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payoff Learning Curve

Index-Trends: Massgeschneidert statt Benchmark

25.02.2016 9 Min.
  • Dieter Haas

Im Windschatten der stetigen Mittelzuflüsse in ETFs und regelbasierten Tracker-Zertifikaten ist auch die Bedeutung von Indizes rapide gestiegen. Das beflügelt das Geschäft der Indexanbieter. Ein Trend beim Indexing geht hin zu massgeschneiderten Indexlösungen, die immer öfter mit Smart Beta-Ansätzen verschmelzen.

Hollywood gibt es nicht nur in Kalifornien, sondern auch in Florida. Der 150‘000-Einwohner-Ort zwischen Miami und Fort Lauderdale wird jedes Jahr im Januar zum Mekka für die weltweite ETF- und Index-Community. Rund 1‘700 Fachbesucher belagern das direkt am Strand befindliche Westin Diplomat Resort & Spa Hotel, um sich aus erster Hand über Fakten, Trends und Gerüchte zu informieren. Abends sorgen legendäre After-Work-Partys mit exotischen Tieren aus dem lokalen Zoo oder einer Dinner-Cruise für stilgemässen Ausklang. Auch dieses Jahr trumpft der Veranstalter wieder mit einer Mischung aus Showbiz und seriöser Wissensvermittlung auf. So trompetet TV-Raubein und Multi-Millionär Kevin O’Leary («Shark tank»), welcher inzwischen auch noch eigene ETFs lanciert hat, auf der Bühne, als ob er persönlich den ETF erfunden hätte. Börsenguru Mark Faber, Liz Ann Sonders (CIO, Schwab) und Jeff Grundlach (CEO DoubleLine) sind für den seriösen Teil der Keynotes verantwortlich. Die versammelte ETF- und Indexing-Branche strotzt vor Zuversicht: Das Wachstum in börsengehandelten Indexfonds ist nach wie vor ungebremst. Unbeeindruckt vom jüngsten Januar-Crash investieren weltweit immer mehr Anleger Teile ihres Vermögens in passive Finanzprodukte. Wurden gemäss jüngsten Zahlen vom Datendienst ETFGI im Jahr 2007 global rund USD 800 Mrd. verteilt auf 1‘184 ETFs verwaltet, sind es heute mittlerweile fast USD 2,900 Mrd. und 4‘344 Produkte. Auf Europa entfallen hiervon rund USD 500 Mrd. bzw. 1‘519 ETFs. «2015 lief wahnsinnig gut und bis jetzt kamen im Januar ebenfalls ordentliche Tickets herein», hört man bei einem der führenden ETF-Emittenten. Hinter den Kulissen planen viele Anbieter im Jahr 2016 offensive Vertriebs- und Marketingkampagnen, um weiter zu wachsen. Gerade ETFs sind ein Skalengeschäft: Je grösser die eingesammelten Assets, desto besser. Der Break-Even, um gewinnbringend zu operieren, liegt derzeit bei Aktien-ETFs durchschnittlich bei CHF 40 Mio., schwankt allerdings stark, je nach Effizienz und Prozessen beim jeweiligen Emittenten.

 


Ohne Index kein ETF

Grosse Profiteure, in der zweiten Reihe, dieser positiven Entwicklung bei den Mittelzuflüssen in ETFs sind die Indexanbieter, ohne die es keinen einzigen ETF geben würde, da jeder ETF einen Index eins zu eins abbildet. So wuchsen auch die Indexanbieter mit der Popularität der ETF-Branche sehr schnell. Den Löwenanteil des Marktes teilen sich eine Handvoll unter sich auf: MSCI Barra als weltweit grösster Anbieter, S&P Dow Jones Indices, Barclays Capital Indices, Russell, sowie in Europa FTSE, euroMTS und vor allem STOXX. Die Indexwelt war zu Beginn einfach und bestand aus traditionellen Benchmarks wie dem S&P 500 Index, also auf marktkapitalisierungsgewichteten Indizes, deren Gewichtung nach der Börsenkapitalisierung definiert wird. Diese weisen jedoch Schwächen auf. So steigt zum Beispiel das Gewicht einer Aktie im Index, wenn ihr Preis steigt. Dies kann neben einer Übergewichtung von teuren Aktien auch zu Klumpenrisiken führen. So machen die Schweizer Schwergewichte Nestlé, Roche und Novartis rund 50% des Swiss Market Index (SMI) aus. Alternative Ansätze – sogenannte Smart Beta oder auch Alternative Beta Indizes – stossen genau in diese Kerbe und setzen an den Schwächen der traditionellen Gewichtungsmethoden an. Im Fall des SMI bietet ein erst kürzlich lancierter Index eine frische attraktive Alternative zur traditionellen Benchmark. Mit Tracker-Zertifikaten auf den Solactive Swiss Equal-Weight Index «können Investoren nun den Top-20 Schweizer Blue Chips mit dem Konzept der Gleichgewichtung folgen», erklärt Steffen Scheuble, Vorstand des Indexanbieters Solactive. Sein Unternehmen ist Anbieter und Berechnungsstelle diverser solcher neuer Indexkreationen.

