Konter aus den hinteren Reihen
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
In der von den Technologiegiganten dominierten Börsenrally sind viele Nebenwerte auf der Strecke geblieben. Jetzt könnte der Zeitpunkt gekommen sein, sich wieder auf Small und Mid Caps zu konzentrieren. Wir stellen interessante Titel aus der zweiten Börsenreihe vor.
Seien es Megatransfers im Fussball, riesige Kreuzfahrtschiffe oder die prall gefüllten Bibliotheken der Streaminganbieter: Der Gigantismus macht sich in den unterschiedlichsten Lebensbereichen breit. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass dieses maskuline Substantiv auch an den Aktienmärkten präsent ist. Der Gigantismus steht hier für die Dominanz grosskapitalisierter Unternehmen. Sie werden vom Börsenjargon seit jeher als «Large Caps» bezeichnet. Doch bietet sich für immer mehr Aktien der Anglizismus «Mega Cap» an. An der Wall Street ist der Gigantismus besonders stark ausgeprägt. Insbesondere Nvidia liefert dort serienweise Superlative. Im Juni ist die Kapitalisierung das Halbleiterherstellers erstmals auf mehr als USD 3 Billionen gestiegen. Der Megatrend Künstliche Intelligenz (KI) und ein damit einhergehender Run auf die Bauteile des Konzerns hievte Nvidia auf den Thron des wertvollsten Unternehmens der Welt.
Der KI-Hype macht die Technologiekonzerne immer grösser – neben Nvidia zählen Microsoft, Alphabet, Amazon und Apple zu den grossen Profiteuren. Zusammen mit Netflix und Tesla bildet dieses Quintett die so genannten Magnificent 7. In Europa steht das Akronym «Granolas» für elf Top-Werte, zu denen unter anderem der Halbleiterausrüster ASML, der Abnehmspritzenhersteller Novo-Nordisk oder der Luxusriese LVMH zählen.
Diesseits wie jenseits des Atlantiks sind die Werte aus der zweiten Börsenreihe im Schatten der Giganten links liegen geblieben. Die Grafiken 1 und 2 sprechen eine deutliche Sprache: In den USA bringt der Russell 2000 die kleinsten Unternehmen zusammen. Relativ zum S&P 500 haben die 2000 Nebenwerte auf Sicht von fünf Jahren klar das Nachsehen. Gleiches gilt für den STOXX Europe Small 200. Das Small Cap-Segment des alten Kontinents hat sich im genannten Zeitraum nur etwa halb so stark entwickelt, wie die 200 europäischen Schwergewichte.
Profiteure der Zinswende
«Small Caps hatten überall zwei schwache Jahre», stellen die Aktienstrategen von J.P. Morgan fest. Auch 2024 konnten die kleinen bis dato nicht mit den grossen Unternehmen Schritt halten. «Infolgedessen sind sie nun im Allgemeinen günstiger bewertet, als die Large Caps», stellen die Experten der US-Bank fest. Für die kleineren Aktien spricht ihrer Ansicht nach auch die Zinswende. In der Vergangenheit hatten sich die Small Caps im Wettlauf mit den Grossen häufig besser geschlagen, sobald die Notenbanken die Zügel gelockert haben. «Das zeigt sich sowohl für Small Caps aus der Eurozone als auch aus Grossbrittannien», schreiben die Strategen. Die besondere Zins-Sensitivität hat einen Grund: Kleinere Unternehmen sind häufig stärker auf Fremdkapital angewiesen, um ihr Wachstum zu finanzieren.
Die Zinswende auf dem alten Kontinent hat bekanntlich begonnen. Die SNB ist im März überraschend vorgeprescht und hat jüngst mit einer zweiten Leitzinssenkung nachgelegt. Anfang Juni hat die Europäische Zentralbank die Gangart gelockert: Zum ersten Mal seit fünf Jahren schraubte sie ihren Leitzins zurück – von rekordhohen 4.50% auf 4.25%. J.P. Morgan rät mit Blick auf die kleineren Unternehmen auch dazu, die konjunkturelle Entwicklung unter die Lupe zu nehmen. Small Caps hätten stärker unter einer schwächelnden Binnenwirtschaft gelitten. «In Europa hat sich das Wachstum im vergangenen Jahr erholt und im laufenden Jahr sieht es wieder besser aus», meinen die Strategen. Laurent Denize, CIO ODDO BHF Asset Management, stösst in dasselbe Horn. «Angesichts positiver Überraschungen bei den «weichen» makroökonomischen Daten und einer im Vergleich zu den USA stärkeren Binnenkonjunktur in Europa dürften europäische Small und Mid Caps profitieren», meint er.
Europa: Aufschwung in Sicht
Als wichtigen Frühindikator bezeichnet er die Einkaufsmanagerindizes (PMI). Zu den bekanntesten Stimmungsbarometern dieser Art zählt eine Erhebung von S&P Global. Der Finanzdienstleister hört sich Monat für Monat bei rund 5’000 Unternehmen der Eurozone um. Zuletzt bekam er dabei immer mehr positivere Rückmeldungen. Im Mai 2024 erreichte der Einkaufsmanagerindex für Industrie und Dienstleister (Composite) 52.4 Zähler. Damit hat sich der PMI noch weiter von der als Schwelle zum Wachstum geltenden 50er-Marke abgesetzt. «Dass die Kurse europäischer Small Caps den Aufwärtstrend der Einkaufsmanagerindizes noch nicht widerspiegeln, lässt eine noch stärkere Erholung erwarten», meint Laurent Denize. Ähnlich wie J.P. Morgan sieht der Anlagechef der Privatbank die Bewertung als Argument für die kleinen und mittelgrossen Aktien. Er beziffert das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) europäischer Small und Mid Caps auf 12.5. «Das entspricht einem Abschlag von etwa 5% gegenüber Large Caps», erklärt der CIO.
