Nichts ist unmöglich
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Serge Nussbaumer
Chefredaktor
Der Kampf um das Weisse Haus hat nach dem Rückzug von Joe Biden eine Art Neustart erfahren. Umso mehr steht der US-Politik und der Wall Street ein heisser Herbst bevor.
Wir werfen einen Blick über den grossen Teich und stellen verschiedene Anlagelösungen vor.
Anfang des Jahres feierte Joyce Chang ihr 25-jähriges Dienstjubiläum. Im Januar 1999 hatte sie eine Stelle als Managing Director bei J.P. Morgan Chase angetreten. Ein Vierteljahrhundert später zählt die Princeton-Absolventin zu den bekanntesten Gesichtern der Wall Street. Als Chair im Global Research von J.P. Morgan taucht Chang regelmässig in der Börsenberichterstattung auf. Momentan sind die Erfahrung und Expertise der smarten Analystin besonders gefragt. Schliesslich steuert die Wall Street auf einen heissen Herbst zu. Einerseits soll es nach den Sommerferien endlich zur lange ersehnten und immer wieder verschobenen Zinswende kommen. Gleichzeitig erleben die USA einen politischen Showdown: Am 5. November wird der Präsident gewählt. Dann möchte Donald Trump in das Weisse Haus zurückkehren und dort seinen Nachfolger und Amtsinhaber Joe Biden ablösen.
Historische Rochade
Biden vs. Trump: Bis zum 28. Juni gab es kaum Zweifel, dass es bei den «Elections 2024» zur Neuauflage des Duells von vor vier Jahren kommt. Doch dann schockte der amtierende Präsident Wähler und Partei mit seinem Auftritt beim ersten TV-Duell. Die CNN-Übertragung war noch nicht zu Ende, da brach innerhalb der demokratischen Partei eine heftige Diskussion um den Zustand und die Wahlchancen Bidens aus. Trotz anfänglicher Gegenwehr musste der Präsident letztlich klein beigeben. In einem historischen Schritt verzichtete Biden am 23. Juli auf die Kandidatur.
Harris vs. Trump: Aller Voraussicht haben die US-Amerikaner nun die Wahl zwischen diesen beiden Bewerbern. Obwohl die Demokraten ihren Kandidaten erst beim Konvent vom 19. bis zum 22. August offiziell nominieren, befindet sich die Vizepräsidentin bereits im Wahlkampfmodus. Neben Biden haben sich weitere führende Demokraten für Kamala Harris ausgesprochen. Die 59-jährige trifft auf einen Rivalen, der aggressiver denn je ist. Trump verunglimpft seine vermeintliche Kontrahentin bei jeder Gelegenheit und möchte zudem verhindern, dass sie die von Joe Biden eingesammelten Gelder für den Wahlkampf verwenden darf. Dabei hatte der Republikaner gleich nach dem gescheiterten Attentat moderatere Töne eingeschlagen.
Starke Kursausschläge
Die Rückkehr der Wut ist nachvollziehbar. Nicht nur, dass Trump gegen die jüngere, weibliche Rivalin eine neue Strategie braucht. Die historische Personalrochade brachte auch die Umfragen zum Wanken. Nach dem TV-Duell und den ikonischen, im Zuge seiner Schussverletzung entstandenen, Bildern hatte Trump den Vorsprung gegenüber Biden ausbauen können. Jetzt spürt er den Atem der verhassten Rivalin im Nacken. In das demoskopische Bild passen die Kurse auf PredictIt. Nutzer dieser Plattform setzen auf das Eintreten bestimmter politischer Ereignisse. Mit echtem Geld können sie unter anderem darauf wetten, wer der nächste Präsident wird. Ende Juli notierte Harris bei USc 46 und lag damit um USc 10 unter dem Trump Biden-Kontrakt. In der Folgezeit kam es zu einem Führungswechsel. Harris lag am 1. August bei USc 52, Trump bei USc 50 (siehe Grafik 1).
