Kann die SNB jetzt eine Pause einlegen?
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Markus Thöny und Philipp Burckhardt
Head of Swiss Fixed Income und Fixed Income Strategist/Senior Portfolio Manager
Lombard Odier IM -
An ihrer jüngsten geldpolitischen Sitzung hat die Schweizerische Nationalbank erneut den Leitzins gesenkt. Was hat sie zu diesem Schritt veranlasst und was ist von den geldpolitischen Entscheidungsträgern künftig zu erwarten?
- Die Zinssenkung im Juni scheint von Vertrauen der SNB in ihren geldpolitischen Mix und dessen Auswirkungen auf die Preisstabilität zu zeugen
- Der Hauptgrund für diesen Schritt ist unseres Erachtens nicht die Inflation, sondern eher die starke Währung und ihre Folgen für Exporteure
- Nach unserer Ansicht benötigen braucht es aber vor weiteren Senkungen vorerst noch konkretere Anzeichen für strukturell nachlassende Preise
Weitere Zinssenkung mit Überraschungseffekt
In ihrer Junisitzung setzte die Schweizerische Nationalbank die Zinswende mit einer weiteren Leitzinssenkung um 25 Basispunkte (Bp). auf 1,25% fort. Obwohl die Marktteilnehmer damit bis zu einem gewissen Grad gerechnet hatten, führte der Schritt zu einem „Bull Steepening“ der Zinsstrukturkurve. Dabei sinken die kurzfristigen Zinsen schneller als die Zinsen für längere Laufzeiten. Die SNB hat den Leitzins in diesem Jahr nun um insgesamt 50 Bp. gesenkt. Damit liegt sie weit vor der EZB mit ihrerseits «nur» 25 Bp. und ist auf einem ganz anderen Kurs als die Fed, die noch gar nicht mit Zinskürzungen begonnen hat.
Gleichzeitig hat die SNB die Botschaften angepasst, die sie mit ihren Prognosen vermittelt. Zum einen hat sie ihre Inflationsprognosen am langen Ende leicht auf 1,0% gesenkt. Damit zeigt sie Vertrauen in den geldpolitischen Mix und dessen Auswirkungen auf die Preisstabilität sowie in die Dämpfung von Zweitrundeneffekten (siehe Abbildung 1). Zum anderen hat die SNB für 2025 eine neue BIP-Prognose von 1,5% kommuniziert. Dies ist unserer Ansicht nach eine spannende Botschaft, da die SNB nun offenbar mit steigendem Wachstum und sinkender Inflation rechnet.
In einem solchen Umfeld könnten die Notenbanken es für notwendig halten, Zinssenkungen mit Vorsicht anzugehen, um das Risiko eines erneuten Inflationsanstiegs zu vermeiden. Dies gilt insbesondere, da Inflationsprognosen sich in jüngster Vergangenheit als sehr ungenau erwiesen haben. Die Botschaft der SNB zeugt daher von Vertrauen, da sie diesen Risiken scheinbar gelassen begegnen.
Geht es jetzt um die Kerninflation?
In der geldpolitischen Lagebeurteilung vom Juni wurde dem Abschnitt zur Preisstabilität ein zentraler Satz hinzugefügt. Die SNB vermeidet in der Regel den Begriff der „Kerninflation“ (im Gegensatz zur Gesamtinflation, die den gesamten Warenkorb enthält). Demgegenüber betont die Fed, dass ihre wichtigste Inflationskennzahl volatile Komponenten wie Lebensmittel und Energie ausschliesst. Dieses Mal nahmen die Schweizer Geldpolitiker jedoch einen Satz zum „zugrundeliegenden Inflationsdruck“2 in ihre Einschätzungen auf.
Unseres Erachtens soll dies die Ausbalancierung der geldpolitischen Massnahmen – sowohl konzeptuell als auch mit Blick auf den Zeithorizont – stärker in den Vordergrund rücken. Dies entspricht dem bewusst breit gefassten Mandat der SNB. Die Inflation hat in letzter Zeit etwas angezogen, doch vor allem hat die Kerninflation nun die Gesamtinflation überholt. Ausserdem ist hervorzuheben, dass beide Kennzahlen auf 3-Monatsbasis (3M/3M) und annualisiert jeweils zwischen 1% und 2% lagen. Wir glauben, dass das implizite Ziel der SNB bei etwa 1% liegt, während der langfristige Durchschnitt rund 0,5% beträgt (siehe Abbildung 2). Die Inflation ist also immer noch erhöht.
