Opportunitätskosten werden in Europa zum Thema
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Stuart Canning, Anlageexperte
Über die vergangenen fünf Jahre haben zehnjährige US- Staatsanleihen Anlegern einen realen Ertrag von 0 eingebracht. Gleichzeitig stieg der US-Aktienmarkt um 87%.
Grundsätzlich macht es Sinn, dass Anleger für eine niedrigere Volatilität bezahlen: Die zehnjährigen US-Staatsanleihen sind weniger volatil als Aktien. Doch muss auch erwähnt werden, dass Anleihen mit einer längeren Laufzeit tatsächlich eine höhere Volatilität als der S&P 500 aufwiesen, und zwar noch bevor der häufig diskutierte Rückgang der Volaltiltiät an den Aktienmärkten zu beobachten war.
Die Frage ist: Wird die harte Realität der Opportunitätskosten, die für das Vermeiden einer kurzfristigen Volatilität gezahlt werden müssen, die Wahrnehmungen der Anleger verändern? Für den Grossteil des Zeitraums seit 2012 machten viele Anleger deutlich, dass ihnen die Kapitalrückzahlung wichtiger ist als die Kapitalrendite. Allerdings hat der Mensch die Angewohnheit, zu vergessen, was er zu glauben pflegte. Wird das Risiko, über das sich Anleger sorgen, von unangenehmen kurzfristigen Verlusten zu verpassten Erträgen übergehen? Wenn sich diese emotionalen Kräfte durchsetzen, kann das mehr darüber aussagen, ob wir uns in einer Blase befinden.
Was auch immer notwendig war
Der Ausgangspunkt für den Fünfjahreszeitraum ist natürlich nicht unerheblich. Vor fünf Jahren hielt Mario Draghi seine „was auch immer notwenidg ist“-Rede, die die Verpflichtung der EZB zum Erhalt des Euro und zur Unterstützung des Finanzsystems bekräftigte. Das Ergebnis waren starke Erträge bei Vermögenswerten der europäischen Peripheriestaaten, die sich zuvor im Zentrum des Sturms der Eurokrise befanden.
Italienische Anleger hatten hervorragende fünf Jahre, insofern sie es geschafft hatten, ihre Ängste zu bekämpfen. Es ist nicht klar, ob dies eine direkte Folge der Zentralbankpolitik ist. Zumindest nicht in der Art und Weise, wie es oft dargestellt wird. Handlungen zur Unterstützung der Liquidität im Bankensystem und dazu beizutragen, die Wahrnehmungen der Anleger mit Blick auf Anleihen der Peripheriestaaten weg von einem Kreditrisiko und hin zu einem Länderrisiko zu verändern, sind ungeheuer wichtig. Ebenso wie die Veränderungen der Erwartung an das Marktzinsniveau.
Weniger klar ist hingegen die Beschreibung, dass die Mittelflüsse in diese Vermögenswerte auf Grundlage der quantitativen Lockerung die Preise beeinflusst haben. Die Erträge von italienischen und spanischen Anleihen bewegten sich seit Anfang 2015 tatsächlich insgesamt eher seitwärts. Der Zeitpunkt markiert den Beginn des ausgeweiteten Ankaufprogramms für Vermögenswerte der EZB (die Käufe in den USA wurden im Oktober 2014 eingestellt).
Renditen nicht aus den Augen verlieren
Es scheint der Ausgangspunkt der Rendite eine Rolle zu spielen. Italienische und spanische zehnjährige Anleihen wiesen im Januar 2015 eine Rendite von 1,6% beziehungsweise 1,5% auf, die Realrenditen fallen seitdem entsprechend niedrig aus. Bundesanleihen, die vor fünf Jahren wesentlich niedrigere Renditen aufwiesen, konnten mit den Peripheriestaaten nicht mithalten. Im Hinblick auf Staatsanleihen machen die erwähnten Ausführungen jedoch deutlich, dass wir die Renditen nicht aus den Augen verlieren sollten, ungeachtet unserer Prognosen für die Kapitalflüsse von Anlegern oder Zentralbanken.
Vor dem Hintergrund des heutigen Renditeniveaus könnten Opportunitätskosten in Europa in Kürze zum Thema werden – ebenso wie in den USA geschehen.