ESG, aber bitte mit Durchblick
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Martin Raab
Investment-Stratege
Verantwortungsbewusstes Anlegen, als ESG abgekürzt, ist ein Top-Thema. Zentrale Rolle spielen ESG-Ratings. Diese sind für Investoren eine Navigationshilfe – oftmals aber auch eine Nebelbombe. Jetzt startet eine Zeitenwende.
Wer sich professionell mit Portfolio-Management und Vermögensberatung beschäftigt, kommt an den Stichworten Sustainable Investing, ESG und Nachhaltigkeit nicht mehr vorbei. Dafür haben auch diverse regulatorische Initiativen gesorgt. Interessanterweise gingen viele Asset Manager und vermögende Privatinvestoren bisher mit dem Thema Informationstiefe bei ESG und entsprechenden ESG-Ratings aber eher sorglos um. Zu oft und zu oberflächlich wurde sich manchmal auf die Methodik – Kritiker sprechen gar von Hexenküche – von ESG-Ratings aus der Feder von Finanz-Konzernen verlassen. Grosse Namen, breites Marketing, das wird schon alles passen. Und auch wenn die Methodiken und Gewichtungen dem ESG-Ratings-Abonnent gar nicht transparent gemacht werden, wurde den ESG-Ratings vertraut. Hoffentlich kommt keine Kunden- bzw. Endinvestoren-Nachfrage denken sich noch heute viele Asset Manager, denn der Teufel steckt im Detail. Auch bei ESG-Ratings.
Komplexe Formeln
Das musste jüngst auch eine der weltweit grössten Ratingagenturen feststellen. Mutmasslich hat eine Mischung aus kritischen Nachfragen, Polemik aus den Finanzmedien gepaart mit gewissen Selbstzweifeln dazu geführt, dass S&P Global ihre ESG-Kreditindikatoren, mit denen sie die Relevanz von ESG-Faktoren für ihre Kreditanalyse für Investoren zusammenfasste, nicht mehr in ihre Berichte über bewertete Unternehmen aufnehmen wird. Dennoch – trotz der Abschaffung der ESG-Kreditindikatoren – möchte man auf die ESG-Prinzipien oder die Kommentare zu ESG-bezogenen Themen festhalten. Auch bei der Grossbank HSBC Holdings möchte man mehr Durchblick aber auch gesunde Distanz zu vorgefertigten ESG-Ratings einnehmen. Die Vergangenheit hat nach HSBC-Überzeugung gezeigt, dass die ESG-Risiken nicht akkurat geprict wurden. Teil der Wahrheit ist ein Mitversagen der konventionellen ESG-Ratings, an welchen man offenbar nicht mehr starr festhalten möchte.
Traue keinem Rating über 50
Festhalten sollten sich daher Portfolio-Manager, u.a. wenn Anbieter von ESG-Ratings mehr als 50 Faktoren in die Berechnung des Gesamtratings einbeziehen. Mathematisch würde das zum Beispiel bei 100 Faktoren und Gleichgewichtung bedeuten, jeder Faktor hat einen Einfluss von 1% auf das Gesamt ESG-Rating eines Unternehmens. Im Klartext: Die Faktoren sind bedeutungslos gering gewichtet. Idealerweise werden 15 bis maximal 25 Faktoren abgebildet. Jede weniger, desto besser eine Gewichtungsaufteilung und präziser die Aussagen.
Durchblick statt nur Draufblick
Ebenfalls eine Art Hochrisikospiel ist die Portfolio-Steuerung unter Einbeziehung von ESG-Kriterien, aber ohne klare Kenntnis über die effektive ESG-Performance der Portfolio-Unternehmen: Gingen die CO2-Emissionen hoch oder runter, was machen die Revenues dazu, wurde mehr oder weniger im Unternehmen recyclet, wie hat sich das EBIT zu den Executives Compensation verhalten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das leuchtet zunehmend auch institutionellen Anlegern und vermögenden Privatanlegern ein. Mehr Durchblick und hohe Datenqualität statt nur grosse Namen und konventionelle Rating-Templates führen am Ende die Investment-Strategie zu dem, was sie eigentlich sein sollte: Nachhaltig und faktenbasiert. Damit macht das ESG-gesteuerte Portfolio endlich allen Stakeholdern Spass!
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