Japanische Aktien nehmen Fahrt auf
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Archibald Ciganer
Portfolio Manager
T. Rowe Price
Trotz Makro-Risiken scheinen die Aussichten für Japan positiv.
Auf den Punkt gebracht
- Trotz der erhöhten Makro-Unsicherheit gewinnt der japanische Markt zunehmend an Dynamik, und es gibt gute Gründe für einen positiven Ausblick.
- Anzeichen für anhaltende Inflation (insbesondere Lohninflation) stimmen Unternehmen und Anleger gleichermaßen optimistisch.
- Die japanischen Finanzmärkte scheinen die Makro-Risiken vollständig eingepreist zu haben, während die Bewertungen attraktiver scheinen als an anderen wichtigen Aktienmärkten.
Verständlicherweise standen in den letzten zwölf Monaten die makroökonomischen Unsicherheiten nicht nur in der Presse, sondern auch bei den Anlegern klar im Fokus – von den zunehmenden geopolitischen Spannungen über die steigenden Preise und Zinsen bis hin zu den Turbulenzen im Bankensystem und der drohenden Rezession in den USA. Einen Markt haben viele Anleger inmitten des makroökonomischen Rauschens jedoch offenbar übersehen – Japan, wo der breit gefasste TOPIX im Mai auf ein 33 Jahres-Hoch geklettert ist.1 Die starke Performance im bisherigen Jahresverlauf wurde unter anderem gestützt durch die Post Covid Wiedereröffnung der japanischen Wirtschaft, anhaltende strukturelle Marktreformen und die Tatsache, dass viele globale Makro Risiken in den japanischen Bewertungen vollständig eingepreist zu sein scheinen. Die japanischen Aktienmärkte nehmen zunehmend Fahrt auf, und der Ausblick ist positiv.
Der Pfad zur „Normalisierung“
Aus geldpolitischer Sicht fährt Japan weiterhin einen völlig anderen Kurs als andere große Volkswirtschaften. In einem Umfeld, in dem Inflation und Zinsen weltweit anziehen, hält die Bank of Japan (BoJ) ihre Kurzfristzinsen weiterhin bei 0,1 %. Zugleich hat sie ihr 0 % Renditeziel für 10 jährige japanische Staatsanleihen (JGB) zuletzt bekräftigt und führt ihre Strategie der Renditekurven Steuerung durch den massiven Anleihen Aufkauf weiter fort. Mit dieser Politik sorgt die Notenbank dafür, dass die Renditen für 10 jährige JGB mit einer Spanne von etwa +/ 0,5 % vom Zielwert 0 % abweichen.
Die BoJ Strategie zielt darauf ab, die Renditekurve zu steuern und insbesondere die kurz bis mittelfristigen Zinsen, die für die Kreditkosten der Unternehmen relevant sind, niedrig zu halten – ohne dabei die Renditen für sehr lange Laufzeiten allzu stark nach unten zu drücken, was für Pensionsfonds und Lebensversicherer schwierig wäre. Die Politik der Renditekurven Kontrolle hat gut funktioniert, solange die Inflation niedrig war. Im Zuge der allmählich anziehenden Inflation verkauften Anleger jedoch die renditeschwachen Anleihen, weshalb die BoJ ihre Käufe aufstocken musste, um ihr Renditeziel zu halten. Aufgrund der lauter werdenden Kritiker, die eine Verzerrung der Marktpreise monieren, hat die BoJ-Strategie den Yen deutlich abwerten lassen – was die Kosten für Rohstoffimporte in die Höhe getrieben hat.
Am 9. April 2023 wurde Kazuo Ueda überraschend zum neuen BoJ-Gouverneur nominiert. Diese Entscheidung schürt Hoffnung, dass sich die japanische Geldpolitik wieder normalisieren wird –ein wichtiger Schritt, um eine Politik zu beenden, die den Yen jahrelang belastet hat. Zudem würden höhere Zinsen auch dazu beitragen, Bargeld im Wert von mehreren Billiarden Dollar wieder ins Inland zurückzuführen, die ins Ausland geflossen sind, wo erheblich höhere Zinserträge zu bekommen sind. Kaum im Amt, räumte Ueda bereits ein, dass er die aktuelle ultralockere Geldpolitik für untragbar hält. Zugleich wies er jedoch auch darauf hin, dass es die BoJ es nicht eilig hat, einen Kurswechsel herbeizuführen.
