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payoff Focus

Öl-Bonanza fördert neue Anlagechancen

23.03.2015 11 Min.

Die Angebotsexpansion in Nordamerika hat den Ölpreis auf drastische Weise sinken lassen. Die OPEC zaudert zum ersten Mal mit Markteingriffen und lässt in der US-Energiebranche eine Marktbereinigung wüten. Wie die gesunde Zäsur jetzt aus Anlegersicht genutzt werden kann.

Die Fahrt zur Tankstelle hat in den vergangenen Monaten ihren Schrecken verloren. Auch für Robert Impaglia. Der State Trooper aus Pennsylvania pendelt mit dem Auto knapp eine Stunde bis zu seiner Arbeitsstelle und muss inzwischen nur noch zwei Dollar für eine Gallone Benzin bezahlen. Umgerechnet sind das 3.7 Liter Treibstoff für CHF 1.80 – buchstäblich ein Wahnsinnspreis. Im Monat spart sich der Gesetzeshüter damit mehr als USD 100. «Das ist fantastisch! Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt, der sich aktuell über die tiefen Spritpreise beschwert», mutmasst Impaglia. Doch in der Ölbranche und bei den Förderländern kommen die drastisch korrigierten Preisnotierungen alles andere als fantastisch an. Noch im Juni kostete ein Fass Öl der Sorte Brent rund USD 115. Inzwischen liegt der Preis bei weniger als USD 65. Grund dafür ist ein Verbrauchsrückgang in China und eine gleichzeitige Angebotsexplosion, welche die USA quasi zum Selbstversorger macht. Theoretisch könnten die Erdöl exportierenden Staaten, in der OPEC organisiert, die Fördermenge reduzieren – so wie in der Vergangenheit. Doch aus politischen Gründen passiert das jetzt nicht.

Sture Saudis und wilde Cowboys

Das Ölproduzentenkartell der in Wien beheimateten OPEC hatte bei nachfragebedingten Preiseinbrüchen einfach am Stellrad der Fördermengen gedreht. Justiert wurden die Outputs diverser Ölsorten, primär Arabian Light. Das ist die «Haussorte» Saudi-Arabiens. Europa importiert grosse Mengen davon, da die Vorkommen in der Nordsee (bekannt als Brent Oil) alleine nicht genügen, um die europäische Wirtschaft in Gang zu halten. Doch dieses Mal pumpen die OPEC-Mitglieder von Abuja bis Riad unbeirrt weiter. Taktgeber hierfür ist die graue Eminenz im Petro-Club: Saudi-Arabien. Trotz traditionellem Freundeskreis zwischen saudischem Königshaus und den Mächtigen aus Washington, beim Thema Ölpreis spielt die haschemitische Erdöl-Lobby jetzt Powerplay mit den wild gewordenen Cowboys im Mittleren Westen der USA.

 

Aus allen Löchern

 

Als im Jahr 2009 der Ölpreis – nach brachialem Absturz – wieder von Niveaus bei USD 40 pro Fass zu klettern begann, startete in den USA die Energieproduktion aus Schiefergestein (Shale Oil) so richtig durch. Diese Technik nutzt horizontale Bohrungen in Sandsteinschichten, welche unter hydraulischem Druck Öl- und Gasvorkommen aufplatzen lassen. Im Fachjargon als Fracking bezeichnet, liess diese hochumstrittene Fördermethode die US-Energievorräte von Woche zu Woche ansteigen. Die branchenbekannte Bohrloch-Statistik, der Baker-Hughes Rig-Count, wuchs parallel zum Ölpreis an. Amerika wurde erstmals so etwas wie unabhängig von Energieimporten. Das sorgte in der OPEC für Unruhe. Öl aus 1’600 US-Bohrlöchern flutete zunehmend den US-Inlandsverbrauch. Rechnet man den zusätzlichen Output des Shale-Oil seit dem Jahr 2010 von vier Millionen Barrel pro Tag zusammen, entspricht das der Grösse eines zusätzlichen Ölproduzenten im Format des Irak und Katar zusammen. Bei Preisen von rund USD 100 pro Fass Öl wurde rasch jedes Bohrloch profitabel. Shale-Oil-Unternehmen schossen daher wie Pilze aus gedüngtem Boden. Oftmals wurden diese mit grosser Kelle fremdfinanziert, die Aussichten auf Profite überzeugten die kreditgebenden Banken und Investoren. Doch im Zuge des schnell wachsenden Angebots von Öl und Gas begann im Herbst letzten Jahres der Wind zu drehen. In Summe war dies vorhersehbar.

