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Klimaretter? Wo Technologie helfen kann

16.08.2021 16 Min.
  • Angela Maria Quiroga Manrique, ESG Analystin

Durch das Einfangen und die Speicherung von CO2 gelangen weniger Emissionen in die Atmosphäre. Insbesondere in Branchen, bei denen Alternativen zur Dekarbonisierung noch rar sind, kann «Carbon Capture Utilisation and Storage» (CCUS) helfen. Doch CCUS ist keine Ausrede, die dringend nötige Transformation in vielen Industrien aufzuschieben.

Der CO2-Preis steigt! Um knapp 60 Prozent verteuerten sich europäische Emissionszertifikate seit Jahresbeginn. Seit Ende 2019 hat sich ihr Preis sogar verdoppelt. Ausdruck vor allem der Erwartungen von Industrie und Investoren, dass sich das Handelssystem weiter verändert – und damit auch die Zertifikate knapper werden. Denn: Die CO2-Emissionen sind weiterhin viel zu hoch. Der Kauf der Zertifikate senkt den Ausstoss zwar nicht direkt, noch gibt es mehr Berechtigungen als Emissionen. Allerdings setzen steigende Preise für die betroffenen Unternehmen Anreize, in neue Technologien zur Emissionsreduktion zu investieren. Eine davon ist Carbon Capture Utilisation and Storage (CCUS), oder auf Deutsch: die Abscheidung, Nutzung und Einlagerung von CO2. Doch ist CCUS tatsächlich der Heilsbringer, für den es – vor allem in einigen energieintensiven Sektoren – gehalten wird?

CCUS heilt nicht alle Wunden

Unstrittig ist: Um die Klimaziele zu erreichen, ist eine drastische Reduzierung des Ausstosses von Treibhausgasen unumgänglich. Laut eines Sonderberichts des Weltklimarats müssen zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels die globalen CO2-Emissionen spätestens 2050 netto null betragen. Dafür müsste der globale Ausstoss klimaschädlicher Gase allerdings schon heute um sieben Prozent pro Jahr reduziert werden. Ein Mass an Verringerung, das selbst im Corona-Jahr 2020 mit seinen stillstehenden Fabriken – global betrachtet – nicht erreicht wurde. Und jedes Jahr, in dem dies nicht gelingt, sorgt für weitere Klimaschäden und erhöht den Druck auf künftige Generationen.

Auch deshalb rücken verstärkt sogenannte Negativemissionstechnologien (NETs) in den Fokus. Mit ihnen soll direkt aus der Atmosphäre CO2 entzogen und dauerhaft eingelagert werden. Interessant sind NETs vor allem für Sektoren, bei denen es technisch noch sehr komplex ist, ihre Produktion klimaneutraler zu gestalten, deren Produkte aber nach wie vor von grosser Bedeutung für die Volkswirtschaften sind. Es geht um Firmen etwa aus der Stahl-, Zement- und Chemie-Branche.

Der lange Weg zu Nettonegativemissionen

Hier kommt CCUS als Oberbegriff der Grundlagentechnologie ins Spiel. Übergeordnetes Ziel dabei: Schädliche CO2-Emissionen senken. Dazu wird ein Teil des CO2, das etwa in Kraftwerken und bei Industrieprozessen anfällt, direkt bei der Entstehung abgeschieden, abtransportiert und im Idealfall geologisch eingelagert – das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS). Findet keine Einlagerung statt, ist auch die Weiterverwendung des abgeschiedenen CO2 möglich, etwa in der Produktion von Düngemitteln und Kraftstoffen (Carbon Capture and Utilisation, CCU). Problem bei CCU: Das CO2 wird nicht dauerhaft dem Kreislauf entzogen, da es – etwa bei der Verbrennung des Kraftstoffs – wieder freigesetzt wird. Die Technik für beide Verfahren ist zwar im Kern bereits seit Jahrzehnten vorhanden, aufgrund der mangelnden Wirtschaftlichkeit wartet sie aber immer noch auf ihren industriellen Durchbruch. Steht dieser nun bevor?

Kann CCUS also zum Klimaretter werden?