Ende der Durststrecke?
Eigentlich ist eine Prämie typisch für die kleinen und mittleren Unternehmen. Über einen Zeitraum von 17 Jahren attestiert Denize den europäischen Mid Caps einen durchschnittlichen Aufschlag von 12% relativ zu den Large Caps. Eine Korrektur der aktuellen Unterbewertung erachtet der Börsenprofi als überfällig. Sein Haus geht davon aus, dass die Small und Mid Caps wieder eine Prämie aufbauen. Der CIO von ODDO BHF Asset Management befasst sich in einem aktuellen Kommentar auch mit der Gewinndynamik: Sowohl auf dem alten Kontinent als auch in den USA seien die Ergebnisschätzungen im Small- und Mid Cap-Segment deutlich stärker nach oben revidiert worden, als bei den Börsenriesen. «Alles deutet darauf hin, dass die lange Durststrecke für Small und Mid Caps vorbei ist», bringt Laurent Denize seine Einschätzung auf den Punkt.
USA: Mögliches Geduldsspiel
Zurück an die Wall Street: Noch dominiert dort der Gigantismus das Geschehen. Laut J.P. Morgan müssen sich die Small Cap-Fans gedulden. In der Vergangenheit hätte es meist eine Zeit gedauert, bis das Segment auf die Zinswende reagierte. Konkret kam es erst nach rund einem halben Jahr zum Rebound. «Wir interpretieren das so, dass US Small Caps eine Reihe von Zinssenkungen benötigen, um ins Laufen zu kommen», schreiben die Strategen. Das UBS Global Wealth Management findet ebenfalls Gefallen an kleineren US-Aktien. Auch das Team um CIO Mark Haefele sieht mögliche Zinssenkungen durch die Fed als Katalysator für neuen Schwung in diesem Segment. Analog zum Marktkonsens rechnet UBS mit einem ersten Lockerungsschritt im September. «Wir erwarten, dass die Gewinne der Small Caps im Laufe des Jahres Fahrt aufnehmen», schreibt Mark Haefele in einem Investmentletter.
Diesseits wie jenseits des Atlantiks ist die Aussicht auf ein Comeback der Small und Mid Caps mit Unwägbarkeiten verbunden. Zum einen hängen die Zinswende in den USA respektive erneute Senkungen in Europa von der Inflationsentwicklung ab. Sollte die Teuerung nicht weiter nachgeben, könnte die Kapitalaufnahme für die Unternehmen kostspielig bleiben. Darüber hinaus stehen Fragezeichen hinter der konjunkturellen Entwicklung. Kopfzerbrechen bereitet den Chefetagen vieler Unternehmen die geopolitische Grosswetterlage – seien es die Kriege in der Ukraine und in Gaza oder die Wahlen in Frankreich, Grossbritannien sowie den USA. Die Formulierung «schwieriges makroökonomisches und geopolitisches Umfeld» zieht sich wie ein roter Faden durch viele Investoren-Präsentationen.
Anlagelösungen
Umso sinnvoller ist es, diversifiziert auf einen Konter aus der zweiten und dritten Börsenreihe zu setzen. Passende Lösungen für eine solche Strategie bieten Exchange Traded Funds (ETF). Den MSCI Europe Small bildet SPDR, das ETF-Label des US-Asset Managers State Street mit dem Fonds SMCX passiv ab. Im Referenzindex sind annähernd 900 auf dem alten Kontinent beheimatete Small Caps enthalten. Die Schweiz steuert 68 Mitglieder bei. Darunter befinden sich Industrietitel wie Georg Fischer, Burckhardt Compression oder Interroll. Hinzu kommen Healtchare-Unternehmen wie Galenica und Basilea, Immobilienwerte wie PSP oder Konsumfirmen wie der Molkereikonzern Emmi – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die Gesamtkostenquote (TER) für den an SIX kotierten ETF beträgt 0.30% jährlich.
Das Nebenwerte-Spektrum der Wall Street können sich Anleger mit dem ETF XRS2 auf den Russell 2000 in das Portfolio holen. Xtrackers, ETF-Arm von DWS, verwaltet in diesem 2015 lancierten Fonds CHF 869 Millionen Der ETF ist physisch repliziert. Xtrackers hält also sämtliche momentan 1’945 im Russell 2000 enthaltenen Aktien im Fondsvermögen. Mit einer Gewichtung von 1.6% ist Super Micro Computer das Schwergewicht. Beim Serverspezialisten aus San Francisco besteht eine direkte Verknüpfung zum «Gigantismus». Super Micro arbeitet eng mit Nvidia zusammen. Aus Sektorensicht geben Industrie-, Finanz- und Gesundheitsunternehmen im Russell 2000 den Ton an. Diese drei Wirtschaftszweige steuern zusammen annähernd die Hälfte zum Index bei.
Eine kurzfristige Wette auf das Comeback heimischer Mid Caps bietet der Mini-Future Long ISMBZZ. Das ZKB-Produkt partizipiert mit einem Hebel von aktuell 4.5 an steigenden Notierungen beim SMIM. Den Stop-Loss setzte die Emittentin Ende Juni auf 2’060.91 Punkte. Damit trennte den Basiswert gut ein Fünftel von der Absicherungsmarke. Dieses Polster darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass überproportionale Verluste drohen, falls der SMIM nicht in die Gänge kommt. Hier sollten sich also nur die Trader angesprochen fühlen. Dagegen sind die beiden ETFs für Anleger interessant, die einen «Buy-and-Hold»-Ansatz präferieren und darüber hinaus mit einem Ende des Börsen-Gigantismus zu Gunsten der mittelgrossen und kleineren Aktien rechnen.