 

Fatale Marktbereinigung

 

So hat sich Preis der US-Ölsorte WTI in weniger als sechs Monaten auf derzeit rund USD 60 halbiert. Eine Schreckensnachricht für die Mehrheit der Ölförderer, ein Todesurteil für manchen Einzelnen. Energiekonzerne haben ihren Schuldenstand seit 2003 vervierfacht. Die ausstehenden Schulden der Energieunternehmen sind gemäss BIZ-Statistiken auf mehr als USD 800 Mrd. angestiegen, von weniger als USD 200 Mrd. im Jahr 2003. Sinkende Ölpreise haben den Wert der Vermögenswerte, die die Ölförderer als Sicherheiten anbieten, gedrückt und sie so gezwungen, mehr Öl auf den Terminmärkten zu verkaufen. Für einige ein Teufelskreis. Die Party vorbei ist für WBH Energy, KiOR, Endeavour oder Marion Energy, um nur die prominentesten Konkursfälle der letzten Monate zu nennen. Der tiefe Ölpreis drückt alle Förderer aus dem Markt, die nicht rentabel, zu spät eingestiegen oder mit zu viel Schulden beladen sind. Aus Investorensicht eine gesunde Marktbereinigung.

 

Heisse Verlockung bei Öl-Bonds

 

Noch laut knirschen wird es bei manchen Obligationen von Energieunternehmen. «Jetzt werden Unternehmen mit Ratings von B oder tiefer regelrecht aus dem Markt geschossen», formuliert es Brian Gibbons, Senioranalyst für den Öl- und Gassektor bei Credit Sights in New York drastisch. Der Ölpreisverfall hat die Kreditkosten der Energieunternehmen erheblich erhöht und die Spreads von hochverzinslichen Obligationen solcher Firmen sind per Januar auf 800 Basispunkte (8%) angestiegen, von nur 330 Basispunkten im Juni 2014. Viele Bonds von US-Energieunternehmen sind derzeit zu Tiefstkursen zu haben, manche rentieren mit 12% p.a. oder mehr. Doch sollte der Versuchung widerstanden werden und nur Obligationen von niedrig verschuldeten Firmen gekauft werden. Bonds, die kein BBB-Rating oder besser besitzen, werden im Zweifel zu verlustreichen Ladenhütern. «Ein Drittel aller High Yield Bonds, emittiert von Energieunternehmen, sind bei einem Ölpreis von USD 55 äusserst gefährdet», warnt Oleg Melentyev, Head of US Credit Strategy bei der Deutschen Bank in New York.

 

Nicht unter 50 Dollar

 

Jeder Ölförderer, der zwischen North Dakota, Oklahoma und Texas vom Markt verschwindet, ist für die OPEC ein Konkurrent weniger. Je billiger das Ölkartell, allen voran die Saudis, ihr Öl jetzt anbieten, desto weniger rechnen sich neue Bohrlöcher in den USA. Ziel der jetzt eingetretenen Marktbereinigung ist es, eine Preisbasis zwischen 70 und 85 US-Dollar zu etablieren, bei der insbesondere die arabischen OPEC-Staaten wieder sitzen. Nach Angaben der Commerzbank hat Saudi-Arabien bereits fast die Hälfte seines Weltmarktanteils am Ölmarkt an Amerika verloren. Diesen Abwärtstrend wollen die Saudis kehren und akzeptieren kurzfristig Kampfpreise je Fass Öl. Gemäss aktuellen Zahlen hat der fallende Ölpreis im Haushaltsbudget des Königreichs bereits deutliche Spuren hinterlassen: Für das Jahr 2015 wird in Riad ein Defizit von rund USD 39 Mrd. erwartet. Man besitzt auch 70 Jahre nach dem Start des Ölexports noch keine alternativen Industriezweige. Um den Haushalt in Balance zu halten, sollte der Preis nicht unter 90 Dollar fallen.

 

Kein Ölsubstitut über Nacht verfügbar

 

Gemäss Schätzungen der US-Energiebehörde EIA soll die US-Rohölproduktion in den nächsten zwei Jahren je um etwa eine Million Barrel pro Tag steigen. Dies allein reicht opulent aus, um mögliche Anstiege der globalen Ölnachfrage auszugleichen. In diesem Jahr wird die US-Rohölproduktion mit 9,5 Millionen Barrel pro Tag das höchste Niveau seit dem Jahr 1970 erreichen. Weil die Ölnachfrage aber nach wie vor wenig preiselastisch ist, reagiert der Ölpreis selbst auf geringe Produktionsüberschüsse mit Verlusten. Klar ist jedoch, dass die Weltwirtschaft, insbesondere die Emerging Markets in Asien und Lateinamerika, noch eine Dekade lang zu den wachsenden Verbrauchsstätten von fossiler Energie zählen werden. Solar, Wind und Wasserkraft durchdringen leider bis dato nur in Europa (und zaghaft in den USA) den Energie-Mix. In Hanoi, Karachi oder Hong Kong drängen brandneue Autos auf die Strassen und knattern Dieselaggregate. Für Kapitalanleger ist es daher empfehlenswert, den Energiemarkt nicht zu ignorieren.