Um die Frage zu beantworten, müssen zunächst die Rahmenbedingungen geklärt werden: Denn in den meisten Fällen sorgt CCUS lediglich dafür, dass Teile von ohnehin anfallenden Emissionen nicht in die Atmosphäre entweichen, eine Negativemissionstechnologie ist es damit noch lange nicht. Nur bei zwei speziellen Varianten ist der Weg zu einer tatsächlichen NET erkennbar: Eine noch relativ junge Entwicklung ist die CO2-Gewinnung direkt aus der Umgebungsluft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS). Dabei wird über Filter und chemische Prozesse der Luft CO2 entzogen und geologisch eingelagert. So können am Ende netto Emissionen verringert werden.

Mehr als 9000 Tonnen CO2 werden aktuell auf diese Weise der Luft entzogen. Zum Vergleich: Das ist der jährliche Pro-Kopf-Ausstoss von rund 775 deutschen Durchschnittsbürgern. Ausserdem ist der Energieeinsatz der Technik noch hoch. Zur NET wird sie nur, wenn auch emissionsfreier Strom angewendet wird – und der ist knapp. Auch deshalb gibt es aktuell weltweit lediglich 15 DACCS-Anlagen, die eher Pionier-Charakter haben. Die erste industrielle Anlage „1PointFive“, die eine jährliche Kapazität von einer Million Tonnen (1 Megatonne) haben wird, soll 2024 in den USA in Betrieb gehen. Aufgrund ihrer vergleichsweise frühen Entwicklungsphase ist DACCS auf dem Weg zu Nettonegativemissionen zwar die unsicherste, allerdings auch die potenziell wirksamste Technologie – nämlich genau dann, wenn es gelingt, die Anlagen noch deutlich weiter zu skalieren und wirtschaftlich zu betreiben.

Eine zweite Variante ergibt sich aus der Abscheidung von CO2 beim Produktionsprozess von Biomasse (Bioenergy and CCS, BECCS). Wird Biomasse, die zuvor CO2 aufgenommen hat, zur Stromproduktion, zum Heizen oder zur Herstellung von Biokraftstoffen genutzt und das dabei freiwerdende CO2 gebunden, können die Emissionen in bestimmten Fällen netto negativ sein. Die Internationale Energieagentur (IEA) rechnet in ihrem Sustainable Development Scenario, das auf einen Temperaturanstieg von 1,8 Grad abzielt, mit einem Bedarf von 81 Megatonnen jährlicher BECCS-Kapazität bis 2030. 2050 müssten es dann schon 955 Megatonnen sein. Ein ambitioniertes Unterfangen: Aktuell gibt es lediglich ein Angebot von etwas mehr als 1,5 Megatonnen pro Jahr.

Nur mit viel Geld, Geduld und Fantasie

Der Weg zu Nettonegativemissionen mithilfe von CCUS ist also lang. Dennoch sollte das Potenzial dieses Bausteins zur Dekarbonisierung nicht verkannt werden. Seit 2017 wurden Pläne für mehr als 30 neue CCUS-Anlagen verkündet. Die meisten sollen in den USA und Europa entstehen. Doch auch in Australien, China, Südkorea, dem Mittleren Osten und in Neuseeland soll die Technik zum Einsatz kommen.

Um überhaupt eine Wirkung zu erzielen, ist ein Ausbau der Kapazitäten auch dringend nötig: Jährlich werden weltweit bei Versorgern und Industrieanlagen lediglich rund 40 Millionen Tonnen CO2 abgeschieden. Zum Vergleich: Die globalen Treibhausgasemissionen belaufen sich auf über 50 Milliarden Tonnen.

Werden tatsächlich alle derzeit in Planung und im Bau befindlichen CCUS-Projekte umgesetzt (siehe Grafik 1), würde sich die globale Leistung zur CO2-Abscheidung auf rund 130 Millionen Tonnen mehr als verdreifachen. So könnten immerhin rund 0,3 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen über entsprechende Verfahren abgefangen und entweder genutzt oder eingelagert werden. Allerdings: Auch das wäre nur ungefähr so viel, wie der weltgrösste Zementhersteller LafargeHolcim jährlich aktuell direkt emittiert.


