Klartext zur Türkei: Das Zentrum des Sturms und Ansteckung
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Stuart Canning, Anlageexperte
Wir haben schon früh im Jahr über die Herausforderungen für die Türkei und über das Potenzial geschrieben, dass diese Gefahren extreme Resultate nach sich ziehen können. Nun konnte man beobachten, wie sich die Herausforderungen erfüllten.
Der Rückgang der türkischen Lira war mitunter die grösste Währungsbewegung der letzten zehn Jahre – vergleichbar mit dem Rückgang des Rubel Ende 2014, der Deckelung des Schweizer Franken, der Brexit-Abstimmung und einigen der schwärzesten Tage im Jahr 2008. Wie dramatisch diese Entwicklungen sind, wird durch die Marktberichte gespiegelt. Die Türkei dominiert die Schlagzeilen, wie es sonst normalerweise nur politische Veränderungen in den Industriestaaten, US-Technologieaktien oder der Brexit vermögen. Sie hat es sogar in die Berichterstattung etablierter Medien geschafft. Es scheint, als wäre mittlerweile jeder ein Experte für die Türkei.
Wie dramatisch diese Entwicklungen sind, wird durch die Marktberichte gespiegelt. Die Türkei dominiert die Schlagzeilen, wie es sonst normalerweise nur politische Veränderungen in den Industriestaaten, US-Technologieaktien oder der Brexit vermögen. Sie hat es sogar in die Berichterstattung etablierter Medien geschafft. Es scheint, als wäre mittlerweile jeder ein Experte für die Türkei.
Wie wichtig sind Zölle?
Ein grosser Teil der Aufmerksamkeit in den Medien drehte sich darum, wie die Entwicklungen durch die Ankündigung (auf Twitter) einer Verdoppelung der US-Zölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei intensiviert wurden.
Die direkten Auswirkungen dieser Zölle dürften allem Anschein nach begrenzt sein. Die Türkei ist mit Blick auf die Exporte relativ diversifiziert, lediglich 5% gehen in die USA und nur 18% davon werden durch nicht-Edelmetalle abgedeckt. Dieser Artikel auf Bloomberg legt darüber hinaus nahe, dass sich die türkische Stahlindustrie als durchaus widerstandsfähig erweisen könnte, da es recht einfach sein sollte, neue Käufer in anderen Teilen der Welt zu finden. Aus diesem Grund scheint die Zoll-Ankündigung mehr ein Ablenkungsmanöver zu sein oder zumindest ein kleiner Teil einer grösseren Geschichte.
Was geht tatsächlich vor?
Ein wesentliches Merkmal eines Schwellenlands ist, dass eine Währungsabschwächung ein Vorbote für eine Straffung der Wirtschaftspolitik ist. Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Erstens die Regierung oder inländische Unternehmen haben Fremdkapital in ausländischen Währungen aufgenommen, was bedeutet, dass die Schuldentilgung im Zuge einer schwächer werdenden Währung ansteigt. Im Fall der Türkei ist in dieser Hinsicht vor allem der Unternehmenssektor anfällig und weniger der Staat oder die Haushalte. Zweitens die Löhne im Land sind eng an den Anstieg der Güterpreise gebunden („Indexierung“) und die Erwartungen spiegeln dies wider. In einem solchen Fall kann selbst der vorübergehende Einfluss einer Währungsabwertung eine klassische „Lohn-Preis-Spirale“ in Gang setzen.
Diese Eigenschaften erklären, weshalb Vermögenswerte der Schwellenländer eine starke Korrelation aufweisen können, wenn Aktien und festverzinsliche Anlagen neben der Währungsabschwächung ebenfalls nachgeben. Sie könnten auch einen Hinweis darauf liefern, weshalb man in der Türkei nicht sehr erpicht darauf ist, Anlagen in Gold und Fremdwährungen zu verkaufen, wie es Präsident Erdogan dringend erbeten hat.
Um mit diesen Problemen fertigzuwerden, reagierten die Politiker in den Schwellenländern auf eine Währungsabschwächung in letzter Zeit üblicherweise mit einer Anhebung der Leitzinsen. Dadurch kann der Inflationsdruck in der Wirtschaft gesenkt und möglicherweise Auslandskapital zur Unterstützung der Wirtschaft angelockt werden. Die Türkei hob im Juni tatsächlich ihren einwöchigen Repo-Satz (den wichtigsten Leitzins) von 8% auf 17,75% an.
Seitdem häufen sich jedoch die Anzeichen dafür, dass die Zentralbank ihre Unabhängigkeit an einen Präsidenten verliert, der steigende Zinsen ablehnt. Nach seiner Wiederwahl ernannte Präsident Erdogan zuerst seien Schwiegersohn zum Finanzminister, und anschliessend entschied die Zentralbank dann im Juli, die Zinsen nicht zu erhöhen.
