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Macroscope: Seidenstraße: Irrweg oder Ausweg?

08.07.2022 4 Min.
  • Olivier de Berranger, Chief Investment Officer

Weltweit sind die Zentralbanken gezwungen, die finanziellen Bedingungen im Kampf gegen die Inflation massiv zu verschärfen, wodurch sie die Volkswirtschaften an den Rand des Abgrunds bringen.

Alle Zentralbanken? Nein. Eine macht genau das Gegenteil: die Chinesische Volksbank (People’s Bank of China. Sie lockert ihre monetären Bedingungen, um die Wirtschaft zu stützen, denn die chinesische Inflation liegt gerade einmal bei 2,1 %, die Inflation ohne Energie und Lebensmittel sogar nur bei 0,9 %. Der Auftrieb bei den Erzeugerpreisen, deren Anstieg von über 13 % im Oktober die wirtschaftliche Stabilität bedrohte, hat sich deutlich abgeschwächt. Dadurch beläuft sich das jährliche Plus nun auf 6,4 %. Westliche Notenbanker können davon nur träumen.

Chinas Wirtschaft hat in den vergangenen Monaten stark gelitten

Glücklicherweise kann die chinesische Zentralbank die Wirtschaft des Landes stützen, denn diese hat dies bitter nötig. China hat in den letzten Monaten stärker gelitten als im Frühling 2020 unter der Corona-Krise, wenngleich diese dort ihren Anfang nahm. Der Wohnimmobilienmarkt erlebte 2021 einen steilen Abschwung. In dessen Verlauf rutschte Evergrande, einer der größten Immobilienentwickler des Landes, beinahe in die Insolvenz. Dank staatlicher Unterstützung konnte ein Zusammenbruch verhindert werden.

Der Höhepunkt jener Krise scheint überwunden, doch im Frühling 2022 gab es bereits die nächste: Die Infektionszahlen schnellten insbesondere in Shanghai und Peking in die Höhe. XI Jinpings strikte Null-Covid-Politik führte zu einem brutalen Lockdown, von dem Millionen Menschen betroffen waren. Die Ergebnisse aus den Konjunkturumfragen gingen daraufhin stark zurück: Der Composite-Einkaufsmanagerindex fiel von 51,2 im Februar auf 42,7 im April und signalisierte damit eine Beinahe-Rezession für das zweite Quartal 2022.

Aufschwung und Profit infolge der westlichen Geopolitik

Doch die Pläne der Regierung zur Ankurbelung der Kreditvergabe, zur Lockerung der Finanzierungsbedingungen sowie zur Deregulierung des digitalen Sektors haben bereits Früchte getragen. So stieg der Einkaufsmanagerindex im Juni auf 54,1. Auch wenn man den chinesischen Daten mit einer gewissen Skepsis begegnen sollte, enthalten sie wahrscheinlich ein Körnchen Wahrheit. Schließlich reagierten chinesische Aktien (MSCI China in USD) im zweiten Quartal mit einem leichten Anstieg auf die Stimmungsverbesserung, während globale Aktien zeitgleich um mehr als 15 % nach unten gingen.

China kommt also aus dem Tief. Gleichzeitig steigt im Rest der Welt die Angst vor einer Rezession. Das Pendel schlägt zu beiden Seiten gleich stark aus. Sofern es zu einer globalen Rezession kommt, dürfte sie den Westen allerdings härter treffen als China, denn aufgrund der hohen Inflation können die westlichen Zentralbanken ihre Wirtschaft nicht stützen. Der Krieg in der Ukraine kommt noch hinzu. Von beiden Faktoren ist das Reich der Mitte bisher nicht betroffen und das dürfte auch so bleiben, sofern es Taiwan nicht direkt angreift.

In gewissem Maße kommt China sogar der Krieg in der Ukraine zugute. Zum einen will der Westen verhindern, dass China Russland umfassend unterstützt. Um dies zu erreichen, sind die G7 zweifellos zu wirtschaftlichen oder politischen Zugeständnissen bereit. Zum anderen profitiert das Land, ebenso wie Indien, bereits davon, dass die russischen Energieexporte, die in Europa nicht mehr abgenommen werden, in den Osten umgelenkt werden. Dieses unverhoffte Angebot an billiger Energie in Kombination mit einer entschlossenen Atompolitik erhöhen die Chancen für einen Aufschwung. Und die EPR-Reaktoren in China funktionieren.

Westliche Wirtschaft: ohne China geht es nicht

Auch wenn China die USA mit seiner wirtschaftlichen und geopolitischen Stärke in Angst und Schrecken versetzt, wird es für die westliche Wirtschaft zunehmend unentbehrlich. Diese braucht das Land sowohl als Produktionsstandort als auch als Absatzmarkt. Sie braucht es, um die Preise von Importgütern zu dämpfen und Abnehmer für ihre Waren zu finden, während die westlichen Konsumenten unter der hohen Inflation leiden. Wie bei jeder Krise seit 2008 kommt China dem Westen unfreiwillig zu Hilfe, der seinerseits gerne auf diese Unterstützung verzichten würde, hierzu aber immer weniger in der Lage ist. Ähnliches gilt für Russland, das immer stärker von seinem riesigen Rivalen im Osten abhängig ist.

Für den Westen stellt die Seidenstraße somit gleichermaßen einen politischen Irrweg dar, während sie für die Wirtschaft zunehmend als einziger Ausweg erscheint.

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