Im optimistischsten Szenario könnte CCUS sogar einen Beitrag von rund 15 Prozent zur CO2-Reduktion beisteuern. So rechnet die IEA vor, dass die Kapazität bis 2030 auf 640 Millionen Tonnen pro Jahr ansteigen könnte. 2040 sollen es dann bereits 3,3 Milliarden Tonnen jährlich sein.

Diese enormen Sprünge kommen aber letztlich nur in den Bereich des Möglichen, wenn es zu beschleunigten Weiterentwicklungen der CCUS-Technologie kommt. Dafür sind erhebliche finanzielle Kraftanstrengungen nötig. Die Bank of America erwartet, dass die jährlichen Investitionen in den Sektor von aktuell einer Milliarde US-Dollar auf bis zu 25 Milliarden US-Dollar bis zum Ende des Jahrzehnts ansteigen müssten, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Bis 2050 könnten laut dieser Prognose insgesamt mehr als eine Billion US-Dollar in die Technologie fliessen – und damit CCUS mit Blick auf Skalierbarkeit, Effizienz und Leistungsfähigkeit auf ein neues Level heben.

Die Bäume wachsen nicht in den Himmel

Allerdings wird der Weg dorthin herausfordernd, denn die Technik unterliegt einigen Beschränkungen:

  • Verfügbarkeit von Speicherkapazitäten: Studien gehen davon aus, dass weltweit mindestens 2000 Gigatonnen Treibhausgase gespeichert werden können. Tiefe salzwasserführende Grundwasserleiter eignen sich ebenso wie ausgeförderte Erdöl- und Erdgaslagerstätten. Wahrscheinlich ist das Potenzial noch deutlich grösser, wenn sämtliche salzhaltigen Böden berücksichtig würden. Um diese Möglichkeiten auch auszuschöpfen, bedarf es allerdings noch einiger Aufklärungsarbeit, die insbesondere ein mögliches Gefahrenpotenzial adressiert. So ist bereits eine Reihe von Pilotprojekten nicht weiterverfolgt worden, da sie keinen Rückhalt in der lokalen Bevölkerung hatten.

  • Energiebedarf: Die Abscheidung von CO2 ist energieintensiv, da thermische Energie für die Abscheidung von CO2 aus Rauchgasen benötigt wird und das abgeschiedene CO2 für die unterirdische Speicherung komprimiert werden muss. Nur bei entsprechender Verfügbarkeit von (nahezu) emissionsfreiem Strom, kann die Klimabilanz also positiv werden.

  • Langlebigkeit: Ein gradueller oder unfallbedingter CO2-Austritt könnte die anfänglichen Umweltvorteile der Abscheidung und Speicherung von CO2-Emissionen zunichtemachen. Während es einige Erfahrungen mit der geologischen Speicherung von CO2 und Erdgas für Zeiträume von etwa 10-20 Jahren gibt, fehlen wirklich langfristige Daten bislang.

  • Klimapolitik: Um CCUS-Projekte voranzutreiben, werden staatliche Instrumente benötigt, die CO2 einen effektiven Wert geben. Diese Instrumente können in ihrer Form variieren, umfassen aber hauptsächlich zwei Kategorien: Rahmenbedingungen, die einerseits positive Anreize für eine kohlenstoffarme Entwicklung bieten, wie z. B. Steuergutschriften, und die andererseits Emissionen bepreisen, wie z.B. Kohlenstoffsteuern oder Emissionshandelssysteme. Ohne einen entsprechend hohen Kohlenstoffpreis wird CCUS wohl keine Rendite erzielen und damit auch keinen wirklichen wirtschaftlichen Durchbruch erfahren.


Skalierung der Kostenreduktion essenziell

Der Grund dafür ist simpel: Aktuell sind die Kosten für CCUS und die damit einhergehende Wertschöpfungskette einfach noch zu hoch. Sie variieren stark und sind abhängig von der zugrundeliegenden Technologie, der Verbreitung ihrer Anwendung (Skalierbarkeit), den eingesetzten Ressourcen (insbesondere Energie) und den Betriebskosten. Auch wenn es immer mehr CCUS-Pilotanlagen gibt: Es ist noch völlig unklar, wo sich die Kosten am Ende einpendeln könnten. Im positiven Fall könnten CCUS-Projekte ähnliche Skaleneffekte wie Solar- und Windkraftanlagen erzielen und die Anwendung damit deutlich wirtschaftlicher machen.

