer. Europas Wirtschaft könnte dadurch die US-Wirtschaft kurzfristig überflügeln, was für einen stärkeren Euro sprechen würde.

Dass sich die USA in der Vergangenheit zügiger von Rezessionen erholt haben, liegt vor allem auch darin begründet, dass die Ursache früher meist eine Zunahme der wirtschaftlichen Ungleichgewichte gegen Ende des Geschäftszyklus war. Die US-Politik beschloss nicht nur aggressive geld- und fiskalpolitische Impulse, um diesen Rezessionen zu begegnen, sondern ergriff gewöhnlich auch Maßnahmen, die den Fokus direkt auf das größte Ungleichgewicht in der Wirtschaft legten. Sowohl bei der Sparkassenkrise von 1987 als auch in der globalen Finanzkrise von 2009 sicherte die US-Regierung die zügige Rekapitalisierung von überlebensfähigen Finanzinstituten, während andere geordnet abgewickelt wurden. Die Flexibilität des US-Arbeitsmarkts hat auch geholfen, Arbeitnehmer aus schrumpfenden Sektoren vermehrt in wachsenden Sektoren zu beschäftigen, was die Erholung zusätzlich unterstützte.

Europa hat traditionell einen anderen Ansatz gewählt. Zwar hat auch die EZB auf negative Nachfrageschocks reagiert, jedoch nicht so aggressiv wie die Fed, und die fiskalpolitischen Maßnahmen wurden von Land zu Land in der Regel in unterschiedlichem Maße umgesetzt. Darüber hinaus haben sich die Unternehmen aufgrund des starreren Arbeitsmarkts in Europa zu Beginn einer Erholung mit der Einstellung von Arbeitskräften eher etwas zurückgehalten. Vergleichsweise großzügige Leistungen der Arbeitslosenversicherung wiederum waren für Arbeitnehmer ein Anreiz, eine ähnliche Arbeitsstelle wie ihre letzte zu suchen. Die Erholung der Wirtschaft zog sich dadurch hin. Nach der globalen Finanzkrise wurden strukturelle Probleme wie der schwache Bankensektor in der Eurozone lange Zeit nicht angepackt, was die Erholung ebenfalls behinderte.

Die durch das Coronavirus ausgelöste Rezession unterscheidet sich von den Rezessionen in früheren Konjunkturzyklen.

Diesmal ist es anders

Die durch das Coronavirus ausgelöste Rezession unterscheidet sich von den Rezessionen in früheren Konjunkturzyklen. Ursachen für den Rückgang der Produktion waren staatlich angeordnete Maßnahmen wie die Lockdowns und die soziale Distanzierung, die die Ausbreitung des Virus verhindern sollten, sowie zusätzlich der Rückgang der Konsumlaune aufgrund der Angst zu erkranken. Da die staatlichen Vorschriften auch die Unternehmen trafen, machte sich Angst vor einem Arbeitsplatzverlust breit. Dies dämpfte das Verbrauchervertrauen zusätzlich. Zwar wurden geld- und fiskalpolitische Maßnahmen auch in der Vergangenheit schon ergriffen, um diese negative Wirkung auf das Verbrauchervertrauen abzufedern. Im aktuellen Umfeld dürften sie aber weniger Erfolg haben.

Die Erholung von der Erschütterung der Wirtschaft durch das Coronavirus wird höchstwahrscheinlich dann am ehesten gelingen, wenn die Ausbreitung des Virus sicher eingedämmt wird und anschließend die Lockdowns aufgehoben werden. Wenn die Verbraucher wieder daran glauben, dass sie ihr Leben wieder genauso wie vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie leben können, und das Risiko, sich anzustecken und zu erkranken, sehr gering ist, dürfte die Nachfrage rasch wieder anziehen. Auch die Angebotsseite der Wirtschaft sollte sich dann wieder erholen. Das Timing ist dabei das A und O: Werden die Lockdowns zu früh beendet, könnte es zu einer zweiten Infektionswelle kommen. Dies könnte das Vertrauen in die staatlichen Gesundheitsbehörden erschüttern und die Nachfrage der Verbraucher noch länger beeinträchtigen. Werden die Lockdowns dagegen zu spät aufgehoben, würde eine hohe Zahl von Firmeninsolvenzen die Angebotsseite der Wirtschaft hart treffen.