Der zentrale Punkt lautet nachhaltige Inflation
Mit Blick auf einen möglichen geldpolitischen Kurswechsel spielt die Inflation eine wesentliche Rolle. Die Kerninflation des Verbraucherpreisindex (VPI) belief sich im April auf eine Jahresrate von 3,4 %, was klar über der 2 % Zielmarke der BoJ, jedoch deutlich unter dem Januar Niveau von 4,2 % liegt, das den höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten markierte. Das Ergebnis der diesjährigen Frühjahrs-Tarifverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften („Shunto“) lässt jedoch hoffen, dass sich die höhere Inflation auch halten wird. Erste Daten deuten darauf hin, dass die Löhne und Gehälter im Jahresvergleich insgesamt um 3 % steigen werden – das wäre der höchste Zuwachs seit Anfang der 1990er Jahre. Ein Lohnanstieg in dieser Größenordnung wird den neuen BoJ-Chef unter Druck setzen, die Normalisierung der Geldpolitik voranzutreiben. Dabei ist zu erwarten, dass die Abschaffung der aktuellen Renditekurvenkontrolle eine der ersten Maßnahme sein wird (Abbildung 1).
Die Strategie der japanischen Zentralbank zur Steuerung der Renditekurve in Aktion
Abbildung 1: Die Renditen für 10 jährige Staatsanleihen bleiben innerhalb der im Rahmen der Renditekurven-Kontrolle festgesetzten Spanne verankert
Bereits auf ihrer geldpolitischen Sitzung im Dezember 2022 hat die BoJ die Anleger mit der Ankündigung einer taktischen Änderung der Renditekurven-Kontrolle überrascht, indem die Spanne von +/ 0,25 % über bzw. unter dem 0 %-Zielzinssatz auf +/ 0,5 % angehoben wurde – ein Kurswechsel, den kaum jemand erwartet hatte.Die BoJ machte jedoch klar, dass diese Anhebung (noch) kein Vorläufer für eine umfassende geldpolitische Wende darstellt, und dass sie für den Beginn einer Zinsstraffung auf klare Anzeichen warten will, dass die Inflation dauerhaft die 2 %-Marke übersteigt.
Obwohl Japan unter der Regierung Shinzō Abe/Haruhiko Kuroda technisch gesehen die Deflation hinter sich gelassen hat, ist die Deflation in den Köpfen der Menschen weiter fest verankert. Wir glauben, dass der nun einsetzende Preisauftrieb und die steigenden Inflationserwartungen die Stimmung der Verbraucher und das Investitionsverhalten der Unternehmen nachhaltig positiv verändern werden. Dass die jährliche Verbraucherpreisinflation über dem 2 %-Ziel der Notenbank lag, war zuletzt im Jahr 2014 der Fall, weshalb die diesjährigen Shuntō-Tarifverhandlungen eine so wichtige Rolle spielen. Denn nun scheint Lohninflation einzusetzen, die sich üblicherweise stabiler hält als die Lebensmittel- und Energieinflation und daher einen robusteren Hinweis darauf gibt, dass sich die 20 Jahre anhaltende Ära mit einer Inflation nahe Null in Japan dem Ende zuneigt (Abbildung 2).
Erste Anzeichen für anhaltende Inflation
Abbildung 1: Die Renditen für 10-jährige Staatsanleihen bleiben innerhalb der im Rahmen der Renditekurven-Kontrolle festgesetzten Spanne verankert
Japans Erholung steht potenziell erst am Anfang
Während an allen wichtigen Märkten kurzfristig mit einem gewissen Maß an höherer Volatilität zu rechnen ist, sind die Aussichten für Japan günstig. Japan hat nach der Pandemie seine Grenzen erst im Oktober 2022 wieder vollständig geöffnet. Nach drei Jahren, in denen erhebliche Beschränkungen galten, kehren nun die Touristen in Scharen zurück – und sie nutzen den günstigen Yen. Zugleich hat auch China, der größte Handelspartner Japans, seine Wirtschaft wieder vollständig geöffnet und im ersten Quartal 2023 ein überraschend hohes Wachstum von 4,5 % generiert. Viele japanische Wirtschaftszweige zählen zudem zu den Hauptprofiteuren von langfristigen starken Trends wie Fabrikautomatisierung, Robotertechnik und Fahrzeug-Elektrifizierung.
Ein stärkerer Yen sorgt für Rückenwind
Für die letztjährige Performance der japanischen Finanzmärkte spielte die jahrzehntelange Yen-Schwäche sicher eine wichtige Rolle. Ende 2022 hat sich jedoch gezeigt, dass sich das Blatt schnell wenden kann, und ein stärkerer Yen würde den breiten Märkten erheblichen Rückenwind verschaffen.