Legt man die Werte der 14 aktuell in Betrieb befindlichen CCUS-Grossanlagen zugrunde und geht von einer geschätzten Laufzeit der Anlagen von 25 bis 30 Jahren aus, betragen die Gesamtkosten für die Abscheidung von einer Million Tonnen CO2 pro Jahr rund 668 Millionen US-Dollar. Dabei gibt es grosse Unterschiede, je nachdem, welches Verfahren bei der CO2-Abscheidung genutzt wird. Betrachtet man sämtliche Schritte, also die Abscheidung, Kompression, Trocknung, den Transport und die finalen Lagerung des CO2, liegen die Aufwendungen zwischen 60 und 1.000 US-Dollar je Tonne CO2. Letzteres betrifft insbesondere die DACCS-Technologie. Hier ist die Bandbreite von 200 bis 1.000 US-Dollar je Tonne besonders gross. Die Stellschrauben bei den Kosten sind insbesondere:

  • Das Einfangen, die Kompression und die Trocknung des CO2, da hier viel Energie nötig ist. Rund 50 bis 75 Prozent der Gesamtkosten entfallen auf diese Schritte.

  • Der Transport des CO2 verursacht vor allem hohe anfängliche Kosten, unter anderem, da viele regulatorische Hürden zu beachten sind. Eine Lösung wäre die Nutzung von bestehenden Gas-Pipelines, die lediglich an die Anforderungen für den Transport von CO2 angepasst werden müssen. Die Kosten für den Landtransport durch Pipelines liegen bei 0,1 bis 16 Euro je Tonne CO2, unter Wasser steigen sie auf 2 bis 29 Euro je Tonne.

  • Die Kosten für die Einlagerung variieren ebenfalls stark und sind abhängig von der Beschaffenheit und dem Ort der Lagerstätte. Aktuell wird CO2 vor allem in älteren Ölfeldern in den Boden eingeleitet, um den Ölausstoss wieder zu erhöhen. Da die Einlagerung damit Teil des Prozesses der sogenannten tertiären Ölgewinnung ist, sind die Kosten schwer zu beziffern. Schätzungen gehen von 5 bis 10 US-Dollar je Tonne CO2 aus. Klar ist, dass die Einlagerung an Land günstiger sein dürfte als im Meeresgrund. Auch dürfte die Nutzung versiegter Öl- und Gasfelder günstiger sein als salzhaltige Gesteinskörpern.


Allerdings sollten auch die Kosten für die Speicherung mit einer Ausweitung der Kapazitäten sinken. Der Interessenverband „Global CCS Institute“ schätzt, dass sich der finanzielle Aufwand bei einer Verdopplung der CCS-Kapazität um 8 bis 20 Prozent senken lässt. Wichtig für die Skalierung wird die Errichtung sogenannter CCS-Hubs sein, in denen im grossen Stil und ohne längere Transportwege alle Prozessschritte bis hin zur Einlagerung des abgespaltenen CO2 möglich sind. Ein Beispiel ist der kürzlich angekündigte CCS-Hub von ExxonMobil in Texas. Das bei grossen Industriekomplexen mit entsprechend hohen Emissionen abgespaltene CO2 soll über den nahen Hafen von Houston abtransportiert und dann in geologischen Formationen im Golf von Mexiko eingelagert werden.

Welche Sektoren sind betroffen?

Nach der Energieerzeugung und dem Transportsektor ist die Industrie der drittgrösste Verursacher globaler CO2-Emissionen. Nach Schätzungen der IEA müssen in den Branchen Zement, Eisen und Stahl sowie in der Chemieindustrie bis 2060 allein durch CCUS kumuliert 29 Gigatonnen Emissionen eingespart werden, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Es handelt sich dabei um Sektoren und Produkte, für die aktuell wenig bis keine emissionsarme Alternativen zur Verfügung stehen, die aber gleichzeitig weiterhin stark benötigt werden.

