Zurück
payoff Opinion Leaders

Rohstoffe sind Schlüsselbranche für Dekarbonisierung

12.06.2023 7 Min.
  • Stefan Breintner
    Leiter Research und Fondsmanager des DJE Gold & Ressourcen
    DJE Kapital AG

Bei Rohstoffen ist seit Anfang 2022 der Wurm drin: Produktion, Gewinne und Umsätze der Bergbau-Unternehmen sinken, nur die Kosten steigen. Aber der Sektor konsolidiert sich, und eine Bodenbildung ist absehbar.

Rohstoffinvestments gehörten im bisherigen Jahresverlauf nicht zu den Favoriten an der Börse. Im Gegenteil: Unter den verschieden Subindizes des breiten europäischen Marktes (Stoxx 600) hat der Subindex Stoxx 600 Basic Resources mit einem Minus von rund 16% sogar am schlechtesten abgeschnitten. Nach der Abkehr von der Zero-Covid-Politik erholt sich in China als wichtigster Akteur am Rohstoffmarkt derzeit vor allem der Service-Sektor. Daten zur Rohstoffnachfrage aus den Sektoren Infrastruktur und Immobilien sind derzeit bestenfalls gemischt und lagen zuletzt auch unter den Erwartungen der Investoren. Letztendlich dürfte der Schlüssel für die Erholung der chinesischen Rohstoffnachfrage in einer sich verbessernden Entwicklung des Immobilienmarktes liegen. Mit Blick auf die kommenden Monate zeigte sich das weltweit grösste Bergbau-Unternehmen BHP Billiton vor kurzem optimistisch, dass die Erholung kommen wird. Auf dem chinesischen Sekundärmarkt ziehen die Hausverkäufe bereits wieder an, und mit Zeitverzug dürfte dann auch die Neubautätigkeit zurückkommen. Nach Ansicht von BHP wird man den positiven Effekt der Stimulierungsmassnahmen – und anderem niedrigere Hypothekenzinsen – verstärkt im Jahr 2024 spüren. 

Veränderungen in der Asset Allocation

Anfang 2022 war der Sektor in den meisten Anlegerportfolien übergewichtet. Das galt vor allem nach Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine, weil man stark steigende Preise bedingt durch eine Sanktionierung Russlands beim Export vieler Metalle bzw. Energierohstoffe erwartete. Allerdings hat sich herausgestellt, dass sich der Markt durch die Sanktionen nur bedingt beeinflussen liess – diese waren weniger wirksam als erhofft. Russland hat beim mengenmässigen Rohstoffexport kaum Einbussen hinnehmen müssen. Viele (Energie-)Rohstoffe finden inzwischen ihren Weg über Drittstaaten auch in die EU. Zudem wurden für die Energiewende notwendige Schlüsselmetalle wie Kupfer, Nickel oder auch Platin/Palladium überhaupt nicht sanktioniert. Zu diesen beiden Faktoren – einer ausbleibenden Angebotsverknappung und einer Erholung Chinas, die länger auf sich warten lässt als erwartet – kamen noch zunehmende Rezessionsängste in der westlichen Welt. Dies hat zusammengenommen dazu geführt, dass viele Anleger ihre Positionen im Rohstoffbereich verkauft haben und nun untergewichtet sind.

