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mRNA-Revolution: Wie Technologie den Zellstoffwechsel und die zukünftige Medizin verändert

12.09.2024 4 Min.
  • Serge Nussbaumer
    Chefredaktor

Können Sie erklären, was mRNA ist und welche Rolle sie im Zellstoffwechsel spielt?

Um zu verstehen, was eine mRNA (Messenger-RNA oder Boten-RNA) ist, muss man sich in das Innere einer menschlichen Zelle versetzen. Denn mRNAs spielen bei der Produktion von Eiweissen (Proteinen) im Körper eine zentrale Rolle. Die Baupläne der körpereigenen Proteine sind im Erbgut, d.h. in der DNA im Zellkern, gespeichert. Sie werden dort in mRNA umgeschrieben. Ist die mRNA mit dem Bauplan für ein Protein gebildet, verlässt sie den Zellkern. Ausserhalb des Zellkerns lesen dann sogenannte Ribosomen diesen Bauplan und stellen das entsprechende Protein her. Einfacher ausgedrückt, die mRNA bringt dem Körper bei, wie er ein spezifisches Protein herstellen kann, das unser Immunsystem bei der Vorbeugung oder Abwehr bestimmter Krankheiten unterstützt. Wenn der Körper nicht die richtige Menge oder Art von Proteinen herstellt, können Erkrankungen wie Krebs oder Stoffwechselkrankheiten entstehen.

Wie unterscheidet sich die mRNA-Technologie von traditionellen Impfstoffen und Therapien?

Die mRNA-Technologie unterscheidet sich von traditionellen Impfstoffen, indem sie den Körper dazu anregt, ein spezifisches Protein selbst herzustellen, das dann eine Immunantwort auslöst. Statt abgeschwächte Viren oder Proteinfragmente zu verwenden, wird synthetische mRNA in die Zellen eingebracht, die das Zielprotein codiert. Dadurch kann der Körper schneller und gezielter auf Erreger reagieren. Diese Technologie ermöglicht eine schnellere Entwicklung und Anpassung von Impfstoffen. Den grossen kommerziellen Durchbruch schaffte die mRNA-Technologie mit der Entwicklung und Marktzulassung von COVID-19-Impfstoffen im Zeitraum von weniger als einem Jahr.

Welche Vorteile bietet die mRNA-Technologie im Vergleich zu herkömmlichen Methoden der Arzneimittelentwicklung?

Die mRNA-Technologie ermöglicht eine schnellere Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika, da sie keine zeitaufwändigen Kulturprozesse benötigt. Zudem kann mRNA leicht an neue Varianten eines Virus angepasst werden. Die Technologie erlaubt es, eine breite Palette von Krankheiten zu behandeln, da mRNA für unterschiedliche Proteine codiert werden kann. Ausserdem sind mRNA-basierte Medikamente in der Regel sicherer, da sie keine lebenden Viren enthalten und sich nach der Proteinproduktion schnell abbauen.

Wie schätzen Sie das Marktpotenzial der mRNA-Technologie in den kommenden Jahren ein?

In den kommenden Jahren erwarten wir, dass RNA-basierte Arzneien in eine neue Marktphase übergehen werden. Ihre Anwendung dürfte sich weit über Impfstoffe hinaus auf die Behandlung chronischer und genetischer Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Organfibrosen und Stoffwechselstörungen ausweiten, vorausgesetzt, die positiven Ergebnisse in den klinischen Spätphasen können erfolgreich fortgesetzt werden. Folglich gehen wir davon aus, dass diese Arzneien einen bedeutenden Teil des Biotechnologie-Marktes ausmachen werden.

Welche Durchbrüche oder Innovationen erwarten Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren im Bereich der mRNA-Technologie?

Die Entwicklungen im Bereich der Kombinationsimpfstoffe, die saisonal und geografisch angepasst werden können, sind besonders interessant. Auch effizientere Herstellungsverfahren, die sogar kleine Mengen – wie etwa für individualisierte Krebsimpfstoffe – zulassen, sind von grosser Bedeutung. Zudem werden kontinuierliche Verbesserungen der Potenz und Stabilität von mRNA erwartet, beispielsweise durch chemische Veränderungen oder Sequenzoptimierungen. Neue Wirkstoffträger könnten es ermöglichen, bisher schwer erreichbare Organe oder Zellen gezielt zu behandeln. Sollte die Inhalationstherapie bei Mukoviszidose erfolgreich sein, könnte mRNA auf ein breiteres Spektrum von Atemwegs- und Lungenkrankheiten ausgeweitet werden. Darüber hinaus könnte die Integration der CRISPR-Technologie in mRNA Einmaltherapien gegen seltene Krankheiten ermöglichen.

Welche Firmen soll der Investor in dem Zusammenhang im Auge behalten?

Unternehmen wie Moderna, Alnylam und Ionis sind führend in den verschiedenen RNATechnologien und haben in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Moderna ist insbesondere für seine bahnbrechenden mRNA-Impfstoffe bekannt geworden, Alnylam gilt als Pionier in der siRNA-Technologie und hat mit seinen innovativen Ansätzen vielversprechende klinische Ergebnisse erzielt, die das Potenzial haben, schwerwiegende genetische Erkrankungen effektiv zu behandeln. Ionis ist führend in der Antisense-Technologie, welche auf eine spezifische mRNA zielt, daran anbindet und sie zerstört, wodurch die Menge des krankheitsverursachenden Proteins drastisch reduziert wird. Antisense-Therapien können auch Krankheiten behandeln, die durch einen Mangel an einem bestimmten Protein verursacht werden, indem sie die Produktion des Proteins erhöhen und so dessen Spiegel auf normale Werte zurückführen. Neben diesen Branchenführern gibt es weitere aufstrebende Unternehmen mit grossem Potenzial in der RNA-basierten Therapieentwicklung.

Vielen Dank!

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Dr. Christian Koch
Investment Manager für BB Biotech bei Bellevue Asset Management seit 2014

Von 2013 bis 2014 war er Sell-side Pharma & Biotech Aktienanalyst bei der Bank am Bellevue und von 2010 bis 2013 Research Associate am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften an der ETH Zürich. Er promovierte im Bereich Computer-Assisted Drug Design am Pharmazeutischen Institut der ETH Zürich und studierte Bioinformatik an der Goethe-Universität Frankfurt.

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