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payoff Jean-Christophe Rochat ist Chief Investment Officer, Head of Asset Management und Mitglied des Exekutivausschusses der Banque Heritage Interviews

Europas Börsen im globalen Vergleich: Welche Sektoren bieten die besten Renditen?

05.02.2025 7 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Herr Rochat, ist Europa für den zunehmenden globalen Wettbewerb um technologische Vorherrschaft gut gerüstet?

Dank strategischer Entscheidungen der Regierungen und koordinierter Investitionen ist Europa heute in einer Reihe von Technologiebereichen führend. Beispiele dafür sind die Luft- und Raumfahrt und die erneuerbaren Energien. Allerdings steht der alte Kontinent nun vor der Herausforderung des wachsenden Einflusses der USA und China in anderen Schlüsseltechnologien wie Cybersicherheit, künstliche Intelligenz und Biotechnologie. Europa verfügt über Forschungszentren, innovative Unternehmen und eine unterstützende Politik. Der Kontinent muss aber die Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöhen, die digitale Innovation fördern und die Zusammenarbeit zwischen seinen Mitgliedstaaten verbessern.

Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen verglichen mit den USA und China ein?

Europa ist nach wie vor ein wichtiger wirtschaftlicher Akteur, aber sein Pro-Kopf-Einkommen ist 27% niedriger als das der USA. Um mit den USA und China konkurrieren zu können, muss die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden. Viele europäische Politiker fordern einen Wettbewerbsschock. Um dies zu erreichen, braucht der Kontinent Zusammenhalt und die Umsetzung gemeinsamer politischer Massnahmen in allen Staaten. Eine deutliche Erhöhung der öffentlichen und privaten Ausgaben für Innovationen in Schlüsselsektoren, die Senkung der Energiekosten, die Anwerbung von Talenten, die Lockerung von Vorschriften und die Sicherung des Zugangs zu strategischen Rohstoffen sind allesamt mögliche Lösungen. Sie könnten Europa helfen, die Wettbewerbslücke zu den USA und China zu schliessen.

Inwiefern gefährdet die Abhängigkeit Europas von Energieimporten (z. B. Gas aus Russland oder Seltene Erden aus China) seine strategische Unabhängigkeit?

Die begrenzte Energieautarkie Europas ist eine kritische Schwachstelle des Kontinents. Obwohl es seine Gasimporte aus Russland nach dem Ausbruch des Konflikts mit der Ukraine von 40% auf 8% reduziert hat, hat es dies weitgehend durch eine Erhöhung der Importe aus den USA kompensiert. Diese Abhängigkeit schwächt Europa sowohl geopolitisch (in Bezug auf die Lieferketten) als auch wirtschaftlich (aufgrund von Preisschwankungen). Um dem entgegenzuwirken, hat Europa keine andere Wahl, als seine Energiequellen zu diversifizieren, in erneuerbare Energien zu investieren und lokale Alternativen zu entwickeln. Technologische Innovationen in diesem Bereich sind ebenfalls von entscheidender Bedeutung, um die heimische Produktion anzukurbeln.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Performance des europäischen Aktienmarktes im Vergleich zu den USA und Asien?

Der US-Börse hat sich in den letzten zwei Jahren besser entwickelt als der europäische Aktienmarkt, was vor allem auf das starke Wachstum im Technologiesektor der «Magnificent 7» zurückzuführen ist. Wenn wir jedoch einen genaueren Blick darauf werfen und die Performance der «Magnificent 7» ausklammern, ergibt sich ein ganz anderes Bild. 2023 liegt der S&P 500 ohne die «Magnificent 7» um 4.1% höher, während der Stoxx 600 Index um 12.7% und der MSCI Asia Pacific um 8.5% zulegen. Ein ähnlicher Trend ist für 2024 (ohne die «Magnificent 7») zu beobachten, mit nahezu identischen Ergebnissen. Es stimmt zwar, dass sich der US-Markt über die Jahre gut entwickelt hat, aber die Verzerrung durch den US-Tech-Sektor mahnt zur Vorsicht!

Welche Branchen treiben derzeit die Kursentwicklung an den europäischen Börsen?

Der Sektor mit der besten Performance im letzten Jahr ist der zyklische Konsum (mit einem Plus von rund 8% angetrieben von der Rallye der Luxusgüter mit plus 9.2% nach den überraschend guten Ergebnissen von Richemont am 16. Januar. Der zweitstärkste Sektor waren die Finanzwerte, die um mehr als 7% zulegten. Angesichts positiver Zinssätze und einer steiler werdenden Renditekurve wird erwartet, dass die Banken eine höhere Eigenkapitalrendite ausweisen werden. Darüber hinaus könnte die Deregulierung in den USA den Nutzen für Banken und Finanzdienstleistungen erhöhen. Der Energiesektor ist der drittbeste Sektor mit einem Plus von 6.4%, was auf die steigenden Ölpreise zurückzuführen ist.