 

Oligopol auf tönernen Füssen?

Neben dem Beispiel des gleichgewichteten SMI-Replikats gibt es mehr und mehr auch Indexkreationen, die sich zwar an bekannten Benchmark-Indizes wie S&P 500, DAX oder EuroStoxx orientieren, aber bewusst etwas in der Gewichtung, Auswahl-Methodik oder Sektorallokation verändern. Einen Index von der Stange zu kaufen passt gerade für Produkte im öffentlichen Vertrieb nur noch bedingt als heisser Marketingansatz. So fokussiert sich beispielsweise das US-amerikanische Unternehmen Research Affiliates (RAFI) auf Indizes, die auf einer alternativen Gewichtung basierend auf Fundamentaldaten liegen. Eine Mischung aus Do-it-yourself-Index und klassischen Benchmarks nutzendem ETF-Emittenten zeigt sich beispielsweise beim Assetmanager First Trust. Dieser setzt bei Size- und Style-ETFs konsequent nur auf eigens entwickelte Indizes (AlphaDex-Familie), statt auf Benchmarks oder externe Indexanbieter zu gehen. Weitere Player mit immer ausgefalleneren Ideen kommen hinzu. So führt der vermehrte Wettbewerb zu einem Preiskampf unter den internationalen Indexanbietern.

«Teil der Bewegung Build-Your-Own-Benchmark sind Indizes auf nachhaltige Anlagegesichtspunkte als auch die Faktoren Low Size, Low Volatility, Value, Quality, Momentum und Yield.»

Anstoss dieses Trends und grosser Paukenschlag war der im Jahr 2012 bekannt gegebene Wechsel der grössten amerikanischen Investmentfondsgesellschaft Vanguard mit einem Wechsel von 22 Indexfonds mit einem verwalteten Vermögen von USD 527 Mrd. von MSCI zum Konkurrenten FTSE. Der Aktienkurs von MSCI brach daraufhin am darauffolgenden Tag um 27% ein – rund CHF 25 Mio. Ertrag fehlten künftig. Ein kompletter Wechsel von Flaggschiff-Produkten des Indexanbieters war bis dahin undenkbar und löste ein gewisses Umdenken in der Branche aus. Auch das starre Markendenken in den Köpfen der Anleger scheint sich etwas zu relativieren und ermöglicht es somit auch bislang unbekannten Indexanbietern, mit findigen Ideen bzw. neuen Smart Beta-Ansätzen zu wachsen.

 

