
Ist der US-Dollar am Ende? Vielleicht.
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Marco Bonaviri, Senior Portfolio Manager
Der US-Dollar ist zwar reif für einen Baisse-Zyklus. Vieles scheint auf eine Trendwende hinzuweisen. Die Voraussetzungen für einen Abwärtszyklus des US-Dollars sind aber noch nicht gegeben.
Die Gründe, die für einen Baisse-Zyklus des US-Dollars sprechen, scheinen klar auf der Hand zu liegen. Sie basieren auf den folgenden Parametern: die massive Expansion der Fed-Bilanz, der Verlust der attraktivsten Zinssätze der gesamten G10 und damit eines klaren Wettbewerbsvorteils, sowie das höchste Haushaltsdefizit der Nachkriegszeit. Betrachtet man vergangene Zyklen, so scheint die aktuelle Periode bezüglich ihrer Dauer – seit mehr als neun Jahren – und ihres Ausmasses – ein Anstieg von über 30 Prozent – auf eine Trendwende hinzuweisen. Im aktuellen Kontext ist jedoch eine differenzierte Analyse erforderlich.
Die Fed hat ihre Bilanz seit Anfang März um fast 70 Prozent erhöht, was nach Ansicht vieler Experten unweigerlich zu einer Abwertung des US-Dollars führen sollte. Die empirische Forschung zeigt jedoch, dass die Korrelation zwischen der Fed-Bilanz und des Dollars wenig ausgeprägt ist. Es trifft zu, dass die Fed bei der Auflegung eines neuen Programms der quantitativen Lockerung (QE) etwas schneller reagierte als die EZB. Doch wie die Fed hat auch die EZB seit Anfang März ihre Bilanz um rund 13 Prozent im Verhältnis zum BIP erhöht. Ökonomen erwarten zudem, dass die EZB ihre Bilanz bis zum Jahresende in einem noch stärkeren Ausmass wie die Fed ausweiten könnte.
ZIRP und NIRP – Zentralbanken bleiben wichtig
Aufgrund der Auswirkungen der Covid-19-Krise, wurde die Fed zu einer Nullzinspolitik (ZIRP) gezwungen, wodurch Anlagen in US-Zinspapieren an Attraktivität verloren. Allerdings scheint die Bedeutung des Zinsunterschiedes bereits schon seit längerer Zeit an Wichtigkeit verloren zu haben – vermutlich weil diese Grösse unterhalb eines gewissen Niveaus keine Rolle mehr spielt. Aufgrund der Erwartungen, die mit einer unkonventionellen Geldpolitik einhergehen wie negative Zinssätze, Kontrolle der Zinskurve oder Interventionen am Devisenmarkt werden die Zentralbanken ihre wichtige Rolle behalten. Da es wenig wahrscheinlich ist, dass die Fed eine negative Zinspolitik (NIRP) anwenden wird, könnten sich die relativen geldpolitischen Erwartungen durchaus als eine Stütze für den US-Dollar erweisen.
«Exorbitantes Privileg» als Stütze des US-Dollars?
Mit dem Wegfall des Zinsunterschiedes als Differenzierungsfaktor scheint der Devisenmarkt nun vermehrt auch strukturelle Faktoren zu beachten. Hier ist zu beobachten, dass Währungen mit grossen QE-Programmen und hohen externen wie auch fiskalischen Defiziten am stärksten überbewertet sind. Aus dieser Perspektive scheint der US-Dollar deshalb strukturell sehr anfällig zu sein. Der Greenback bleibt jedoch die dominierende Reservewährung und geniesst das, was Experten als «exorbitantes Privileg» bezeichnen. Der US-Dollar ist denn auch die einzige G10-Währung, die in diesem Jahr trotz des starken Rückgangs der Zinsen und der Verschlechterung der Leistungsbilanz aufwerten konnte. Im Falle einer globalen Krise und eines systemischen Risikos bleibt der US-Dollar damit ein sicherer Hafen ohne wirkliche Alternative.
Antizyklisches Verhalten des US-Dollars – der Schlüssel zum Tresor
Seit dem Ausbruch der Krise hat sich der US-Dollar anhand der Erwartungen hinsichtlich Geschwindigkeit, Ausmass und Qualität der globalen wirtschaftlichen Erholung entwickelt. Dies im Gegensatz zu den Erwartungen an das relative Wachstums von anderen Volkswirtschaften oder anderen, einzig für die USA geltenden Kriterien. Studien zeigen, dass die wirtschaftliche Messlatte hoch liegt und dass nur eine vollständige V-förmige Erholung der Weltwirtschaft den US-Dollar erheblich abwerten könnte. Es wird jedoch erwartet, dass aufgrund der wirtschaftlichen «Narben» in einigen Sektoren und Teilen der Weltwirtschaft die Erholung unter dem Vorkrisenniveau zu liegen kommt.
Politische Faktoren als möglicher Gamechanger
In den USA könnte ein Sieg Joe Bidens bei den Wahlen im November zumindest eine teilweise Rücknahme der Steuersenkung von 2017 (TCJA) und damit eine Lockerung der Zölle auf chinesische Importe bedeuten. Eine demokratische Regierung könnte so einerseits den «amerikanischen Exzeptionalismus» beenden, der den US-Dollar in den letzten Jahren gestützt hat, andererseits könnte sie damit auch die Attraktivität des US-Dollars als sichere Währung reduzieren. In der Eurozone könnte eine verstärkte Solidarität und Kohäsion innerhalb der EU, z.B. durch eine breitere Abstützung des Rettungsfonds, die den Euro immer noch belastende politische Risikoprämie weiter zurückführen. Dieser Optimismus scheint sich bereits im Wechselkurs zu reflektieren, wie die spekulative Netto-Long-Positionierung des Euro zeigt, die auf dem höchsten Stand seit 2018 steht. Es scheint daher unwahrscheinlich, dass eine positive Überraschung in diesem Bereich eine wesentliche Aufwärtsbewegung des EUR/USD auslösen könnte.
Der US-Dollar mag seinen zyklischen Höhepunkt im März bereits erreicht haben. Die Voraussetzungen für einen Abwärtszyklus des US-Dollars und der Verlust des «exorbitanten Privilegs» scheinen jedoch noch nicht gegeben. Relative QEs, geldpolitische Erwartungen, der allgemeine Konjunkturzyklus und Dominanzprivilegien könnten den US-Dollar weiterhin stützen, allerdings könnten politische Faktoren dazu führen, dass die Karten schneller als erwartet neu gemischt werden.