Wie beeinflussen die anhaltend hohen Zinsen und die Geldpolitik der EZB den europäischen Aktienmarkt?

Die Zinssätze haben einen direkten und indirekten Einfluss auf den europäischen Aktienmarkt. In wichtigen Ländern wie Frankreich und Deutschland sind die Inflationsraten 2024 deutlich gesunken. Aber sie leiden immer noch unter einem negativen Wachstum oder einem Wachstum nahe der Nullgrenze. Die EZB muss die Preisstabilität gewährleisten. Sie hat im vergangenen Jahr begonnen, die Geldpolitik zu lockern. Das Tempo der Senkung bleibt jedoch langsam. Dies wirkt sich natürlich auf die Finanzierungskosten der Unternehmen, ihre Investitionen und damit auf ihre künftige Entwicklung aus. Aber es ist auch ein Gegenwind für die Konsumenten. Nimmt man noch die wirtschaftliche Lage in Europa und die grossen politischen Probleme in einigen Ländern hinzu, so wird deutlich, warum der europäische Aktienmarkt in den letzten Jahren für die Anleger an Attraktivität verloren hat.

Welche Branchen oder Trends könnten in den nächsten fünf bis zehn Jahren die besten Renditechancen im europäischen Aktienmarkt bieten?

Wir erwarten, dass die wichtigsten Sektoren ähnliche langfristige Trends wie in den USA widerspiegeln werden. Infolgedessen dürfte der Technologiesektor den breiteren Markt weiterhin übertreffen, angetrieben von Fortschritten im Bereich der künstlichen Intelligenz, einschliesslich Halbleiter, Fertigungsanlagen und Anwendungssoftware. Der Trend zum Reshoring und die Bestrebungen zur Elektrifizierung der Wirtschaft dürften auch den Sektoren Industriegüter und Dienstleistungen Auftrieb geben. Gleichzeitig sind die Sektoren Werkstoffe und erneuerbare Energien gut positioniert, um von der Green-Deal-Initiative zu profitieren, die Europa zum ersten energieneutralen Kontinent machen soll.

Wie können Privatanleger von der zukünftigen Entwicklung des europäischen Aktienmarktes profitieren?

Der europäische Markt ist attraktiver bewertet als der in den USA. Dies vor allem wegen der in den USA vorherrschenden Ausrichtung auf die Technologiebranche. Die politische und geopolitische Unsicherheit ist nach wie vor eine Hürde für ausländische Investoren. Aber eine gewisse Klarheit in diesen Fragen könnte zu einem Zufluss ausländischen Kapitals nach Europa führen. Dies würde Investitionen in Schlüsselsektoren wie grüne Energie, Verteidigung, Fertigung und Gesundheitswesen ermöglichen.

Welches sind Ihre drei europäischen Favoriten für das Jahr 2025 an der Börse?

In diesem Jahr bevorzugen wir Finanzwerte, Industriewerte und das Gesundheitswesen. Finanzwerte profitieren von der Deregulierung in den USA, die europäischen Banken wie der Banco Santander Auftrieb gibt. Banco Santander zeichnet sich durch seine Diversifizierung, geringe Zinssensitivität und gute Bewertungen aus. Industriewerte profitieren von Trends in den Bereichen Infrastruktur, Digitalisierung und Energiewende, wobei Rüstungsunternehmen (z. B. Airbus) einen Mehrwert bieten. Airbus bietet ein Engagement in den Bereichen Verteidigung, Luft- und Raumfahrt und Luftfahrt, unterstützt durch einen starken Cashflow. Das Gesundheitswesen mit starkem Wachstumspotenzial wird durch Lonza vertreten. Die diversifizierte Kundenbasis und die erweiterten Kapazitäten von Lonza verringern die Tarifrisiken.

Vielen Dank!

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Jean-Christophe Rochat ist Chief Investment Officer, Head of Asset Management und Mitglied des Exekutivausschusses der Banque Heritage. Als erfahrener Fachmann mit mehr als 20 Jahren Erfahrung in der Vermögensverwaltung ist Jean-Christophe für die Gestaltung der Anlagestrategie der Gruppe und die Aufsicht über das Portfoliomanagement und die Anlageberatung verantwortlich. Er ist auch Vorsitzender des Stiftungsrats der Pensionskasse der Bank und hat mehrere Verwaltungsratsmandate in Schweizer Unternehmen inne, unter anderem bei einem unabhängigen Schweizer Vermögensverwalter. Jean-Christophe Rochat hat einen Master-Abschluss in Finanzwesen der Universität Lyon (Frankreich) und ist ein Certified International Investment Analyst (CIIA) sowie ein Certified Wealth Management Advisor (CWMA). 2024 absolvierte er ein Executive Education Programm in Private Equity und Venture Capital an der Harvard Business School.

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