Natürlich lässt das Rennen um das Weisse Haus auch die echte Börse nicht kalt. Wenngleich an der Wall Street zu Beginn der heis-sen Jahreszeit noch andere Prioritäten galten. Nach Ansicht von Joyce Chang überlagerten Konjunktur und Geldpolitik die Themen US-Wahlen und Geopolitik. Im Fokus stand vor allem die Frage, ob die Fed im September die Zügel lockert und ob es ausserhalb der Staaten zu weiteren Zinssenkungen kommt. «Doch am Horizont Richtung 2025 gibt es Risiken», erklärte die Expertin Mitte Juli auf CNBC. Chang glaubt beispielweise nicht daran, dass ein «einfacher» Fed-Zinssenkungszyklus auf die Märkte zukommt. Allein der offene Ausgang der US-Wahlen spricht ihrer Meinung nach dagegen, dass alles glatt läuft.
Futter für die Tauben
Doch der Reihe nach: Es gilt mittlerweile als ausgemachte Sache, dass die US-Notenbank gleich nach der Sommerpause im September die Zügel lockert. Anfang August lag die Wahrscheinlichkeit für eine Reduzierung der «Target Rate» um 25 Basispunkte auf dann 5.00% bis 5.25% bei 86.5%. Dem stand eine Quote von 0 für einen unveränderten Zinssatz gegenüber. Gemäss dem CME FedWatch Tool würde die Fed im November und Dezember nachlegen: Per Ende Jahr sieht das auf den Terminmarktsätzen basierende Prognoseinstrument den Leitsatz bei einer Spanne von 4.50% bis 4.75% (siehe Grafik 2).
Zwei Indikatoren haben die lange Zeit schwankenden geldpolitischen Erwartungen in eine klare Richtung geschoben: Zum einem büsste der US-Arbeitsmarkt an Dynamik ein. Im Juni erreichte die Arbeitslosenrate mit 4.1% das höchste Niveau seit Oktober 2021. Neben einer möglicherweise nachlassenden Konjunktur spielt die Inflationsentwicklung den Fed-Tauben in die Hände. Der U.S. Consumer Price Index (CPI) übertraf sein Vorjahresniveau im Juni um 3%. Die Teuerung war damit auf das tiefste Niveau seit dem Frühling 2021 zurückgegangen (siehe Grafik 3).
So weit, so gut. Fed-Präsident Jerome Powell wird nicht müde zu betonen, dass er mehr «gute Daten» sehen will. Nur so könne sein Haus vom Sieg im Kampf gegen die Inflation überzeugt sein. Fakt ist, dass der Preisauftrieb Mitte Jahr deutlich über dem vom Fed angepeilten 2%-Niveau lag. Joyce Chang mahnt jedenfalls zur Vorsicht und verweist auf die steigenden Frachtraten im Güterverkehr auf See. Mit Blick auf das kommende Jahr erachtet sie folgende Frage als essentiell: «Was wird in der Handels- und Migrationspolitik passieren?» Hier kommt der Wahlausgang zurück ins Spiel. Donald Trump propagiert neue Zölle auf Einfuhren aus China von 60% und mehr. «Das könnte die Inflation um mehr als einen Prozentpunkt erhöhen», meint die J.P. Morgan-Analystin. Nimmt man den vom Republikaner geforderten generellen Zoll von einem Zehntel hinzu, würde der mögliche Effekt auf das Preisniveau sogar 2.4 Prozentpunkte betragen.
Spreu und Weizen
«Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass die klassische 60/40 Aktien/Anleihen-Allokation nach und nach ein Comeback gibt», so das Urteil der Research-Chefin. Im Mitte Juli veröffentlichten Ausblick von J.P. Morgan sah Chang das Momentum noch bei den Aktien – sie erhielten gegenüber den Festverzinslichen den Vorzug. Mittlerweile ist die Stimmung gekippt. Vor allem der zuvor heiss gehandelte Technologiesektor geriet unter Druck. In gewisser Weise fiel der Wall Street der Erfolg der jüngeren Vergangenheit auf die Füsse. Vor allem der Megatrend Künstliche Intelligenz hatte die Kurse der «Big Techs» massiv angeschoben. Folgerichtig nahm der Einfluss dieser Aktien auf den Gesamtmarkt stetig zu. An der Speerspitze dieser Entwicklung steht Nvidia. Angefeuert vom KI-Boom hat sich die Kapitalisierung des Halbleiterkonzerns allein im ersten Semester annähernd verdreifacht. Bis Ende Juli gab der mittlerweile drittgrösste Börsenkonzern der USA gegenüber dem Top um rund 16% nach.
