Normalisierung benötigt viel Zeit
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Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement - Anleihen
Obwohl das Zinstal durchschritten ist: Der Aufstieg ist lang, steinig und voller Rücksetzer. Die Normalisierung der Notenbankpolitik nach Jahren des geldpolitischen Ausnahmezustandes, wachsende konjunkturelle Risiken und hohe politische Unsicherheit prägen die Aussichten an den Anleihemärkten. Das Umfeld für Anleiheninvestoren bleibt somit anspruchsvoll.
Seit dem Tief im Juli 2016 hat sich die Rendite zehnjähriger US-Staatsbonds zwischenzeitlich mehr als verdoppelt, um dann wieder deutlich nachzugeben. Und auch die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen in Deutschland notieren wieder an oder unter der Nulllinie. Ob sich der Aufwärtstrend bei den Renditen der Kernmärkte fortsetzt, ist fraglich: Nach den Rücksetzern im vierten Quartal 2018 erwarten wir bei den US-Treasuries bis zum Jahresende eine Rendite von 2,6 Prozent, und auch bei laufzeitengleichen deutschen Titeln sollte die Rendite bis Ende 2019 nur langsam ansteigen. Die Renditen sollten also keine grossen Sprünge machen, sie zeigen dennoch eine Tendenz nach oben.
Der temporäre Renditeanstieg in den sicheren Häfen der Kernmärkte war die logische Folge der geldpolitischen Straffung der Federal Reserve (Fed). Seit dem Dezember 2015 hat die US-Notenbank bereits neun Zinsschritte umgesetzt, bevor sie Anfang Januar 2019 überraschend deutlich eine Pause ankündigte. Ende März wurde diese Tonlage noch verschärft. Aller Voraussicht nach wird die Fed damit im laufenden Jahr zum ersten Mal seit 2014 die Leitzinsen nicht weiter erhöhen.
In Europa verlief die Entwicklung sogar noch schleppender. Ende 2018 beendete die Europäische Zentralbank (EZB) zwar ihr Kaufprogramm neuer Anleihen. Ursprünglich war für 2019 auch ein Abschied von den Negativzinsen auf Zentralbankeinlagen geplant. Dem hat allerdings die jüngste Wachstumsabschwächung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir erwarten daher eine erste Anhebung des Einlagesatzes um 0,15 Prozent frühestens im März 2020, gefolgt von lediglich einer weiteren Zinserhöhung um 0,25 Prozent im Sommer 2020.
Weiter von der Normalität entfernt
Die Märkte sind folglich noch ein gutes Stück von der Normalität der „Vor-Lehman-Zeit“ entfernt. Zwei Beispiele verdeutlichen dies. Zweijährige Bundesanleihen rentieren derzeit deutlich unter null Prozent. Nominal steht bei langlaufenden Papieren zwar ein leichtes Plus vor der Verzinsung. Berücksichtigt man allerdings die Inflation, liegen auch diese Anleihen im roten Bereich. Anleger sind folglich bereit, für den Erwerb dieser Papiere auf viele Jahre hinweg einen Verlust ihrer Kaufkraft hinzunehmen. Normal ist das nicht. Auch die zuletzt auf 4,6 Billionen Euro angestiegene Bilanzsumme der EZB führt weiterhin zu marktverzerrenden Effekten. Zwar setzt die EZB den Ankauf neuer Anleihen nicht weiter fort. Gelder aus auslaufenden Anleihen will die Notenbank nach eigener Aussage aber so lange wie erforderlich wieder anlegen. Die von der EZB in den Anleihemarkt gepumpte Liquidität wird damit ab 2019 zwar nicht mehr steigen. Angesichts von jährlichen Reinvestitionen in Höhe eines dreistelligen Milliardenbetrags bleibt die EZB aber weiterhin ein Grosskäufer an den Anleihemärkten. Die direkte geldpolitische Beeinflussung der Anleihenmärkte hält somit an.
