ProSiebenSat.1: Latente Übernahmefantasie
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Wolfgang Hagl
Die Coronakrise hat die operativen Probleme des TV-Konzerns verschärft. Neben der vom Management propagierten Geschäftserholung macht das Rumoren in der Aktionärsstruktur ProSiebenSat.1 zu einer heissen Turnaroundwette.
Seien es Blockbuster, Serien oder Shows wie «Germany’s next Topmodel» – die 15 Free- und Pay-TV Sender von ProSiebenSat.1 bieten das volle Programm. Gleichzeitig bespielt der Konzern über seine 1’400 Videokanäle sowie die Streamingplattform Joyn das Internet. An der Börse erlebt das Unternehmen trotz des immensen Contents und einer enormen Reichweite – allein im klassischen TV-Geschäft empfangen mehr als 45 Mio. Haushalte in Deutschland, Österreich und der Schweiz das Programm – eine Art chronische Bildstörung. Seit Ende 2015 hat ProSiebenSat.1 vier Fünftel der Kapitalisierung eingebüsst.
Inmitten der Disruption
Einfach ausgedrückt haben die Münchner noch keine schlüssige Antwort auf eine sich rasant wandelnde Medienwelt gefunden. Angeführt von Netflix lässt das wachsende Streamingangebot immer weniger Raum für das klassische serielle Fernsehen. Ein Blick auf die jüngsten Quartalsberichte zeigt, dass die Coronakrise diesen Trend noch einmal verstärkt hat. Während die Film- und Serienfans Netflix sprichwörtlich die Türe einrennen, hat ProSiebenSat.1 im 2. Quartal einen Rückgang der Werbeumsätze von 37% verbucht. Zwar legten die Erlöse im Onlinegeschäft moderat zu. Doch ist die Digitalsparte NuCom viel zu klein, um zu verhindern, dass der Konzern unterm Strich rote Zahlen schrieb.
Mit Blick auf das laufende Quartal gab sich Vorstandssprecher Rainer Beaujean vorsichtig optimistisch: «Das Bild hat sich aus unserer Sicht deutlich aufgehellt.» Im August erwartet er bei den Werbeerlösen nur noch einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vorjahr. In normalen Zeiten fährt die Sendergruppe rund die Hälfte ihres operativen Gewinns von September bis Dezember ein. Gleichwohl wird sich der nach dem ersten Semester bestehende Rückstand dem Chef zufolge in diesem schwierigen Jahr nicht mehr aufholen lassen. «Weiterhin fokussieren wir uns auf unser konsequentes Kosten- und Cash-Management und blicken optimistischer auf den Herbst», erklärte Beaujean.
Bewegung in der Aktionärsstruktur
Spannung versprechen die kommenden Monate nicht nur, was die operative Entwicklung von ProSiebenSat.1 anbelangt. Für Unterhaltung könnte auch die Aktionärsstruktur sorgen. Wechselnde Hauptgesellschafter ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Medienunternehmens. Aktuell hält die von der Familie des früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi kontrollierte Mediaset knapp 9% der ProSieben-Aktien. Wenig überraschend schliesst die Mailänder TV-Holding ein Übernahmeangebot aus. Doch der Wunsch nach einem europäischen Medienimperium scheint bei den Italienern gross zu sein.
Auf 9.84% beziffert ProSiebenSat.1 den Anteil der Ruby Equity Investment. Hinter dieser Gesellschaft verbirgt sich der tschechische Investor Daniel Kretinsky. Vor kurzem hat sich mit KKR ein alter Bekannter wieder in den Aktionärskreis eingereiht. Der US-Finanzinvestor hält 6.61% der Stimmrechte. KKR war zusammen mit Permira bereits von 2006 und 2014 bei dem TV-Wert engagiert und hatte das Unternehmen auf dem Weg zum DAX-Aufstieg im Jahr 2016 begleitet. Mit dem norwegischen Staat mischt ein weiterer prominenter Investor bei dem angeschlagenen Unternehmen mit – das Osloer Finanzministerium meldete zuletzt eine Beteiligung von 4.70%.
Die jüngsten Kapitalverschiebungen machen ProSiebenSat.1 zusammen mit dem tief gefallenen Kurs zu einem Übernahmekandidaten. Eine Art Zünglein an der Waage könnte dabei die Credit Suisse spielen. Das Institut hat am 13. Juli den Zugriff auf 21.37% der Stimmrechte gemeldet. Davon geht der überwiegende Teil auf eine Long Call-Option zurück, die vom 3. November 2020 bis Ende Mai 2024 ausgeübt werden kann. Naturgemäss gibt die Credit Suisse nicht preis, mit welchem Motiv oder für wen sie diese Position hält.
Anlagekonklusion:
Derweil hat die Deutsche Bank der angeschlagenen ProSieben-Aktie gestern auf die Beine geholfen. Sie stufte den Mid Cap von «Halten» auf «Kaufen» hoch. Unter anderem sind die Analysten hinsichtlich des erwarteten Umsatzrückgangs im 2020 weniger skeptisch als der Konsens. Es ist in der Tat durchaus möglich, dass der TV-Konzern operativ das Schlimmste hinter sich hat. Zusammen mit der latenten Übernahmefantasie könnte dieses Szenario die Aktie zurück in den zweistelligen Kursbereich hieven. Die Société Générale handelt an der BX Swiss eine Reihe von Hebelpapieren auf ProSiebenSat.1. Unter anderem mit dem Long Mini-Future CBOCJ1 ist die Wette auf steigende Kurse möglich. Eine defensivere Anlagealternative bietet Vontobel in Form des Barrier Reverse Convertible RPSAEV an. Hier geht eine Renditechance von 14.16% mit einem Risikopuffer von 33.41% einher. Achtung: Sollte sich weder die Geschäftserholung noch die Übernahmefantasie verfestigen, könnte selbst dieses Polster zu dünn sein.