Die Korrektur dürfte weniger auf politische Entwicklungen als auf Gewinnmitnahmen zurückzuführen sein. Möglicherweise ist die KI-Rally einfach zu weit gegangen. Jedenfalls sind die Unterschiede zwischen den Unternehmen, die von den Programmen der beiden US-Parteien profitieren bzw. im Falle einer Niederlage des jeweiligen Kandidaten ins Abseits geraten könnten, inzwischen deutlich geworden. Nach dem TV-Duell von Ende Juni waren unter anderem Aktien des Minensektors gefragt. Den Lieferanten von Erzen und Metallen könnten neue China-Zölle in die Hände spielen. Stärker als der Markt schnitten zudem die Finanzwerte ab: Banken und Versicherungen gelten als Nutzniesser einer im Falle der Trump-Wiederwahl möglichen Deregulierung sowie von Steuersenkungen. Mit dem de facto Neustart im Wahlkampf liess die Euphorie nach. Derweil machten die Aktien Boden gut, die zur Agenda der Demokraten passen. Das galt beispielsweise für Solarwerte.
Anlagelösungen
Die Bank Vontobel hat sich intensive Gedanken zu den Auswirkungen der US-Wahlen gemacht. Herausgekommen sind zwei Strategie-Zertifikate. Der Tracker PDUSEV bildet den Vontobel Democrat 2024 US Election Index ab. In diesem Basiswert sind 29 Unternehmen enthalten, die von einem Sieg der aktuellen Regierungspartei profitieren würden. Das Gegenstück stellt der Vontobel Republican 2024 US Election Index dar. Die Trump-Favoriten können sich Anleger mit dem Zertifikat PRUSEV ins Depot holen. Die beiden genannten Produkte lauten auf USD, Vontobel hat zudem EUR- und CHF-Tranchen lanciert. Wir haben uns mit dem AMC-Spezialisten Michael Haupt, er verantwortet bei Vontobel die Themeninvestments, ausführlich über diese Produktoffensive unterhalten.
Beide Lösungen haben Charme und sind stringent aufgesetzt. Unabhängig vom Wahlausgang dürften die Indizes aber nur laufen, wenn Konjunktur, Inflation und Geldpolitik mitspielen. Das «payoff» Magazin hat sich bereits im Februar 2024 mit der Möglichkeit einer turbulenteren Börsenphase auseinandergesetzt. «Der Short als mögliche Trump(f) Karte» lautete damals die Headline. Unter anderem haben wir in diesem Fokus-Artikel erläutert, wie sich das Portfolio mittels Put Warrants absichern lässt. Wir erachten eine solche Strategie weiterhin als sinnvoll, weshalb die Tabelle den bis Mitte 2025 laufenden Put SBU8SU auf den S&P 500 enthält. Nicht zuletzt der skeptische Ausblick von J.P. Morgan-Urgestein Joyce Chang spricht dafür, dass ein solcher Schein gut in ein mit US Large Caps bestücktes Depot passt.
Prächtig entwickelt hat sich im bisherigen Jahresverlauf Gold. In der Spitze notierte das Edelmetall ein Fünftel über dem 2023er-Ultimo. Die möglichen Turbulenzen in der US-Politik sprechen zusammen mit der anstehenden Zinswende und den ungelösten geopolitischen Konflikten weiterhin für Gold. Hinzu kommt, dass Investoren die Krisenwährung langsam wieder für sich entdecken. Im Mai und Juni verzeichneten die globalen Gold ETFs Kapitalzuflüsse. Zuvor hatten Anleger elf Monate nacheinander – zum Teil im grossen Stil – Gelder von den physisch hinterlegten Fonds abgezogen. Moderat zugenommen haben auch die Bestände der ZKB. Ihr ETF verwahrt knapp 160 Tonnen des gelben Metalls. Der Grossteil davon entfällt auf die CHF-Anteilsklasse ZGLD. Mit diesem Produkt lässt sich die «Goldkarte» einfach und kosteneffizient spielen.