 

Vorsicht bei Öl-Termingeschäften

 

Der gefallene Ölpreis hat primär bei institutionellen Investoren in den letzten Monaten eine sehr bullische Stimmung für die Eröffnung von Long-Positionen erzeugt. So sind in Energie-ETPs seit November 2014 mehr als USD 5 Mrd. geflossen – das ist Rekord. Doch Vorsicht: Die sichere Wette auf steigende Öl-Kurse, egal ob die Sorte WTI oder Brent, kann ganz erheblich von der sog. negativen Rollrendite pulverisiert werden. «Long Öl könnte der Trade für das zweite Halbjahr 2015 werden, man sollte die Futures-Kurve jedoch im Auge behalten», so Bernhard Wenger, Vertriebschef für Europa bei ETF Securities in London. In Zeiten, in denen der künftige Ölpreis höher als der aktuelle gehandelt wird, entstehen für Finanzprodukte wie ETFs oder ETCs Verluste für jede monatliche Fälligkeit, da der Emittent den nächsten Kontrakt zu einem höheren Preis kauft als er verkauft. Im Fachjargon spricht man vom Contango, negativen Rollrenditen. Trading auf den Ölpreis kann lukrativ sein bei kurzen Trendbewegungen, ist aber nur für erfahrene Investoren zu empfehlen. «Auf eine Erholung im Erdölpreis zu setzen, ist schön und gut, aber wegen der Rollkosten rate ich von längeren Haltefristen strikt ab», erklärt Andreas Stocker von der Commerzbank in Zürich seinen Kunden. Die Commerzbank hat eine Reihe von börsenkotierten Faktor-Zertifikaten im Angebot, mit denen mit konstantem Hebel auf entweder steigende oder fallende Ölnotierungen gesetzt werden kann.

 

Alternative heisst Energieinfrastruktur

 

Wer sich nicht auf den Ölpreis selbst festlegen möchte, könnte bei diversifizierten Anlagen in amerikanische Energie-Infrastrukturanbieter eine sinnvolle Alternative finden. Die sog. Master Limited Partnerships, kurz MLPs, sind börsenkotierte, steuerbegünstigte Unternehmen im Bereich Öltransport und Lagerung. Im Gegensatz zu einer Aktiengesellschaft zahlen MLPs keine Einkommensteuer. Dafür verpflichten sich MLPs einen Grossteil ihrer Gewinne an die Teilhaber, sprich die Aktionäre, auszuschütten. Die meisten MLPs sind in den Energiemärkten – Rohöl und Erdgas – in der Exploration, Entwicklung, Produktion, Verarbeitung, Raffinerie, dem Transport, der Lagerung und der Vermarktung von Rohstoffen tätig. Solche MLPs, die explizit für Lagerung und Transport verantwortlich sind, werden im Fachjargon als Midstream Provider bezeichnet. Für Investoren können solche Midstream-MLPs unter anderem deswegen interessant sein, weil deren Umsatz und Gewinn nicht direkt vom Auf und Ab der Energiepreise abhängen, wie das bei Öl- und Gasförderunternehmen (dem sog. Upstream) der Fall ist. Im Gegensatz dazu sind Midstream-MLPs wesentlich stärker an die Energienachfrage gekoppelt – diese wird in den USA in Zukunft nicht wirklich sinken. Die Gebühreneinnahmen der MLPs sind damit gesichert. «Bei MLPs, die von steigenden Ölpreisen profitieren, ist man als Investor keinerlei Rollvolatilität ausgesetzt», ergänzt Bernhard Wenger die Vorteile dieser Anlageform. Einige Anbieter haben Index-Kompositionen und passende ETFs bzw. Tracker-Zertifikate kreiert, mit deren Hilfe man Investoren eine breite Anzahl an MLPs bequem im Portfolio aufnehmen kann. Die jeweilige Indexkomposition kann im Internet eingesehen werden. Bei Fragezeichen zu einem Indextitel kann man im Zweifel auch rasch googeln.

 

Blick nach vorne

Insgesamt ist für den globalen Ölmarkt entscheidend, ob es Saudi-Arabien gelingt, durch einen niedrigeren Ölpreis das Angebotswachstum in anderen Ländern – speziell in den USA – zu bremsen. Gelingt dies, ist der Weg für moderat steigende Ölnotierungen frei. Unbekannt ist dabei aber die Zukunft der US-Schieferölproduktion. Dort sind zunächst die Produktionskosten ein entscheidender Faktor. Liegen diese über den zu erzielenden Ölpreisen, wird die Produktion gedrosselt bzw. Investitionen zurückgestellt. Sammelt man Marktstimmen, ist bei der Schieferölproduktion von einem Break-even-Preis von USD 70 pro Barrel auszugehen. Darunter lohnt sich das Ganze nicht. Zweiter Faktor: Die Schieferölproduktion pro Bohrloch beginnt bereits nach kurzer Zeit stark zu fallen. Sprich eine satte Ausbeute wie bei der klassischen Ölförderung in Texas oder Arabien gibt es beim Shale-Öl nicht. Warnende Stimmen sehen die vermeintliche «Energie-Revolution» durch die Schieferölproduktion in wenigen Jahren als beendet. Spätestens dann könnten die Fahrt zur Tankstelle und der Blick auf die Preistafeln wieder an Schrecken gewinnen.

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