In einer Welt der offenen Kapitalflüsse bedeutet eine Versäumnis zur Straffung durch die Politik häufig, dass der Markt die Straffung selbst übernimmt: Die wichtigste Einschränkung für die zunehmende Macht von Erdogan ist die freie Bewegung von inländischem und internationalem Kapital. Er kann mit seiner Zentralbank um die Kontrolle über den Zinssatz ringen, gleichzeitig kann er aber den Zusammenbruch seiner Währung nicht verhindern.
Genau diese Dynamik hat sich im August durchgesetzt. Und zwar nicht aus dem Grund, dass Anleger die türkische Wirtschaft angreifen wollen, sondern weil sie eine höhere Kompensation für die Risiken verlangen, die allem Anschein nach gestiegen sind. Eine solche Dynamik führt außerdem zu einem neuen Risiko: Dem Bestreben einer nationalistischen Regierung für die Durchsetzung von Kapitalverkehrskontrollen (ähnlich wie in Malaysia im Jahr 1998).
Was was ist fundamental begründet?
Kapitalflüsse sind lediglich eine Reflektion sich verändernder Überzeugungen, und über genau diese Überzeugungen sollten wir uns Sorgen machen. Vor allem aktive Anleger sind üblicherweise auf der Suche nach Ereignissen, wo die Veränderungen von Überzeugungen nicht tatsächlich eine Veränderung der Fundamentaldaten reflektieren, sondern wo sie zu stark von der Marktstimmung getrieben werden. Eher sind Anzeichen für hohe Transaktionsniveaus Indikatoren dafür, dass die Marktteilnehmer überstürzt handeln und die Fundamentaldaten infolge dessen außer Acht lassen.
Jedoch trägt eine Analyse der Kapitalflüsse oft wesentlich zum Verständnis über die Schwellenländer bei. Sie stellt einen Schnittpunkt zwischen Marktstimmung und Fundamentaldaten dar, da die Auswirkungen, die eine Veränderung der Anlegerstimmung auf die Kurse von beispielsweise Währungen haben können, im Umkehrschluss wiederum das fundamentale Umfeld beeinflussen. Diese Idee ist wohl eine Version von George Soros Konzept der Reflexivität.
Die Analyse der türkischen Situation wird dadurch zur Herausforderung. Es sieht so aus, als gründeten die Bewegungen eher auf der Anlegerstimmung als auf dem tatsächlichen Einfluss der Zölle. Aber reichen die Währungsbewegungen an sich aus, um einen wesentlich stärkeren fundamentalen Einfluss zu entwickeln und selbsterfüllend zu werden? Diese Dynamik kann zu einer enormen Herausforderung werden, vor allem dann, wenn die Kursentwicklungen unter Stress stehen. Wie in jeder damit vergleichbaren Situation geht es darum, zu bewerten, wie hoch die angebotene Kompensation für die breite Auswahl an potenziellen Ergebnissen ausfällt.
Ansteckung
Eine Möglichkeit, die Chancen auf eine gewinnbringende Anlagechance zu erhöhen, die auf der Anlegerstimmung anstatt auf Fundamentaldaten basiert, ist zu versuchen, das Zentrum des Sturms zu umgehen. Bei anderen Vermögenswerten könnte es zu einer Panik kommen, aus fundamentaler Sicht dürften sie jedoch nicht direkt betroffen sein.
Das ist die Art Ansteckung, die für Anleger interessant sein sollte. Anders als die direkte fundamentale Ansteckung, über die in den letzten Tagen gesprochen wurde (z. B. „wie stark sind die Banken in der Türkei engagiert?“), kann es vorkommen, dass die beängstigende Natur der Kursbewegungen in der Türkei an sich ausreicht, um andere Vermögenswerte zu beeinflussen. Bringt beispielsweise gerade der Charakter der jüngsten Entwicklungen Anleger dazu, sich vermehrt Sorgen über kurzfristige Verluste zu machen? Beginnen Anleger, alle Schwellenländer gleich zu behandeln? Schwächen sich italienische Staatsanleihen einfach deshalb ab, weil das unsere gegenwärtige Erfahrung der Ereignisse in einer „Risk-Off“-Phase ist?
Bisher gibt es einige Anzeichen für diese Art von Verhalten. Sicherlich wird die Türkei zur Erklärung einer ganzen Reihe anderer Kursbewegungen herangezogen: Nichtsdestotrotz fielen die Veränderungen der Bewertungsniveaus in den meisten Anlageklassen bisher relativ moderat aus (interessant ist, dass die Renditen von Staatsanleihen aus Industrieländern nur begrenzt zurückgegangen sind). Aber mit einem solch isolierten Fokus auf die Türkei, der aktuell die Ansichten für so viele Märkte beeinflusst, könnte es durchaus der Fall sein, dass zukünftig tiefergreifende und durch eine „Ansteckung“ verursachte Chancen aufkommen.