Die staatlichen Stellen in den USA scheinen den ersten Ansatz zu verfolgen. In vielen Bundesstaaten war die Zahl der Neuinfektionen zwar rückläufig, aber immer noch erhöht, als die Lockdowns aufgehoben wurden. Was heute gesichert erscheint, damals aber noch nicht ersichtlich war, ist, dass diese frühe Beendigung der Lockdowns in den USA wohl eine zweite Welle von Virusausbrüchen begünstigt hat. Die Analyse der Restaurantreservierungen über OpenTable zeigt, dass zwischen der Zahl der Reservierungen über OpenTable 14 Tage vor dem 18. Juni und dem gleitenden 7-Tage-Durchschnitt der Zunahme der Neuinfektionen danach ein statistisch signifikanter Zusammenhang besteht. Diese eine Variable erklärt 40% der Abweichung des Anstiegs der Fallzahlen in den US-Bundesstaaten 14 Tage später. Dies deutet darauf hin, dass der erneute Anstieg der Neuinfektionen in den USA zu einem erheblichen Teil auf das frühere Ende der Lockdowns zurückzuführen sein dürfte.

Europas Strategie mit aggressiveren, längeren Lockdowns hat ihren Preis.

Im Vergleich dazu haben die Länder in Europa einen viel vorsichtigeren Ansatz gewählt. Es wurden landesweite Lockdowns verordnet, vielerorts war das Tragen einer Maske in der Öffentlichkeit Pflicht, und Reisen ins Ausland wurden untersagt. Die Länder in Europa warteten zudem länger ab und hoben ihre Lockdowns dann auch nur nach und nach auf, nämlich erst als die Zahl der Neuinfektionen sehr niedrig war. Während sich die Zahl der Infektionen in den USA im Juni wieder beschleunigte, bleibt sie in europäischen Ländern sehr niedrig.

Strategie hat ihren Preis
 
Europas Strategie mit einem schärferen, längeren Lockdown hat aber ihren Preis. Sie wird die Wirtschaft kurzfristig härter treffen und vermutlich zu einer tieferen Rezession führen. Die Zahl der Neuinfektionen konnte aber niedrig gehalten werden, was die Glaubwürdigkeit der Regierungen in Europa in Sachen Eindämmung des Virus gestärkt hat. Die Verbraucher dürften wieder Vertrauen fassen, dass sie ruhig zu ihren sozialen Konsummustern aus der Zeit vor der Coronavirus-Pandemie zurückkehren können, zumal auch die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung schrittweise zurückgenommen werden.

Das Verbrauchervertrauen ist hierbei ein entscheidender Punkt. Wie heißt es so schön? Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie aber selber. Das gilt auch für die Reaktion der Politik auf die durch das Coronavirus bedingte Rezession: Die geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen können den Verbraucher führen, trinken wird er aber nur dann, wenn er Vertrauen hat und zuversichtlich ist. Hierbei scheint der europäische Ansatz effektiver zu sein. Das Verbrauchervertrauen in der Eurozone ist im März und April in der Eurozone schneller gesunken als in den USA, hat sich danach aber auch kräftiger erholt. Wir gehen davon aus, dass dieses Muster im Juli wegen der derzeit stark divergierenden Entwicklung der Infektionszahlen in den USA und der Eurozone deutlicher zu erkennen sein wird.

Insgesamt bin ich davon überzeugt, dass die Chance auf eine rasche Belebung des Verbrauchervertrauens in Europa viel größer ist. Dies liegt an der besseren Eindämmung des Virus, die wahrscheinlich dazu führen wird, dass sich Europas Wirtschaft kurzfristig besser entwickeln wird als die US-Wirtschaft. Darüber hinaus ist die geld- und fiskalpolitische Reaktion in Europa diesmal sehr kraftvoll gewesen, was die Erholung ebenfalls unterstützt. Tatsächlich lagen die Einzelhandelsumsätze in Deutschland im Mai bereits über denen im Februar, also noch vor der Coronavirus-Pandemie. Dies alles deutet darauf hin, dass der Euro sich in den kommenden Monaten weiterhin besser entwickeln dürfte als der US-Dollar.

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