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payoff Learning Curve

Konjunkturindikatoren: Pulsgeber der Kapitalmärkte

15.12.2022 6 Min.
  • Serge Nussbaumer, Chefredaktor

Seit Monaten sorgen die Inflationsdaten aus den USA bei Investoren für regelrechte Hitzewallungen. Nicht nur der CPI, auch andere Indikatoren können das Börsengeschehen massgeblich beeinflussen – für Trader bieten sich hier regelmässig Chancen.

Das U.S. Bureau of Labor Statistics (BLS) ist eine echte Zahlenmaschine. Praktisch am laufenden Band publiziert diese im Postal Square Building von Washington D.C. beheimatete Behörde Information zur Verfassung der weltgrössten Volkswirtschaft. Neben dem Arbeitsmarkt nehmen die 2’400 Mitarbeiter – überwiegend Ökonom oder Statistiker – die Preisentwicklung und die Produktivität unter die Lupe. Mit der daraus resultierenden Vielzahl an Indikatoren möchte das 1884 gegründete BLS die Entscheidungsfindung von Privatleuten, Wirtschaftsunternehmen sowie der öffentlichen Hand unterstützen.

Naturgemäss ist die Statistikbehörde auch ein wichtiger Impulsgeber für die internationalen Kapitalmärkte. Sie kann mit ihren Publikationen quer durch die Anlageklassen für starke Kursauschläge sorgen und enorme Kapitalsummen bewegen. Dementsprechend akribisch bereiten sich Analysten und Investoren auf die Präsentation der wichtigsten Indikatoren vor. Um die Zahlen rasch einordnen zu können wird im Vorfeld ein so genannter Konsens ermittelt – er gibt die durchschnittliche Erwartung der Marktakteure für ein bestimmtes Datenbündel wieder.

Der Indikator der Stunde

Das gilt auch für den Consumer Price Index (CPI). Seit 1913 ermittelt das BLS diesen Gradmesser für die Entwicklung der Verbraucherpreise in den USA. Bekanntlich treibt das Inflationsgespenst derzeit sein Unwesen so arg wie lange nicht mehr. Entsprechend ist der CPI an den Börsen noch stärker in den Fokus gerückt. Über Monate hinweg hielt sich die jährliche Inflationsrate, angetrieben vor allem von den galoppierenden Energiepreisen, in den USA bei mehr als 8%. Im Juni 2022 lag sie sogar bei 9.1% und damit auf dem höchsten Niveau seit November 1981. Damit geriet das von der US-Notenbank angestrebte 2%-Niveau immer mehr ausser Reichweite. Das Fed agiert als eine Art «Ghost Buster» und stemmt sich vehement gegen das Inflationsgespenst.

Seit Juni hat der Offenmarktausschuss den Leitsatz fünfmal erhöht. Betrug die Federal Funds Rate (oberer Zielwert) Anfang Jahr noch 1.00%, fällt sie mittlerweile genau viermal so hoch aus. Während der US-Dollar mit einer deutlichen Aufwertung auf den Straffungskurs reagiert hat, machte die Geldpolitik Aktien und Obligationen ziemlich zu schaffen. Am 10. November 2022 konnte das BLS eine vorsichtige Entwarnung abgeben. Zwar hat der CPI für Oktober den Vorjahreswert um weiterhin hohe 7.7% übertroffen. Gleichwohl war die Inflationsrate damit auf das tiefste Niveau seit Anfang Jahr abgesackt. Noch wichtiger: Ökonomen hatten einen Preisauftrieb von 8% auf dem Zettel gehabt.

Kursfeuerwerk an der Wall Street

Gerade die Abweichung vom Konsens hat die Investoren regelrecht elektrisiert. Die Wall Street erlebte ein wahres Kursfeuerwerk. Der S&P 500 Index legte um 5.5% zu. Gefragt waren auch und gerade die Technologieaktien – sie hatten besonders stark unter der Zinswende und den sich eintrübenden Konjunkturaussichten gelitten. Für den NASDAQ-100 Index stand zum Handelsschluss ein Plus von 7.4% zu Buche. Die Rallye ging mit hohen Börsenumsätzen einher. Insgesamt wurden an der Wall Street am 10. November knapp 15 Milliarden Aktien gehandelt. In den 20 vorhergehenden Sitzungen hatte das durchschnittliche Volumen bei 11.9 Mrd. Anteilsscheinen gelegen.

Während die jüngste CPI-Veröffentlichung dem S&P 500 Index den bisher grössten Tagesgewinn des Jahres beschert hat, war das BLS auch am dicksten Minus beteiligt. Als die Behörde am 13. September für den August einen überraschenden Preisanstieg relativ zum Vormonat verkündete, gab der US-Leitindex um 4.3% nach. Generell reagierte das Wall Street-Barometer auf sieben von bisher elf CPI-Vorlagen im 2022 mit Kursveränderungen von absolut betrachtet mehr als einem Prozent. Grafik 1 zeigt, dass sich der Trend beim S&P 500 nach diesen Terminen häufig verstärkt hat oder Richtungswechsel zu beobachten waren.