Abbildung 3 schlüsselt die Daten nach Komponenten auf und zeigt, dass die Dienstleistungsinflation nun deutlich über der Güterinflation liegt. Wie erwähnt, balanciert die SNB diverse Preisindizes aus, doch dennoch verringert unseres Erachtens eine solche Divergenz die Chance auf einen strukturell sinkenden Preisdruck. Die Dienstleistungsinflation beispielsweise beruht zu einem grossen Teil auf den Löhnen und reagiert empfindlich auf einen schwachen Arbeitsmarkt und geldpolitische Massnahmen. Sie lässt sich nur schwer verlangsamen, wenn die Notenbank den Leitzins senkt, auch wenn das allgemeine geldpolitische Umfeld restriktiv bleibt.
Entsprechend unserer Einschätzung nach der Lagebeurteilung und damit einhergehenden Zinssenkung der SNB im März gehen wir auch jetzt nicht davon aus, dass die Inflation das wichtigste Argument für die Zinssenkung der SNB ist. Unseres Erachtens könnte die Inflation nun sogar ein ausreichender Grund sein, um eine Pause im Zinssenkungszyklus einzulegen.
Die Suche nach dem neutralen Zinssatz
In einer Rede Ende Mai erörterte SNB-Präsident Thomas Jordan die geschätzte Höhe des neutralen Zinssatzes, bei dem der geldpolitische Kurs weder expansiv noch restriktiv ist. Seinen Zahlen zufolge liegt der neutrale Realzins im Median bei rund 0%. Dies entspräche einem Nominalzins von 1% unter Annahme einer langfristigen mittleren Inflation von 1%.
Vor diesem Hintergrund befinden wir uns wahrscheinlich immer noch im restriktiven Bereich, jedoch weniger deutlich als zuvor (wenn man von 1,75% als Höchststand in diesem Zyklus und als Ausgangspunkt für die Zinssenkungen ausgeht). Bei einem angenommenen neutralen Zielwert von 1% würde eine Zinssenkung von 1,5% auf 1,25% unseres Erachtens eine vorsichtige Haltung beim Ausblick charakterisieren.
Die Schweizer Exporteure reagieren sehr empfindlich auf Wechselkursänderungen, da ihre Güter bei einer starken Währung global weniger wettbewerbsfähig sind. Wie Abbildung 4 zeigt, bleibt das Schweizer verarbeitende Gewerbe deutlich hinter dem globalen verarbeitenden Gewerbe zurück. Diese Entwicklung korreliert mit der Stärke des Schweizer Frankens.
Der jüngste Anstieg des Schweizer Frankens wurde bei der SNB wohl dementsprechend nicht begrüsst. Unseres Erachtens war einer der wesentlichen Gründe für die Leitzinssenkung, die Senkung der Attraktivität des Frankens. Das daraus resultierende Umfeld verschafft den Exporteuren mehr Spielraum, ohne die Glaubwürdigkeit der SNB zu beeinträchtigen und die Erwartungen aus dem Ruder laufen zu lassen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Inflation und vor allem die Zweitrundeneffekte unter Kontrolle bleiben.
Ein solches Umfeld wirkt zudem Devisenkäufern entgegen, die vor Angst getrieben einen «sicheren Hafen» suchen. Vor dem Hintergrund wachsender Unsicherheit aufgrund der politischen Lage in Frankreich haben diese nämlich möglicherweise zugenommen.
Weitere Anzeichen erforderlich
Wir glauben, dass die SNB damit so weit gegangen ist, wie es das aktuelle Umfeld erlaubt. Die geldpolitischen Entscheidungsträger brauchen weitere konkrete Anzeichen für einen nachlassenden Preisdruck und eine stärkere Wachstumsabschwächung oder einen schwächeren Franken. Erst dann würden sie gemäss unserer Einschätzung den Leitzins auf ein neutrales Niveau von 1% senken.
Der Rücktritt von Thomas Jordan im September stellt für seinen am 26. Juni vom Bundesrat gewählten Nachfolger Martin Schlegel einen günstigen Ausgangspunkt dar. Ihm bieten sich dann ausreichend Möglichkeiten, die Geldpolitik vom ersten Tag an mit eigenen Stossrichtungen zu prägen.