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payoff Interviews

«Österreichische Aktien bieten Investoren hohe Stabilität bei attraktiven Dividendenrenditen.»

08.08.2019 8 Min.
  • Dieter Haas

Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse AG und ihrer Holding CEESEG AG, zu den Stärken der Wiener Börse, den wichtigsten strategischen Entscheidungen seit 2016, den Zielen bis 2021, dem Einstieg ins ETF-Segment und den Unterschieden zu den Zertifikatemärkten in der Schweiz und in Deutschland.

Herr Boschan, können Sie bitte unseren Lesern einen kurzen Abriss über die Zahlen und Fakten der Wiener Börse geben?
Die Wiener Börse ist die einzige Wertpapierbörse Österreichs. Als klarer Marktführer im Handel mit österreichischen Aktien verschaffen wir unseren gelisteten Topunternehmen den besten Platz im globalen Schaufenster. Heuer strebten acht neue Unternehmen an die Börse, drei davon im Topsegment prime market. Österreichische Aktien bieten Investoren hohe Stabilität bei attraktiven Dividendenrenditen. Alles Gründe, die zu einem hohen Engagement internationaler Institutioneller führen. Im Umsatzranking europäischer Börsen liegen wir mit ca. EUR 70 Milliarden im letzten Jahr etwa gleichauf mit der Börse Stuttgart. Auf Gruppenebene, also inklusive der Prager Börse, sogar deutlich davor. Zusätzlich betreiben wir das IT-Börsen-System für fünf Märkte sowie MiFID-Services für dutzende Kunden. Wir stellen den Marktdaten-Feed für elf Märkte in Zentral- und Osteuropa und berechnen über 140 Indizes — darunter viele nationale Indizes. In Prag betreiben wir ein umfangreiches Verwahrgeschäft.

 

Was sind die grössten Stärken der Wiener Börse und wo sehen Sie Nachholbedarf gegenüber der ausländischen Konkurrenz?
Die Wiener Börse ist eine erfolgreiche Nationalbörse mit einem starken Netzwerk. Unsere Konkurrenz sehen wir eher bei BATs und ChiX als bei anderen Nationalbörsen. Aber auch hier sind wir Marktführer im Handel mit österreichischen Aktien und punkten mit der höchsten Handelsqualität.

 

«Die Wiener Börse ist eine erfolgreiche Nationalbörse mit einem starken Netzwerk.»

  

Sie sind seit September 2016 CEO der Wiener Börse und der CEE Stock Exchange Group. Was waren Ihre bislang wichtigsten strategischen Entscheidungen?
Wir haben rasch erkannt, dass wir uns in allen Geschäftsfeldern weiterentwickeln können. Heute decken wir alle Asset-Klassen und Anlegerinteressen ab. In unserem global market bieten wir den heimischen Investoren 660 internationale Wertpapiere. Sie können über den Heimatmarktplatz zu den bekannten Konditionen gehandelt werden. Gleichzeitig haben wir unsere Verfügbarkeit erhöht. Wir orientieren uns an internationalen Standards. Der Kunde ist dabei im Mittelpunkt unserer Arbeit. Unsere verstärkten Aktivitäten haben die weltweite Wahrnehmung Österreichs sowie der börsennotierten Unternehmen wesentlich erhöht.

 

Was sind die strategischen Ziele, die Sie bis Spätsommer 2021, dem Ende Ihres Vertrages, noch erreichen möchten?
Wir werden konsequent weiter zusätzliche Erträge aus allen wesentlichen Geschäftsbereichen genieren, also dem Handel, dem Daten- und Index- sowie dem IT-Geschäft.

 

Der österreichische Aktienmarkt ist im Vergleich zur Grösse des Landes verhältnismässig klein. Woran liegt die Zurückhaltung der Österreicher zu Aktien und was unternehmen Sie, als Verantwortlicher, um die Attraktivität zu steigern?
Wir stellen die modernste technische Infrastruktur zur Verfügung. Wege zwischen Unternehmen und Investoren müssen so kurz und schnell wie möglich sein. Technologische Entwicklungen haben die Verarbeitungsgeschwindigkeit von Wertpapieraufträgen in den letzten 20 Jahren 500-mal schneller gemacht. 1999 wickelten wir täglich 50’000 Transaktionen ab. Heute sind es 6.5 Millionen: entscheidende Kriterien für den Erfolg einer Börse. Wir machen alles Börsenmögliche, den heimischen Finanzplatz noch attraktiver zu gestalten. Wie sehr ein Staat auf die heimische Privataktionärsbasis und die Eigenverantwortung der Bürger bei ihrer Altersvorsorge setzt, ist aber auch eine politische Entscheidung eines Landes.

 

Die Struktur des heimischen Blue Chip Börsenbarometer ATX wird von den Sektoren Finanz, Immobilien, Energie und Materialien dominiert und ist daher sehr konjunkturanfällig, Diese hohe Sensitivität schlug in der Vergangenheit in schwierigeren Börsenphasen jeweils negativ zu Buche. Wird sich der Mix in den kommenden Monaten durch geplante IPOs verändern oder sind andere Massnahmen geplant, um eine bessere Diversifikation zu erreichen?
Der ATX bildet die Realität am heimischen Finanzplatz ab. Es ist nicht unsere Aufgabe, hier eine Wertung vorzunehmen. Gleichwohl bieten wir für Fondsmanager, die nach ausgewogener Gewichtung suchen, auch eigene Benchmarks an. Der «ATX Prime Capped 8» hat zum Beispiel eine Gewichtungsgrenze von 8%, der «ATX Global Players» enthält jene prime Unternehmen, die mindestens 20% ihres Umsatzes ausserhalb Europas erwirtschaften. Wir entwickeln unser Index-Angebot laufend weiter und passen es der Nachfrage der Marktteilnehmer an.

