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Rotation am Aktienmarkt: Wende für Wachstumsaktien?

07.03.2022 4 Min.
  • Michael Herzum, Leiter Macro & Strategy und Mitglied des Union Investment Committee

Die Pandemie hat das Umfeld für die Kapitalmärkte verändert. Höhere Inflation, mehr Wachstum sowie die geldpolitische Wende vieler Zentralbanken schaffen eine neue Normalität. An der Börse büssen die wachstumsstarken Lieblinge der Anleger ihren Vorsprung ein, während die Chancen bei substanzstarken Aktien steigen.

Der Jahresauftakt hatte es für wachstumsstarke US-Aktien wie Alphabet, Netflix oder Tesla in sich: Ihre Kurse sanken deutlich, während sich Industrie- und Energiekonzerne sowie Finanzdienstleister dem Abwärtstrend entziehen konnten. Der Grund für diese Rotation zwischen Wachstum- und Value-Aktien? Das kräftige Wachstum der US-Wirtschaft, die längst das Vorkrisenniveau hinter sich gelassen hat, sowie eine gestiegene Inflation. Dies veranlasst die US-Notenbank Federal Reserve (Fed), schneller als ursprünglich geplant und entschiedener die geldpolitische Normalisierung einzuläuten.

Für Aktienanleger ist diese Rotationsbewegung ein Fingerzeig, auf den sie reagieren sollten. In den breiten US-Börsenindizes haben Wachstumstitel durch ihre aussergewöhnliche Wertentwicklung der vergangenen Jahre deutlich mehr Gewicht erlangt. Ihre Bewertungen stiegen immer stärker an. Diese Entwicklung erfolgte vor dem Hintergrund einer Art säkularen Stagnation, also einem jahrelang schwachen Wirtschaftswachstum bei rückläufiger Teuerung und fallenden Zinsen. Besonders die Zeit nach der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 war dadurch geprägt.

Das Ende der chronisch niedrigen Inflation

Mit der Corona-Pandemie haben sich Trends beschleunigt, die der Weltwirtschaft helfen, das schwache Wachstum und eine chronisch zu niedrige Inflation hinter sich zu lassen. Ein schneller werdender technologischer Wandel und eine investitionsfreudigere Wirtschaftspolitik in den USA und Europa beschleunigen das Wachstum. Zugleich unterstützen sie wieder „normalere“ Inflationsraten bei oder etwas oberhalb von zwei Prozent in den nächsten fünf bis zehn Jahren.

Im Ergebnis bedeutet dies ein höheres nominales Wirtschaftswachstum und strukturell auch wieder höhere Zinsen. Die allgemein erwartete erste Zinserhöhung der US-amerikanischen Fed im März ist also nicht nur der Start in einen neuen Zinserhöhungszyklus. Es ist auch der Beginn einer Reise in Richtung eines höheren „normalen“ Zinsniveaus.

Das alles sorgt für Gegenwind bei Growth-Titeln. Denn bei Wachstumsaktien nimmt die Bewertung viel künftiges Gewinnwachstum vorweg. Steigen die Zinsen, sind zukünftige Gewinne schon heute weniger wert. Das belastet an den Börsen die Kurse von Wachstumsaktien. Es gibt aber noch einen zweiten Faktor, der zu den Turbulenzen bei Growth-Titeln führt. Die Anleger waren nach der Finanzmarktkrise lange bereit, in dem Umfeld von geringem Wachstum eine Prämie für mehr Wachstum zu bezahlen. Wenn es aber wieder strukturell höheres nominales Wirtschaftswachstum gibt, wie wir dies erwarten, schaffen es mehr Unternehmen, auskömmlich zu wachsen. Die Knappheit des Faktors Wachstum nimmt also ab, und damit ist eine Bewertungsprämie weniger gerechtfertigt. Auch waren Growth-Titel in den vergangenen Jahren gleichzusetzen mit Aktien aus dem Technologiesektor. Mit der zunehmenden digitalen Durchdringung anderer Branchen verschwimmt jedoch dieses Alleinstellungsmerkmal.

Ende der Dominanz von Wachstumswerten

Wir gehen deshalb von dem Ende der langjährigen Growth-Dominanz an den Aktienmärkten aus. Aber es ist noch nicht die komplette Wende. Anleger sollten Wachstumstitel nicht voreilig abschreiben, da ihre Geschäftsmodelle und Gewinnaussichten grundsätzlich weiterhin sehr gut sind. Zudem gibt es auch Belastungsfaktoren für die derzeit besonders gefragten Value-Unternehmen. So spüren zum Beispiel Finanzunternehmen den zunehmenden Wettbewerb durch Fintechs, also junge Unternehmen, die mit Hilfe technologiebasierter Systeme spezialisierte und besonders kundenorientierte Finanzdienstleistungen anbieten.

Statt für eine weitere Growth-Dominanz spricht aktuell mehr für eine gleichförmigere Wertentwicklung von Value und Growth im neuen Post-Corona-Makroregime. Anleger dürften besser fahren, wenn sie in den kommenden Jahren eine ausgeglichenere Beteiligung an Wachstums- und Value-Titeln halten. Wir raten deshalb, Übergewichte in Growth-Aktien und den Vereinigten Staaten zu reduzieren und dafür Value-Aktien sowie insbesondere Europas Aktienmärkte als Region mit einem hohen Anteil an Value-Titeln wieder stärker in Betracht zu ziehen. Bei den Sektoren dürften aufgrund des Zinsanstiegs Banken und durch die anziehende Investitionsdynamik auch Unternehmen aus der Branche der Grundstoffgüter profitieren.

Bio

Michael Herzum leitet seit 2018 im Portfoliomanagement von Union Investment die neue Abteilung Macro & Strategy des Bereichs Research & Investment Strategy. Er entwickelt mit seinem Team die Investmentstrategie in den Bereichen Multi Asset, Aktienregionen/-Sektoren & Stile und innerhalb der Rohstoffe. Er verwendet dabei auch die modernen Methoden und Techniken aus dem Bereich Smart Data. Zudem ist er Manager des „Union Investment Committee“ (UIC). Das UIC formuliert die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager.

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