Misstrauen an den Märkten
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Karine Patron, Vermögensverwalterin
Die vergangene Woche hat dem seit mehreren Wochen anhaltenden Aufwärtstrend an den Märkten ein Ende bereitet.
Schuld daran sind verschiedene US-Zentralbanker, die sich zu Wort meldeten und daran erinnerten, dass ihr Kampf gegen die Inflation noch lange nicht vorbei sei. In der Folge zweifelten die Anleger daran, dass die Fed bei ihrer nächsten Sitzung im September weniger aggressiv als erwartet vorgehen würde. Dazu kommt, dass die Verfassung der weltweiten Wirtschaft mit der geopolitischen Krise in der Ukraine, die keine Anzeichen einer Entspannung erkennen lässt, und der Stromknappheit – beides Faktoren, die Europa belasten, immer beunruhigender wird. Dazu kommt eine schwächelnde chinesische Wirtschaft. Diese Entwicklungen sorgen für Misstrauen an den Märkten.
Die Erzeugerpreise in Deutschland stiegen im Juli im Jahresvergleich um 37,2%, was die Angst vor einer Rezession in Europa und einer anhaltenden Inflation weiter schürte, während die Erdgaspreise immer weiter steigen (EUR 247 pro Megawattstunde). In der Eurozone erreichte die Inflation mit 8,9% einen neuen Rekordwert und überschritt in England sogar die Marke von 10,1%.
In den USA bleibt der Arbeitsmarkt robust und unterstützt damit die restriktive Politik der Fed. Die Arbeitslosigkeit liegt mit 3,5% auf dem niedrigsten Stand seit Februar 2020, vor der Pandemie, während im Juli 528’000 neue Stellen geschaffen wurden, weit mehr als die 398’000 Jobs im Juni.
China senkte wie vorgesehen ihre Leitzinsen und verstärkte gleichzeitig ihre Unterstützung für den Immobilienmarkt. Der Vorzugszinssatz für fünfjährige Kredite, der Referenzzinssatz für Hypotheken, wurde um 15 Basispunkte auf 4,3% gesenkt, um eine Verschärfung der Wohnungskrise zu verhindern und die Kreditnachfrage zu stärken. Das Ausmass der Lockerung wird jedoch als zu gering angesehen, um die Wirtschaft signifikant anzukurbeln. Tatsächlich sieht sich die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt vor dem Hintergrund steigender Covid-Fälle und anhaltender Schwierigkeiten im Immobiliensektor sowie einer Energieknappheit in der Provinz Sichuan, einem wichtigen Zentrum des verarbeitenden Gewerbes, mit Mobilitätsbeschränkungen konfrontiert. Obwohl die chinesischen Behörden als Reaktion auf die schwächelnde Wirtschaft eine verstärkte Unterstützung zugesagt haben, werden ihre Massnahmen durch das Inflationsrisiko und den drohenden Kapitalabfluss beschränkt.
Diese Woche wird das grosse Jahrestreffen der Zentralbankchefs der Welt in Jackson Hole im Westen der USA im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Das Symposium findet vor dem Hintergrund einer weltweit strafferen Geldpolitik zur Bekämpfung der hartnäckigen Inflation statt, welche aber gleichzeitig die Gefahr mit sich bringt, die postpandemische Wirtschaftserholung zu ersticken. Dieses Dilemma, mit dem sich die verschiedenen Zentralbanken konfrontiert sehen, wird im Mittelpunkt der Diskussionen stehen, wobei die Rede von J. Powell sicherlich einen Hinweis auf den künftigen Kurs der Fed geben wird.
Der europäische Aktienmarkt
Dank resilienter Gewinne und in der Hoffnung, den Höhepunkt der Inflation bereits überschritten zu haben, verzeichneten sowohl Aktien als auch Anleihen eine schöne Sommerrally. Die europäischen Aktien haben seit ihrem Tiefstand Anfang Juli nahezu 9% zugelegt, während die Unternehmensanleihen seit ihrem Tiefstand Mitte Juni ein Plus von 4,4% verbucht haben.
Die geopolitische Krise in der Ukraine, die Energiekrise und die hartnäckige Inflation schüren jedoch erneut Rezessionsängste und belasten die künftigen Unternehmensgewinne. Die Aktien könnten an Attraktivität einbüssen, da eine Abschwächung der Wirtschaft eine potenzielle Flucht in sichere Anlagen bedeutet und den Staatsanleihen sowie erstklassigen Unternehmensanleihen zugute kommen könnte.
In Europa hat die Berichtssaison für das zweite Quartal das Vertrauen in den Markt wiederhergestellt. Die Unternehmen haben bewiesen, dass die Nachfrage ausreichend robust ist, um höhere Kosten auf die Verbraucher zu überwälzen. Allerdings zeichnet sich für die nächsten Quartale eine Konjunkturabschwächung ab, welche die Gewinne der Unternehmen stark in Mitleidenschaft ziehen könnte.
Europäische Fonds verzeichneten in der letzten Woche Kapitalabflüsse in Höhe von 2,2 Mrd. US-Dollar und beendeten damit die Rally am europäischen Markt. Da dieser Markt zum Grossteil aus zyklischen Werten besteht, reagiert er empfindlicher auf eine Konjunkturabschwächung, die auf dem alten Kontinent immer offensichtlicher wird.