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payoff Learning Curve

Neue Zeitrechnung am OTC-Derivatmarkt

30.07.2012 5 Min.
  • Martin Diethelm

Das institutionelle Derivatgeschäft strebt wieder Rekorde an – USD 648 Bill. sind gemäss jüngsten Daten weltweit ausstehend. Um die Stabilität der Finanzmärkte zu sichern, wird seit dem Lehman-Crash eine transparente Abwicklung über Clearing-Häuser forciert. Der Start harzt aber bislang.

Billionen über den Tisch

Privatanleger handeln Wertschriften üblicherweise über eine Börse, z.B. die SIX oder im Fall von Strukturierten Produkten über die Scoach. Doch nicht für alle Wertschriften gibt es zwingend einen zentralen und regulierten Börsenplatz – so im Falle des Devisenmarkts oder bei Swaps und anderen Termingeschäften unter institutionellen Investoren. Ein nicht zu unterschätzender Teil des globalen Wertpapiertauschs findet auch vier Jahre nach dem spektakulären Zusammenbruch von Lehman Brothers schlicht bilateral zwischen zwei Parteien statt. Ohne Börse. Ohne grosse Regulierung. Diese Art von Geschäften wird «Over-the-Counter», kurz OTC, genannt. Der Hauptvorteil ist, dass so individuelle Produkte gehandelt werden können. Nachteilig sind aufwendige (Rahmen-)Verträge zwischen den zwei Parteien, um die Sicherheit der Lieferung der Wertpapiere und Zahlungen für beide Seiten zu gewährleisten. Zudem besteht ein wesentliches Gegenparteienrisiko. Geht eine der zwei Parteien in Konkurs, verliert die andere Partei schlimmstenfalls einen Teil ihrer millionenschweren Forderung gegenüber dem konkursiten Trading-Partner.

OTC, aber zentral gecleart

Würde eine Grossbank in Zahlungsschwierigkeiten geraten, hätte dies auf ihre Verbindlichkeiten im OTC-Geschäft drastische Auswirkungen. Der Vertragspartner könnte seinen monetären Pflichten nicht mehr nachkommen. Im schlimmsten Fall gäbe es einen schmerzhaften Domino-Effekt und das globale Finanzsystem geriete ins Wanken. Das Praxisbeispiel hierfür ist Lehman Brothers. Diese Rekordpleite im September 2008 hat die Regulatoren auf den Plan gerufen – der OTC-Markt wurde zum Top-Thema. Die G20 hat die klare Absicht geäussert, allen standardisierten OTC-Kontrakten bis Ende 2012 eine Abwicklung über «Central counterparty clearing houses», CCP, vorzuschreiben. Das Clearinghaus schiebt sich beim Handel rechtlich zwischen Käufer und Verkäufer, sodass es jede der beiden Parteien als Gegenpartei hat. Das ursprüngliche Ausfallrisiko würde jeweils auf die CCP überwälzt, siehe Abb. 3.

CCPs als Risikopuffer

Dementsprechend ist die Stabilität der CCP für das weltweite Finanzsystem entscheidend. Das Risikokapital der CCP besteht aus Margen, welche die Geschäftsbanken einlegen. Parallel stehen die CCP unter strenger Aufsicht der entsprechenden nationalen Notenbanken, welche sie im schlimmsten Fall stützen würden. Grundvoraussetzung für ein zentrales Clearing ist die Verwendung standardisierter Vertragsdokumente – egal ob Aktien, Obligationen, Zinssätze, Kreditrisiken oder Währungen als Basiswerte dienen. Im Branchenjargon sind diese als Rahmenverträge bekannt. Die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) definiert als Verband solche Bedingungen und erstellt Musterdokumente. Die beiden Parteien müssen somit nur noch wenige Parameter bilateral definieren. Im letzten Jahr beliefen sich die geclearten CDS-Verträge auf einen Gesamtwert von USD 1.5 Bill., was einem Zuwachs von 32% gegenüber dem Vorjahr entspricht. «Rund 53% aller Zinsswaps wurden per Jahresende zentral gecleart», erklärt Robert Pickel, CEO des Branchenverbands ISDA. Marktbeobachter rechnen damit, dass es noch mindestens zehn Jahre dauern wird, bis sämtliche OTC-Transaktionen über ein zentrales Clearinghaus abgewickelt werden.

Gesetzesflut

Aus der euphorischen Einigkeit der G20-Staatschefs über das zentrale Clearing ist inzwischen eine gewisse Ernüchterung entstanden. Das Gesetzgebungsverfahren in den USA ist nahezu komplett («Frank-Dodd»), während die EU («EMIR») bzw. die Aufsichtsbehörde ESMA noch hinterherhinkt. Das zentrale OTC-Derivate-Clearing und die Berichterstattung über OTC-Derivate sollen bis Ende 2012 EU-weit in Kraft treten. Die Betonung liegt auf «sollen». Ein Problem ist, dass die verschiedenen CCP den Risiko-Management-Bestimmungen der jeweiligen Länder unterstehen, in denen sie ihren Sitz haben und bei verschieden harten Bestimmungen Ungleichgewichte beim Clearing unter den CCP selbst entstehen können. In Europa ist das Clearing-House «ICE Clear Europe» in verschiedenen Wertschriften aktiv, aber auch die Eurex plant eine Ausweitung ihres Angebots von Kreditderivaten auf Zins- und Aktiengeschäfte. Mit Fokus auf die Schweiz heisst es erst mal abwarten. «Die weitere Entwicklung wird von SIX x-clear AG eng beobachtet, jedoch steht das OTC Derivate Clearing derzeit nicht auf der Projektagenda», so die offizielle Verlautbarung anlässlich des Swiss Securities Post-Trade Council.

Am Ende zählt das Netto

In der aktuellen Diskussion um die wieder steigenden Bruttovolumen im globalen OTC-Derivatmarkt ist wichtig, dass zwischen Brutto und Netto unterschieden wird. Die bisherige OTC-Gesamtstatistik umfasst viele Doppelzählungen. Bei Verträgen, die über CCP laufen, können sich gegenseitig aufhebende Derivate einfach saldiert werden. Das nach diesem Netting-Ansatz verbleibende Bruttokreditengagement betrug Ende 2011 rund USD 3.9 Bill. Von diesen sind USD 1.8 Bill. durch verpfändete Wertschiften (Collaterals) der Gegenparteien gesichert. Insgesamt bleiben immer noch beachtliche USD 2,1 Bill. an netto ungedeckten Kreditrisiken. Ob diese bei einem Ausfall einer Gegenpartei einen Dominoeffekt auslösen könnten, ist umstritten. Einerseits sind im Durchschnitt immerhin fast die Hälfte der Werte pfandbesichert, andererseits ist unklar, wie gut der Markt den Ausfall von einer oder mehreren Banken in einem neuerlichen Bankencrash absorbieren könnte. Die Zukunft der OTC-Derivate hängt davon ab, ob bei der Regulierung ein angemessenes Gleichgewicht zwischen verbesserter Stabilität und den Vorteilen eines vitalen Handels an den Derivatmärkten gefunden wird. Bleibt zu hoffen, dass der verstärkte Einsatz via Clearing-Häuser mit Augenmass, aber zügig umgesetzt wird. Je schneller, desto besser.

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