Im Zuge der Zementherstellung etwa entstehen rund 50 Prozent der insgesamt anfallenden Emissionen beim Brennen von Klinker. Die Rauchgase aus den Zementöfen eignen sich aufgrund der vergleichsweise hohen CO2-Konzentration von 14 bis 33 Prozent allerdings auch gut für CCUS. Die Zementhersteller HeidelbergCement, mit dem Norcem Brevik-Projekt und LafargeHolcim mit dem Projekt „Westküste100“ sind führend in diesem Bereich. Bei „Westküste100“, an dem unter anderem auch der französische Versorger EDF sowie der dänische Energiekonzern Ørsted beteiligt sind, soll künftig Windstrom zur Aufspaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff genutzt werden. Der Sauerstoff soll wiederum im örtlichen Zementwerk als emissionsreduzierender Inputfaktor verwendet werden. Das anfallende CO2 wird nach den Planungen abgespalten und gemeinsam mit dem grünen Wasserstoff etwa zu synthetischem Flugkraftstoff weiterverarbeitet. Zwar entweicht das CO2 beim Verbrennen im Flugzeug dann wieder in die Atmosphäre, aber immerhin sind es – im Vergleich zum sonstigen Status quo – keine zusätzlichen Emissionen.

Ähnliche Bestrebungen der CO2-Nutzung gibt es bei der Eisen- und Stahl-Herstellung. Sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen entfallen allein auf diesen Sektor. So könnte eine Nachrüstung bestehender Anlagen mit CCS-Technologie helfen, einen Teil der emittierten Treibhausgase einzufangen. Allerdings steigen die Produktionskosten bei der Nutzung von CCS und weiteren innovativen Schmelzprozessen um 8 bis 9 Prozent pro Tonne. Effizienzsteigerungen sind also auch hier unabdingbar, um die Wirtschaftlichkeit zu steigern. Dabei hilft der Bau von Anlagen im industriellen Massstab. ArcelorMittal errichtet im belgischen Gent eine CCUS-Anlage, die die Abgase aus den eigenen Hochöfen mithilfe von biotechnologischen Verfahren in Bioethanol umwandeln soll. Nach Schätzungen können so immerhin 15 Prozent der CO2-Emissionen der Hochöfen bei der Produktion von rund 80 Millionen Litern Bioethanol pro Jahr eingesetzt werden. Zwar wird auch dieses CO2 beim Verbrennen des Kraftstoffs wieder freigesetzt. Dennoch entstehen die Emissionen so immerhin nicht doppelt. Die weltweit fortschrittlichste und erste vollständig kommerziell betriebene CCUS-Anlage steht in Abu Dhabi. Hier wird das bei der Stahlproduktion abgeschiedene CO2 in die naheliegenden Ölfelder eingeleitet und dort für die tertiäre Ölgewinnung genutzt.

Im Chemiesektor kommt die CCUS-Technologie vor allem in Werken zur Herstellung von Ethanol, Wasserstoff, Industriegasen und Düngemitteln zum Einsatz. Air Liquide, Solvay und Linde arbeiten bereits seit 2010 mit der Technik. Zudem haben die Unternehmen, ähnlich wie BASF und Arkema, auch Produkte im Portfolio, die bei CCUS eingesetzt werden.

CCUS keine Ausrede, um Transformation zu verschleppen

Im Gegensatz zu den anderen genannten Branchen ist der Öl- und Gas-Sektor keiner, der ausschliesslich essenzielle Produkte anbietet, die kurz- bis mittelfristig auch nicht zu ersetzen sind. Denn mit den Erneuerbaren Energien und (grünem) Wasserstoff gibt es – zumindest in den Industrieländern – durchaus Alternativen zur Energiegewinnung, die mit deutlich weniger CO2-Emissionen als bei fossilen Energieträgern einhergehen. Dennoch wächst auch in dieser Branche und vor allem in den USA das Interesse an CCUS-Anwendungen, bringen sie für die Unternehmen doch verschiedene Vorteile: Zum einen können mithilfe von (abgeschiedenem) CO2 bestehende Ölvorkommen weiter ausgebeutet werden (Stichwort: tertiäre Ölgewinnung). Zum anderen kann CO2 zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe verwendet werden. Schliesslich haben die Unternehmen aus dem Sektor aufgrund ihrer geologischen Expertise und der vorhandenen Infrastruktur entsprechende Kompetenzen bei der Speicherung und dem Transport von CO2.