Customized Indizes – Individualität statt Massenware

Neuester Trend der Indexindustrie sind Customized Indizes. Dies bedeutet, dass die Indexanbieter individuelle Indizes kreieren, die eigens auf die Wünsche von Anbietern strukturierter Finanzprodukte, Vermögensverwaltern, Pensionskassen, Versicherungen oder Investmentfonds zugeschnitten sind. Dem individuellen Bedarf entsprechend entstehen so Indexprodukte für bestimmte Regionen, Branchen, Themen, Assetklassen oder aber auch ganze Investmentstrategien. Diese können entweder als massgeschneiderte Benchmark für eine Investmentstrategie oder aber auch als Grundlage für ein Finanzprodukt verwendet werden. Somit sind die Finanzakteure nicht mehr an die am Markt erhältlichen Produkte gebunden, sondern können sich selbst austoben und beispielsweise regelbasierte Investmentstrategien als Index auflegen lassen. Teil der Bewegung Build-Your-Own-Benchmark sind Indizes auf nachhaltige Anlagegesichtspunkte (ESG bzw. Environmental, Social and Governance) als auch die Faktoren Low Size, Low Volatility, Value, Quality, Momentum und Yield. Diese wurden von aktiven Managern bereits seit langer Zeit im Investmentprozess eingesetzt, doch hat es in den letzten 20 Jahre viel akademisches Research zu den Stilen bzw. Faktoren gegeben. «Das wirklich Neue ist die Tatsache, dass es gelungen ist, die Faktoren systematisch zu identifizieren und daraus Indizes zu machen», sagt David Mark, Executive Director bei MSCI, und ergänzt, dass «dies wiederum Anlegern ermöglicht, ihre aktiven Manager gegen passendere Benchmarks zu messen bzw. die jeweiligen Faktoren in Form eines passiven Mandats oder ETFs umzusetzen und möglicherweise Kosten zu sparen». Der Branchengigant MSCI errechnet nach eigenen Angaben aktuell über 7‘000 Customized Indizes für weltweit mehr als 700 Kunden. 72% der Indizes konnten gemäss MSCI binnen 24 Stunden aus dem Boden gestampft werden – ein Hoch auf die Technologie. Ebenfalls sehr rasch reagiert man bei Solactive auf individuelle Indexwünsche der Kunden. Handelt es sich um einfache Indexkonstruktionen, kann der Emittent oder Vermögensverwalter seinen massgeschneiderten Index sogar selbst in einer speziellen Web-Applikation konstruieren. Kurze Zeit später ist der frisch geborene Index auch in der gängigen Finanzdatenbank Bloomberg weltweit visibel.

 

350 Millionen Dollar für Indexlizenzen

Dennoch haben die «big guys» im Indexgeschäft nach wie vor gewaltige Pfründe in ihrer Hand. Benchmarks sterben so schnell nicht aus. So sind allein auf den bekannten Benchmarkindex MSCI Emerging Markets Finanzprodukte im Wert von rund USD 1.7 Bio. emittiert. Nicht weniger imposant sind die Zahlen von STOXX, welcher Markeninhaber und Indexprovider diverser Benchmarks ist. Auf EURO STOXX 50 sind ETFs mit Assets von rund CHF 38 Mrd. emittiert, auf den DAX in Höhe von ca. CHF 19 Mrd., und die auf den SMI als Benchmark gelinkten ETFs umfassen verwaltete Vermögen von rund CHF 6 Mrd. «Im abgelaufenen Jahr wurden auf den EUROSTOXX50 insgesamt 91‘898, auf den DAX 512‘576 und auf den SMI 917 Strukturierte Produkte emittiert», erläutert Andrea Weidemann, Medienverantwortliche bei STOXX, gegenüber payoff. Auch in Sachen Indexlizenzgebühren spielen die grossen Indexanbieter in einer eigenen, begehrlichen Liga. So bezahlte der weltweit grösste ETF-Emittent BlackRock gemäss Geschäftsbericht 2015 insgesamt USD 748 Mio. für den Posten «Index Trademarks, Referenzdaten und Fondsadministration». Gut die Hälfte davon dürfte auf Indexlizenzen für die von BlackRock vertriebenen iShares-ETFs entfallen.

«Fast im Monatstakt kommen weitere Player mit immer ausgefalleneren Index-Ideen auf den Markt.»

Wenig verwunderlich, dass Blackrock bereits im Jahr 2011 formal bei der US-Börsenaufsicht SEC eine Lizenz beantragt hat, um selbst Indizes entwickeln zu dürfen. Inzwischen ist das Projekt aber verworfen worden. Man hat hierdurch ganz offenbar Preisdruck auf die Indexanbieter und die Lizenzkosten ausgelöst. «Eigens berechnete Indizes sind kein strategisches Ziel mehr», hört man in Kreisen von BlackRock. Indizes, welche bewusst von Benchmark-Indizes abweichen, bleiben dagegen en vogue. Auch als Diskussionsthema in Florida beim Branchentreff InsideETFs. «68% aller US-Vermögensverwalter nutzen bereits Smart Beta-Produkte in den Kundenportfolios. Und die Evolution mit neuartigen Indizes geht weiter», ist sich der junggebliebene Industrie-Veteran Ron Bundy, CEO of Benchmarks North America bei FTSE Russell, sicher. Er muss es wissen, ist er doch schon 17 Jahre im Indexing-Geschäft und ein Branchen-Seismograf.

 

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