10‑jährige JGBs rentierten im Jahr 2022 weitgehend bei 0 % (+/‑0,25 %), während die Rendite für 10‑jährige US-Staatsanleihen im Zuge der Zinsstraffung durch die Fed auf 3,5 % gestiegen ist. Dadurch hat sich eine erhebliche Renditekluft zwischen dem japanischen Yen (JPY) und dem US-Dollar (USD) aufgetan, die den JPY gegenüber dem USD deutlich abwerten ließ (‑31 % von Januar bis Oktober 2022).
Der schwache Yen hat Japans Exportwirtschaft gestützt, vor allem große Automobilunternehmen und -hersteller, die stark von der höheren Wettbewerbsfähigkeit profitierten. Allerdings ist Japan auch Netto-Energieimporteur, weshalb das Land im Zuge der steigenden Energiepreise auch Inflation importierte, die auf den Binnenkonsum und die Ausgabenstimmung drückte. Mit der anziehenden Inflation ist außerdem die Erwartung gestiegen, dass die BoJ ihren ultralockeren geldpolitischen Kurs beenden und auf eine Straffung übergehen wird. Die Auswirkungen dieser Überlegungen zeigten sich bereits Ende 2022/Anfang 2023 an einer deutlichen Aufwertung des Yen (+14 %) von 150 JPY/USD am 20. Oktober auf einen Höchststand von 128 JPY/USD am 16. Januar 2023. Letztendlich ist eine stärkere Währung nicht nur für die großen Exportunternehmen, sondern für eine ganze Reihe von japanischen Wirtschaftszweigen von Vorteil.
Governance-Verbesserungen machen den Markt attraktiver
Die Börse Tokio (TSE) hat im Januar 2023 neue Vorschläge bekanntgegeben, mit denen sie den Druck auf Börsenunternehmen weiter verstärken will, höhere Governance-Standards umzusetzen. Tun sie dies nicht, droht ihnen der Börsenausschluss. Die Vorschläge sehen unter anderem vor, dass die TSE „verlangt, dass Geschäftsleitung und Vorstand die Kapitalkosten und die Kapitaleffizienz des Unternehmens ordnungsgemäß ermitteln“, insbesondere bei Unternehmen, die dauerhaft unter ihrem Buchwert gehandelt werden. Diese zusätzliche Anforderung („comply or explain“) wird die japanischen Geschäftsführungen weiter unter Druck setzen, Probleme der Kapitalineffizienz zu beheben. Im Zuge der voranschreitenden Corporate Governance-Reformen und der schrittweisen Verbesserung der japanischen Governance-Standards gehen wir davon aus, dass die Kapitalrenditen steigen und die Kapitalkosten sinken.
Ausblick
Während der Markt den kurzfristigen Fokus auf das wirtschaftliche und finanzielle Umfeld legt, glauben wir nach wie vor, dass sich die mittel- und längerfristigen Aussichten für Japan weiter verbessern. Erste Anzeichen dafür, dass die Inflation in Japan dauerhaft zurückkehrt, stimmen Unternehmen und Anleger gleichermaßen optimistisch, während die japanischen Unternehmen trotz der unsicheren Weltwirtschaft bemerkenswerterweise weiter Aktienrückkäufe vornehmen und in Rekordhöhe Kapital an ihre Aktionäre zurückfließen lassen – was die Stabilität der japanischen Unternehmen und kontinuierliche Verbesserungen im Bereich Corporate-Governance untermauert.
Sollte die US-Wirtschaft im zweiten Halbjahr 2023 in eine Rezession rutschen, wird dies die exportstarke Wirtschaft sowie die Aktienmärkte Japans zweifellos deutlich belasten. Die Risiken scheinen an den japanischen Finanzmärkten, die attraktiver bewertet sind als andere große Märkte, jedoch bereits eingepreist. Derzeit wird der TOPIX zu den 13-fachen Gewinnaussichten gehandelt, während der langfristige Durchschnitt bei dem 14-fachen liegt2. Dies lässt darauf schließen, dass mögliche Negativmeldungen bereits weitgehend in den Unternehmensbewertungen eingepreist sind. Fundamentalorientierten Anlegern bietet der japanische Markt daher interessante Möglichkeiten, um zu attraktiven Bewertungen in Qualitätsunternehmen zu investieren.
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1 TOPIX-Index, in Lokalwährung (Stand: 15. Mai 2023). Quelle: Refinitiv Eikon. © 2023 Refinitiv. Alle Rechte vorbehalten.
2 Der langfristige Durchschnitt wird über den Zeitraum von August 1969 (Auflegung) bis zum 15. Mai 2023 berechnet. Quelle: Refinitiv Eikon. © 2023 Refinitiv. Alle Rechte vorbehalten.