Kosteninflation und operative Probleme

Bei fast allen börsenkotierten Metall- und Rohstoffproduzenten fallen seit einiger Zeit sowohl Produktions- und Kosten-, als auch Umsatz- und Gewinnkennziffern überwiegend enttäuschend aus. In der Vergangenheit wachstumsstarke Werte wie Anglo American konnten 2022 ihren Mengenoutput nicht mehr steigern und mussten zudem einen Kostenanstieg von meist mehr als zehn Prozent hinnehmen. Die Industrie spricht oft davon, dass sich die operativen Produktionsunterbrechungen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt haben. Experten rechnen aus verschiedenen Gründen nicht mit einer Entspannung auf der Kostenseite: Zum einen wird die Geologie immer schlechter. Das heisst, der Erz- bzw. Metallgehalt geht in den Gesteinsschichten zurück. Damit ist das Erz schwerer aus dem Gestein zu lösen und der Verarbeitungsprozess dementsprechend kostspieliger. Zum anderen ist der Arbeitsmarkt für qualifiziertes Personal angespannt, und schliesslich sind Schlüsselressourcen wie Wasser oder Elektrizität oftmals knapp. Aus diesen Gründen dürften die Kosten der Rohstoffindustrie erhöht bleiben, auch wenn die von ölpreisabhängigen Inputfaktoren generell fallen. Derartige Stromprobleme bzw. Stromrationierungen treten zum Beispiel häufig in Südafrika auf. Und Wasserprobleme sind in Schlüsselförderländern wie Chile – dort befinden sich rund 25% der weltweiten Kupfer- bzw. 40% der globalen Lithiumreserven – ein grosses Thema.

Silberstreif am Horizont

Inzwischen sind alle Industriemetallpreise günstiger als zu Jahresbeginn, zurückzuführen vor allem auf die Unsicherheit hinsichtlich des Ausmasses und des Zeitpunkts der Erholung im wichtigsten Absatzmarkt China. Blickt man aber auf die zuletzt bereits stark zurückgekommenen Analystenschätzungen, erscheint es sehr realistisch, dass wir hier nun langsam einen Boden finden. Der Gegenwind für den Sektor aus negativen Gewinnrevisionen könnte daher bald nachlassen.

Schlüsselmetall der Dekarbonisierung

Neben der anhaltenden Urbanisierung, vor allem in Schwellenändern sind die weltweiten Anstrengungen zur Dekarbonisierung der strukturelle Wachstumstreiber für viele Rohstoffe bzw. Metalle. Kupfer kann dabei als das weltweite Schlüsselmetall für die Energiewende gesehen werden und zählt neben Nickel zu den für die Transformation im Energie- und Transportsektor stark benötigten Materialien. Die Nachfrageperspektiven sind vielversprechend: Die jährlichen Installationen an erneuerbaren Energieerzeugungskapazitäten könnten sich bis 2030 mehr als vervierfachen, die Anzahl pro Jahr verkaufter Elektrofahrzeuge könnte bis 2030 um das 18-fache gegenüber dem Ausgangsjahr 2020 ansteigen. 

Der Ausbau erneuerbarer Energiekapazitäten geht einher mit einem notwendigen Ausbau der Stromtransportnetze. Wichtigster erster Gebrauch von raffiniertem Kupfer ist mit ca. 74% der sog. Giesswalzdraht: Dieser wiederum weist eine Marktsegmentierung von rund 63% Energiekabel, 21% Magnetspulen, 15% Telekommunikationskabel und 3% Spezialkabel aus. Aktuelle Prognosen führender Marktforschungsinstitute (u. a. CRU, Wood Mac Kenzie, International Copper Association, etc.) gehen davon aus, dass bis 2030 von einer erwarteten Gesamtnachfrage von mehr als 30 Mio. t (2022: ca. 24 Mio. t) rund 7 Mio. t aus den Bereichen Energietransformation (Erneuerbare, EVs, Netzausbau) kommen wird. Diese zusätzliche Nachfrage kann aber durch ein Mehr an Minenproduktion nicht gedeckt werden, so dass man aus heutiger Sicht von einem Marktdefizit von rund 4 Mio. t bis 2030 ausgeht. 

