Marktausblick zur Jahresmitte 2023
-
Sébastien Page
Head of Global Multi-Asset and Chief Investment Officer
T. Rowe Price
Das Signal im Rauschen finden
Verhalten pessimistisch
An der Schwelle zum 2. Halbjahr 2023 scheinen sich die wirtschaftlichen Kräfte unter dem Strich noch immer eher nachteilig auf die globalen Kapitalmärkte auszuwirken. Die beharrliche Inflation, die Zinsstraffungspolitik der Zentralbanken und die finanzielle Instabilität stellen allesamt eindeutige Risiken dar.
Dennoch legten die Wirtschaft und die Märkte bis Ende Mai eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit an den Tag. Das Wachstum war in den führenden Volkswirtschaften nach wie vor positiv (Abb. 1) und die gemeldeten Gewinne waren höher als erwartet. Die größten Aktienmärkte verzeichneten Kursgewinne.
Langsameres Wachstum, aber – noch – keine Rezession in den führenden Volkswirtschaften
(Abb. 1) Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP), gegenüber dem Vorjahr
Diese Ergebnisse schienen die Richtigkeit eines „verhalten pessimistischen“ Ansatzes zu bestätigen. „Pessimistisch“, weil die Risiken beträchtlich sind. Und „verhalten“, weil die Anlegerinnen und Anleger bei zu viel Pessimismus Chancen übersehen und Erholungsphasen an den Märkten verpassen könnten.
Es bleibt dahingestellt, ob die Wirtschaft und die Märkte den Pessimisten auch im 2. Halbjahr weiterhin trotzen können, meint Sébastien Page, Head of Global Multi-Asset und Chief Investment Officer (CIO).
Viele Konjunkturkennzahlen, so Page, leuchten rot auf. Doch die immer noch bestehenden Verzerrungen durch die Covid-19-Pandemie machen es schwierig, das Signal vom Rauschen – nützliche Informationen von bedeutungslosen Daten – zu unterscheiden.
Das stärkste Argument der Pessimisten ist nach Ansicht von Page, dass sich die Zinserhöhungen der US-Notenbank (Fed) um 500 Basispunkte in der Wirtschaft noch nicht in vollem Umfang bemerkbar machen. „Jedes Mal, wenn die Fed in der Vergangenheit auf die Bremse trat, ist irgendwer durch die Windschutzscheibe geflogen“, warnt er. „Wir haben bereits festgestellt, dass einige Banken diesmal keinen Sicherheitsgurt angelegt hatten.“
Die Bankenkrise ist zwar anscheinend eingedämmt, doch ihre Wirkung auf die Kreditbedingungen wird verzögert zu spüren sein, bemerkt Arif Husain, Head of International Fixed Income und CIO. Im 2. Halbjahr könnte zudem die Beilegung des politischen Streits über die US-Schuldenobergrenze zur Verknappung der Liquidität an den Märkten führen, wenn das US-Finanzministerium die reduzierten Cashpositionen wieder aufstockt, die es bei der Fed vorhält, so Husain weiter.
Dennoch bieten sich in ausgewählten Sektoren Chancen, unter anderem bei Small-Cap-Aktien und Hochzinsanleihen. Die günstigeren Bewertungen und der schwächere US-Dollar könnten außerdem globale Aktienmärkte abseits der USA attraktiv machen, erklärt Justin Thomson, Head of International Equity und CIO. Die positiven Renditekurven könnten die gleiche Wirkung auf die globalen Anleihenmärkte abseits der USA haben, fügt Husain hinzu.
In einem unsicheren Umfeld kommt es daher sehr auf eine sorgfältige, umsichtige Titelauswahl an. „Ein kompetentes aktives Management kann den Anlegern helfen, riskantere Engagements zu meiden“, führt Page an.