Viel beachtete Jobstatistik

Wenngleich der CPI derzeit in aller Munde ist: Bei der Frage, welcher Indikator an den Börsen die meiste Beachtung findet, dürften viele Experten weiterhin die «Nonfarm Payrolls» nennen. Seit 1915 legt das BLS diese monatliche Statistik zum Arbeitsmarkt der USA vor. Neben der Zahl der ausserhalb der Landwirtschaft neu entstandenen respektive abgebauten Jobs nehmen Ökonomen, Analysten und Investoren hier vor allem die Stundenlöhne sowie die Arbeitslosenrate unter die Lupe. Der Report ist deswegen so wichtig, weil die Vollbeschäftigung ein zentrales Ziel der US-Notenbank ist. Nach dem Job-Kahlschlag im Zuge der Corona-Pandemie hat der US-Arbeitsmarkt mittlerweile zur alten Stärke zurückgefunden. Die gemeldeten Stellenzuwächse liegen regelmässig über den Erwartungen. Am 4. November 2022 hat das BLS die «Nonfarm Payrolls» für Oktober 2022 veröffentlicht. Im Berichtsmonat wurden ausserhalb der Landwirtschaft 261‘000 Stellen aufgebaut. Von Reuters befragte Experten hatten im Schnitt mit 61‘000 neuen Arbeitsplätzen weniger gerechnet.

Weniger dieser Umstand als vielmehr ein Anstieg der Arbeitslosenrate um 0.2 Prozentpunkte auf 3.7% hallte an der Wall Street nach. Ausserdem hat sich der Lohnanstieg im Oktober etwas abgeschwächt. Diese Informationen führten dazu, dass die Marktteilnehmer ihre Zinserwartungen dämpften respektive eine gemässigtere Gangart durch das Fed unterstellten. Grafik 2 zeigt, wie schnell sich diese Einschätzung durchgesetzt hat. Unmittelbar nach der Vorlage der Jobstatistik drehte das Devisengespann EUR/USD nach oben, der Dollar hatte also relativ zur europäischen Einheitswährung an Wert verloren. Mit den genannten Inflationszahlen hat sich die Erwartung einer moderateren Fed-Politik mittlerweile verfestigt. Folgerichtig konnte der Euro relativ zum US-Dollar weiter Boden gut machen.

Event-Trading: Chancen und Risiken

Die beiden Beispiele zeigen, wie reizvoll die Vorlage wichtiger Konjunkturindikatoren für die Trader sein kann. In ihren Terminkalendern haben diese Termine daher meist einen festen Platz. Auf der Jagd nach kurzfristigen Renditen positioniert sich diese risikofreudige Anlegerspezies häufig schon im Vorfeld auf einer Seite – Long oder Short – oder greift unmittelbar nach der Veröffentlichung zu. Ein gängiges Trading-Werkzeuge sind dabei strukturierte Hebelprodukte. Dafür spricht jedenfalls die Umsatzstatistik der SIX Swiss Exchange. An den ersten sieben Handelstagen im November verzeichnete die Börse in ihrem Structured Products Segment im Schnitt rund 1’400 Trades pro Sitzung. An besagtem 10. November 2022 schoss diese Zahl auf knapp 2’900 Transaktionen hoch.

Gefragt war nach der CPI-Veröffentlichung unter anderem der Put-Warrant WUSBUV auf das FX-Duo USD/CHF. Mit diesem Schein setzen Anleger gehebelt auf fallende Notierungen beim US-Dollar relativ zum Schweizer Franken. Innert weniger als 15 Minuten gingen am Nachmittag des 10. November an der SIX rund 1.8 Mio. Stück des ansonsten umsatzschwachen Put-Warrants um. Für die Käufer sind die Trades aufgegangen: Der US-Dollar erlebte im November eine kleine Abwertungswelle. Folgerichtig hat sich der Put-Warrant auf USD/CHF markant verteuert. Die erwähnten Trades wurden zu einem durchschnittlichen Preis von knapp 21 Rappen abgewickelt. Eine Woche später notierte der Put auf der Bid-Seite bei 35 Rappen.

Natürlich sind solche Spekulationen alles andere als Selbstläufer. Vielmehr erfordern sie eine gewisse Erfahrung sowie ausreichend Zeit, um die Geschehnisse zu verstehen, zu analysieren und zu verfolgen. Darüber hinaus braucht es eine gehörige Portion Risikobereitschaft und das berühmte Quäntchen Glück. Spannung verspricht die Vorlage der wichtigen Konjunkturindikatoren allemal und auch für diejenigen Anleger, welche die Reaktion der Märkte nur von der Seitenlinie aus beobachten.

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