Kaum neue Kupferminenprojekte

Die Kupferversorgung ist weltweit ziemlich fragmentiert. Das Minenangebot für Kupfer liegt bei etwa 22 Mio. t. Das restliche Angebot kommt aus dem Recycling von Altkupfer, welches perspektivisch an Bedeutung gewinnen wird. Im Kupferrecycling gilt ein deutsches Unternehmen als weltweit führend. Dieses baut auch seine Recyclingkapazitäten u. a. durch den Bau neuer Anlagen in den USA kräftig aus und hat damit in diesem Bereich eine sehr gute Langfristperspektive. Neue Kupferminenprojekte können dagegen nicht so schnell aus dem Boden gestampft werden: Grosse Bergbauunternehmen wie Anglo American oder Glencore verweisen darauf, dass die komplette Erschliessung neuer Minen vom Fund bis zur Produktion heute 15 bis 20 Jahre in Anspruch nimmt. Generell ist die Grösse von neu entdeckten Vorkommen seit Anfang 1990 rückläufig. BHP Billiton prognostiziert, dass für 10 Mio. t zusätzliche Kapazität bis 2030 mindestens 250 Mrd. $ investiert werden müssen. Davon ist bis heute noch nicht viel zu sehen, was die Wahrscheinlichkeit eines längeren Marktdefizits erhöht, welches wiederum für hohe Kupferpreise spricht. Auch kurzfristig scheint der Kupferpreis nach einem Rückgang von 3% in diesem Jahr aufgrund sehr niedriger Lagerbestände an der London Metal Exchange (18-Jahres-Tief, darüber hinaus die Hälfte russischen Ursprungs und daher für viele westliche Käufer problematisch) nach unten gut unterstützt.

Eisenerz ähnliche Knappheit 

Auch für den seewärtigen Markt von qualitativ hochwertigem Eisenerz geht man in den nächsten Jahren von einer spürbaren Verknappung aus. Vor allem höherwertige Qualitäten (>Fe 65%) sollten stark nachgefragt werden, da diese mit deutlich weniger Energieeinsatz geschmolzen werden können und somit beim Verarbeitungsprozess viel weniger CO2 anfällt. Der CEO des global führenden Eisenerzproduzenten VALE aus Brasilien, Eduardo Bartolomeo, verwies zuletzt auf der führenden Rohstoffkonferenz der Bank of America darauf, dass die meisten Investoren und Marktbeobachter völlig unterschätzen, was auf den globalen Eisenerzmärkten passiert. VALE geht davon aus, dass sich das jährlich verfügbare Angebot bis 2030 um rund 400 Mio. t bzw. um mehr als 25% der Gesamtkapazität verringern könnte. Der Grund dafür ist der fortschreitende Erzabbau in den wichtigsten Minen bei zu geringen Ersatzinvestitionen.  Ausserdem erhöhen sich vor allem bei Minen in Australien die Produktionskosten, da die Löhne qualifizierter Bergbauarbeiter derzeit um ca. 25% ansteigen. Ein beliebtes Mittel in der Industrie, um Reserven und Pipelines zu ersetzen, sind derzeit auch Übernahmen und Fusionen. 

Fusionen und Synergien

Im Bereich der grossen diversifizierten Konzerne ist derzeit der Fall Glencore / Teck Resources das prominenteste Beispiel. Glencore versucht aktuell, Teck Resources zu übernehmen und so seine Positionierung in den Segmenten Kupfer (Glencores CEO spricht von einem gigantischen „Dekarbonisierungs-Portfolio“) und Kohle weiter auszubauen. Ferner verspricht man sich von der Fusion hohe Synergien. Während der Ausgang dieser Übernahme noch nicht geklärt ist, besteht wenig Zweifel, dass eine weitere grosse Übernahme im Sektor – allerdings im Goldbereich – Erfolg haben wird. Newmont Mining will die australische Newcrest übernehmen und hat hierfür bereits vom Newcrest-Vorstand Unterstützung erhalten. Dieser Deal scheint auch von politischen Interessen geprägt, denn Newcrest besitzt mit Waifi Golpu in Papua Neuguinea die grösste unerschlossene Kupfer-Gold-Lagestätte der Welt, und diese geht nun in amerikanische (und nicht in chinesische) Hand über. In der Vergangenheit hat Newmont mit der Integration grosser Wettbewerber (Goldcorp) einen guten Job gemacht und mehr Synergien geliefert als erwartet.

Weitere News aus der Rubrik

Unsere Rubriken