Die Öl-Majors Chevron und ExxonMobil, die ihr Portfolio bislang nicht in Richtung Erneuerbarer Energien diversifiziert haben, öffnen sich zusehends gegenüber CCUS. Chevron hat bereits mehr als eine Milliarde US-Dollar in die Erforschung, Entwicklung und Errichtung von CCUS-Anlagen investiert. ExxonMobil evaluiert aktuell mehr als 20 neue CCUS-Projekte weltweit. Occidental Petroleum erforscht zusätzlich DACCS-Konzepte zur direkten CO2-Abscheidung aus der Luft.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Nicht einmal ein Prozent der Investitionsausgaben in der globalen Öl- und Gasindustrie entfielen 2019 auf CCUS und erneuerbare Energien. Und: Um die eigenen, direkten Emissionen auch nur annährend zu kompensieren, müssten die CCUS-Aktivitäten mindestens um den Faktor 40 ausgebaut werden (siehe Abbildung 3).


Bewertung und Fazit

CCUS kann deshalb – insbesondere im Öl- und Gassektor – niemals eine konsequente Transformationsstrategie ersetzen. Die Technik kann auf dem Weg dahin Hilfestellung bieten, doch eine nachhaltige Senkung von CO2-Emissionen gelingt nur durch Effizienzsteigerungen und dem sukzessiven Ersatz von fossilen durch erneuerbare Energien. Denn: Jede Tonne vermeidbare Emissionen (und das sind solche aus fossilen Energieträgern ganz überwiegend) ist eine zu viel. Daran ändert sich auch nichts, wenn durch CCUS Teile dieser Emissionen wieder eingefangen und eingelagert oder anderweitig genutzt werden.

Eine einfache Rechnung macht dies deutlich: Aktuell werden weltweit über 50 Milliarden Tonnen Treibhausgase emittiert. Läuft alles weiter wie bisher, müssten also weit mehr als 50.000 industrielle DACC-Anlagen gebaut werden, um diese Menge abzuscheiden. Sieht man mal davon ab, dass die Technik aktuell in diesem Massstab weder skalierbar noch wirtschaftlich ist, ist allein die schiere Anzahl völlig unrealistisch. Zum Vergleich: Es gibt rund um den Globus weniger als 10.000 Kohlekraftwerke zur Stromerzeugung.

Für den Öl- und Gassektor sollte deshalb die Dekarbonisierung durch Transformation und Diversifikation an erster Stelle stehen und eben nicht CCUS. Konzerne aus dem Sektor, die das Emissionsproblem ausschliesslich oder überwiegend mit CCUS angehen, haben aus Umweltsicht keine glaubwürdige Zukunftsstrategie und kommen deshalb auch für einen nachhaltigen Investor nicht als Anlageobjekt in Frage.[1]

In Sektoren, in denen es bislang keine Möglichkeit gibt, anfallende Emissionen deutlich zu reduzieren, sieht die Bewertung etwas anders aus: Hier kann CCUS ein Baustein sein, um (noch) unvermeidbare Emissionen aufzufangen, zu nutzen, oder einzulagern und damit eben nicht in die Atmosphäre zu entlassen. Allerdings ist auch in Branchen wie der Zement-, Eisen- und Stahl-Industrie essenziell, dass an weiteren Verfahren geforscht wird, um Emissionen im Produktionsprozess nahezu vollständig zu vermeiden. Der Fokus bei der Dekarbonisierung muss klar auf Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und auf jener Energieerzeugung liegen, die weitgehend ohne Emissionen auskommt. Nur so können die ambitionierten, aber zur Schadensbegrenzung absolut notwendigen Klimaziele tatsächlich erreicht werden.

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