 

Sie sind erst im Oktober 2017 mit einem eigenen ETF-Segment (aktuell 119 kotierte ETFs) gestartet. Weshalb so spät?
Für uns als neues Management war es der frühestmögliche Zeitpunkt. Ganz nach dem Motto «Geh nicht fort, kauf im Ort» haben wir versucht, neue Anlagemöglichkeiten an die Börse zu holen. Heimische Investoren brauchen die Möglichkeit zur Diversifikation. Sie können nun aus einer Vielzahl von Produkten mit unterschiedlichen geografischen Schwerpunkten wählen. ETFs waren ein Teil dieser Idee. In Österreich sind ETFs im Gegensatz zu anderen Ländern nicht sehr stark verbreitet und nach wie vor erklärungsbedürftig. Die Zertifikate-Industrie ist viel stärker ausgeprägt.

 

Der österreichische Zertifikatemarkt ist einer der ältesten in Europa und gemessen am Pro-Kopf-Volumen stärker als der deutsche Markt für Strukturierte Produkte. Was unterscheidet den Zertifikatemarkt der Wiener Börse von dem anderer europäischer Länder wie Deutschland oder der Schweiz?
Mit über 6’300 Zertifikaten hat sich die Wiener Börse als beliebter Sekundärmarkt etabliert. Der Vertrieb von Zertifikaten in Österreich ist stark aufgestellt. Die Banken wissen die Vorteile von Zertifikaten in allen Marktphasen und insbesondere in Zeiten niedrigster Zinsen gut zu promoten. Das schafft Win-win-Situationen für alle Marktteilnehmer. Allerdings ist es fast ausschliesslich ein Buy-and-hold-Markt, was sicher ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland und der Schweiz ist, wo die Börsen sehr aktive Trading-Kunden bedienen.

 

Welches waren im ersten Halbjahr 2019 die fünf umsatzstärksten Produkte der Wiener Börse unter den endlos laufenden Tracker-Zertifikaten?
Im ersten Halbjahr 2019 wurde mit Zertifikaten EUR 303 Millionen umgesetzt. Dieser Bereich ist eng mit den heimischen Banken verknüpft. Die Raiffeisen Centrobank AG generiert 71% des Handelsvolumens in Zertifikaten. Index-Tracker Zertifikate werden an der Wiener Börse hauptsächlich auf Öl und Gold gehandelt.

 

Weshalb werden die Wikifolio-Zertifikate der österreichischen Social-Trading-Plattform nicht an der Wiener Börse gehandelt?
Wikifolio ist exklusiver Kooperations-Partner der Börse Stuttgart. Die hat sich auf den Zertifikatehandel spezialisiert und ist in diesem Bereich Marktführer. Es ist nur folgerichtig, das Wikifolio sich an Stuttgart wandte und die damaligen Manager der Börse Stuttgart haben richtig reagiert. Die Wiener Börse orientiert sich mit ihrem Angebot stärker an internationalen institutionellen Anlegern. Als Nationalbörse bieten wir ein breites Portfolio aller Anlageklassen.

 

Sie haben jüngst eine Marktdaten-Kooperation mit der albanischen Börse bekanntgeben. Welche osteuropäischen Länder umfasst derzeit der Daten-Feed der Wiener Börse und wo sehen Sie noch Chancen für einen Ausbau?
Die Marktabdeckung im Bereich der Marktdaten ist bereits hoch, wir sind aber offen für die Anbindung neuer Märkte. Die One-Stop-Shop-Lösung der Wiener Börse reduziert den administrativen, rechtlichen und technischen Aufwand für die Kunden auf ein Minimum. Weltweit verbreiten wir Daten von elf Märkten über einen Daten-Feed und erreichen so mehr als 18’000 Endverbraucher aus rund 60 Ländern.

 

Wie sehen Sie, als CEO, die Hauptstossrichtung der Holding CEE Stock Exchange Group in den kommenden Jahren?
Wir sind gut diversifiziert. Die Gruppe hat für all ihre fünf Ertragsquellen (Handel, Datengeschäft, Indexberechnung, IT-Services und Zentralverwahrung) einen klaren Plan, der funktioniert und der weiterverfolgt wird. Wir wachsen, trotz weitgehend fehlendem strukturellen Wachstum der Wertpapiermärkte in der Region.

 

«Österreichische Aktien dürfen in keinem Europa-Portfolio fehlen!»

 

Wieso sollte ein Schweizer Anleger sich für Produkte der Wiener Börse interessieren?
Österreichische Aktien dürfen in keinem Europa-Portfolio fehlen! Wir bieten Anlegern europäische Compliance gepaart mit der Fantasie wachsender Regionen. Zahlreiche der österreichischen börsennotierten Unternehmen sind Weltmarktführer in ihrer Nische. ATX-Unternehmen sind zudem zuverlässige Dividendenbringer.

 

Abschliessende Frage: Badischer Trollinger oder Österreichischer Zweigelt?
Unsere Kursliste gibt ein schönes Ottakringer-Bier her!

 

VITA

Christoph Boschan ist promovierter Jurist und seit September 2016 CEO der Wiener Börse AG und ihrer Holding CEESEG AG. In den vergangenen zwanzig Jahren war er für verschiedenste Börsen tätig, zuletzt als Joint-CEO bei der Börse Stuttgart sowie Vorstand der Euwax. Vorige berufliche Stationen machte der gelernte Wertpapierhändler bei Equiduct-Trading London, an der Börse Berlin sowie bei Tradegate.

 

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