Nachlassende Wirtschaftsdynamik verunsichert
Der weitere Verlauf an den Anleihenmärkten wird stark davon abhängen, wie es mit der Weltwirtschaft weitergeht. Nach einer Phase des lang anhaltenden, über alle Regionen relativ gleichmässig verteilten Wachstums wird sich der globale Konjunkturzuwachs in diesem Jahr wohl merklich verlangsamen. In den USA ist zwar keine Rezession zu erwarten. Die Frage nach der Tragfähigkeit des ungewöhnlich langen US-Konjunkturzyklus sorgt dennoch für Verunsicherung. Risiken für die Weltwirtschaft resultieren darüber hinaus aus ungelösten politischen Konflikten. Die Handelsstreitigkeiten der USA mit dem Rest der Welt sind ohne Frage ein Belastung für den Welthandel. Und in Europa sorgen der Brexit und der Ausgang der Europawahl weiterhin für Verunsicherung. Damit dürften europäische Anlagen auf absehbare Zeit mit politischen Risikoprämien belastet bleiben.
Kursverluste sorgen für neue Anlagechancen
Der Anstieg der kurzfristigen Zinsen in den USA hat im vergangenen Jahr nicht nur den Markt für US-Staatsanleihen durch fallende Anleihenkurse belastet, sondern auch heftigen Gegenwind für Anleiheninvestoren in anderen Marktsegmenten ausgelöst. Die relative Attraktivität von Spread-Produkten nahm ab, da viele US-Anleger wieder auskömmliche Renditen in ihrem sicheren Heimatmarkt erzielen konnten und sich dadurch aus volatileren Anleihenmarktsegmenten zurückzogen. Das zeigt sich auch bei europäischen Unternehmensanleihen. Ihre Risikoaufschläge hatten sich im vergangenen Jahr bereits verdoppelt. Doch gerade wegen dieser Kursverluste im Jahr 2018 birgt der Anleihenmarkt nun wieder interessante Chancen. Gegenüber den Vorjahren ist das Anlageumfeld differenzierter geworden. Die Unterschiede zwischen Regionen, Branchen und Emittenten haben zugenommen. Gerade dies eröffnet Möglichkeiten, durch aktives Management einen Mehrwert zu erzielen, etwa in folgenden Bereichen:
- Unternehmensanleihen: Alternativen aus Übersee – Es lohnt sich ein Blick auf Marktsegmente, in denen der Zinsanstieg bereits zu einem attraktiveren Renditeniveau geführt hat, zum Beispiel US-Unternehmensanleihen. Trotz der hohen Kosten für die Währungsabsicherung rentieren US-Corporates in Euro heute schon gleichauf mit vergleichbaren europäischen Papieren. Zeichnen sich in Zukunft Zinserhöhungen der EZB ab und kommt es damit einem Rückgang der transatlantischen Zinsdifferenz, dann würden auch die Währungssicherungskosten fallen. So könnten US-Unternehmensanleihen mittelfristig deutlich mehr abwerfen als Euro-denominierte Papiere, die bei einer strafferen Geldpolitik zusätzlich gegen Kursverluste anzukämpfen hätten.
- Schwellenländer: Prügelknaben mit Potenzial – Profitieren könnten auch Marktsegmente, die in den vergangenen Monaten übermässig abgestraft wurden. Dazu zählen einige Emerging-Markets-Anleihen, die mittlerweile wieder attraktiv gepreist sind. Zwar bleibt der Handelskonflikt zwischen den USA und China ein Belastungsfaktor. Doch Rücksetzer boten langfristigen Anlegern in der Vergangenheit regelmässig Einstiegschancen.
- Verbriefungen: Erfolgreiche Nische – Attraktiv sind im aktuellen Umfeld auch variabel verzinsliche Anleihen (Floating Rate Notes). Deren Wert fällt bei steigenden Marktrenditen nicht, sondern legt im Idealfall sogar zu. Hier bieten sich vor allem europäische Verbriefungen an. Die Ausfallraten sind teilweise sogar niedriger als bei klassischen Unternehmensanleihen. Zudem spielt etwa das unter Druck geratene Italien bei den strukturierten Produkten nur eine untergeordnete Rolle.
Fazit: Das Umfeld für Anlagen in Obligationen bleibt herausfordernd. Investoren bieten sich dennoch Chancen, wenn sie ihre Portfolios international diversifizieren und dabei erfolgreich Nischen besetzen. Aktivität und Selektion sind die Schlüsselfaktoren zum Anlageerfolg 2019.