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Energiekrise in Europa: Vorsicht vor dem nächsten Winter

09.01.2023 4 Min.
  • Thomas Benedix
    Senior Portfolio Manager Commodities
    Union Investment

Der Winter 2022/2023 sollte ohne Mangellagen verlaufen: Ende Dezember betrug der Speicherstand in Gesamteuropa gut 83 Prozent der maximalen Füllmenge, besser noch als im Durchschnitt der vorangegangenen fünf Jahre. Doch wie geht es weiter?

In einem Jahr mit vielen schlechten Nachrichten verlief doch auch manches glimpflich: Die Energiekrise, die viele wegen der ausbleibenden russischen Gaslieferungen vorhergesagt hatten, ist nicht in dem Masse eingetreten wie noch im Sommer befürchtet. Für den positiven Verlauf gibt es eine ganze Reihe an Gründen. So hat Deutschland sich recht früh um alternative Lieferanten gekümmert und Gas etwa aus Norwegen und später auch Katar importiert. Hinzu kommt, dass die Exporte so gut wie möglich zurückgefahren wurden, denn auch wenn Deutschland kaum eigenes Gas fördert, wurde importiertes Gas an andere Staaten weiterverkauft. Dies konnte reduziert werden, ohne die Energiesicherheit der Nachbarstaaten zu gefährden. 

Verbrauch von zentraler Bedeutung

Der wichtigste Hebel aber war und ist der Verbrauch: Bedingt durch die milden Temperaturen und die hohen Preise haben vor allem im Herbst sowohl die privaten Konsumenten als auch die Industrie hohe Einsparungen vorgenommen, teilweise wurden bis zu 25 Prozent weniger Gas verbraucht als in den Vorjahren. Insbesondere im Fall der Industrie muss aber konstatiert werden, dass hier die lahmende Konjunktur ihr Übriges getan hat, denn vielerorts war die Nachfrage schleppend. Genauso muss man aber auch festhalten, dass die Krise genutzt wurde, um in der Industrie Effizienzen zu nutzen: Laut einer Befragung des ifo-Instituts haben drei von vier der in Deutschland befragten Unternehmen ihren Gasverbrauch reduziert, ohne die Produktion zu verringern.

Die hohen Preise, die noch im Herbst geholfen haben, den Verbrauch zu drosseln, waren darum nicht von Dauer. Ende Dezember wurde mit 76,18 Euro pro Megawatt-Stunde gar der niedrigste Gaspreis seit Kriegsbeginn im Februar 2022 verzeichnet. Zum Vergleich: Im Sommer kostete die Megawatt-Stunde in der Spitze 345 Euro, im Februar 2020 aber nur rund 15 Euro. 

Solch extreme Niveaus sollten in den kommenden Monaten wohl eher nicht zu beobachten sein – weder in die eine noch in die andere Richtung. So sollten sich private wie industrielle Verbraucher weiterhin auf ein erhöhtes Energiepreisniveau einstellen. Daran dürften auch die neuen Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) nichts ändern, denn gemessen am Gesamtverbrauch decken sie nur einen kleinen Teil der Nachfrage ab. Immerhin: Kurz vor Weihnachten war erstmals vom neuen LNG-Terminal in Wilhelmshaven Gas ins deutsche Netz eingespeist worden. 

EU-Gaspreisdeckel kaum effektiv

Der unlängst beschlossene Gaspreisdeckel der Europäischen Union (EU) dürfte erratische Preisbewegungen dagegen kaum verhindern. Nach erster Lesart handelt es sich tendenziell eher um eine kraftlose Massnahme: Der Preisdeckel, der ab 180 Euro pro Megawattstunde greifen soll, liegt etwa beim Achtfachen des Gaspreises aus der Zeit vor der Pandemie und beim Zehnfachen dessen, was in den USA gezahlt werden muss. Hinzu kommt: Zum einen wird der Deckel nichtig, wenn ein Land in eine Mangellage zu rutschen droht, also grob gesagt die Nachfrage das Angebot zu sehr übersteigt. Zum anderen gilt er nur bei börsengehandeltem Gas, so dass die Anbieter auf andere Handelsplätze ausweichen könnten, wenn denn dort ein höherer Preis erzielt werden könnte. 

Das bedeutet: Trotz aller Vorkehrungen und Bemühungen lässt sich eine drohende Mangellage im Winter 2023/24 nicht sicher ausschliessen. Zentrale Aufgabe wird es sein, die Gasspeicher bis zum nächsten Herbst aufzufüllen, und das wird aufgrund des Wegfalls russischen Gases alles andere als leicht. Zudem können mit Blick auf die Versorgungslage auch weitere heftige Preisbewegungen nicht ausgeschlossen werden – mit allen Konsequenzen für die Industrie und die privaten Verbraucher, die damit einhergehen können. Und auch wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kurz vor dem Jahreswechsel prognostiziert hat, dass die Zeit der überhöhten Energiepreise in Richtung Weihnachten 2023 vorbei sein könnte: Ein Preisniveau wie vor zwei Jahren wird Europa höchstwahrscheinlich nicht mehr erreichen.

Geschäftsmodelle dem Umfeld anpassen

Unter dem Strich bedeutet das vor allem für die Unternehmen in Deutschland, dass sie ihre Geschäftsmodelle an strukturell höhere Energiepreise anpassen müssen. Das kann auch bedeuten, dass bestimmte Produktionsstandorte zumindest zeitweise aus Deutschland weg verlagert werden. Gleichzeitig arbeitet die Politik daran, die Energieversorgung in Deutschland weiter zu diversifizieren. Denn erstens bleibt es ein wichtiges Ziel, den CO2-Ausstoss zu verteuern. Zweitens ist der Strom aus erneuerbaren Quellen jetzt schon die günstigste Alternative. In deren Ausbau zu investieren muss daher höchste Priorität haben, um den Wettbewerbsnachteil durch die Energiekosten möglichst schnell wieder abzubauen. Für Investoren bedeutet das, genau hinzuschauen, welche Unternehmen sich dem neuen Umfeld bereits angepasst haben und welche nicht. Denn auf letztere kommen womöglich hohe Kosten zu, auch über den nächsten Winter hinaus.

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