

Schwellenländer am Scheideweg
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Maurizio Vargas, Senior Global Economist
Die Währungen vieler Schwellenländer werten massiv ab, die Inflation steigt rasant. Neben länderspezifischen Problemen belasten auch übergeordnete Themen wie die US-Dollar-Stärke. Das ist eine gefährliche Mischung.
Eigentlich sah es zu Beginn des Jahres gut aus für die Schwellenländer. Neben der robusten weltwirtschaftlichen Lage sprachen auch eine relativ günstige Bewertung und steigende Rohstoffpreise für die aufstrebenden Volkswirtschaften. Getrübt wurde das Bild dagegen von der restriktiveren Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und der „America first“-Politik des US-Präsidenten Donald Trump. In Summe überwogen aber zum Jahresstart die Chancen für die Schwellenländer.
Hohe Wellen an den Finanzmärkten
Ein Dreivierteljahr später zeigt sich eine andere Situation: Besonders hart traf es die Währungen, allen voran den Argentinischen Peso und die Türkische Lira. Im bisherigen Jahresverlauf büßte die Lira gegenüber dem US-Dollar rund 70 Prozent ein. Der Peso hat trotz Notfallmaßnahmen der Notenbank alleine im August knapp 40 Prozent auf die US-Valuta verloren. Auch der Brasilianische Real, der Südafrikanische Rand und der Russische Rubel haben zweistellig eingebüßt. Daneben stehen die Währungen von Indien und Indonesien unter erheblichem Druck. An den Kapitalmärkten mehren sich die Fragezeichen hinsichtlich der Stabilität der Schwellenländer.
Geldpolitik, Protektionismus, Steuerreform – ein toxisches Gemisch
Es sind zum einen übergeordnete, strukturelle Themen, die den Emerging Markets in der Breite zusetzen: Nach einer Phase der Liquiditätsschwemme führt die US-Notenbank Fed ihr Wertpapierportfolio zurück und erhöht kontinuierlich die Zinsen. Damit nimmt die relative Attraktivität des US-Rentenmarkts zu, was wiederum Schwellenländer-Anleihen unter Druck setzt. Die höheren Renditen in den USA erhöhen die Zinsausgaben und der infolge der US-Leitzinserhöhungen zumeist teurere US-Dollar erhöht die in US-Dollar gehaltene Auslandsverschuldung aus Lokalwährungssicht. Nun ist die Straffung der Geldpolitik in der USA eigentlich nichts Neues, die Zinsen steigen schon länger. Allerdings wurde mittlerweile ein Niveau erreicht, – die Zinsen auf das Tagesgeld gehen in den USA Richtung 2,5 Prozent – bei dem es für internationale Anleger immer attraktiver wird, ihr Geld in den USA anzulegen.
Hinzu kommt, dass die US-Notenbank ihr Wertpapierportfolio seit Juli 2018 mit maximaler Geschwindigkeit, konkret um 50 Milliarden US-Dollar pro Monat reduziert und damit die globalen Refinanzierungsbedingungen zusätzlich verschärft. Daher sinkt die Bereitschaft der Investoren, in riskantere Anlagen zu investieren. Daneben verleiht Donald Trumps Steuerreform seit Beginn dieses Jahres der US-Wirtschaft zusätzlichen Rückenwind und schirmt sie stärker als zuvor von der Weltwirtschaft ab. Daher besteht für die US-Notenbank keine Veranlassung, von ihrem Straffungskurs abzurücken – zumindest solange sich die aktuelle Schwäche der Schwellenländer nicht negativ auf die US-Konjunktur auswirkt. Erschwerend kommt die US-Politik hinzu: Mit den Sanktionen gegen Russland, der Aufkündigung des Iran-Deals, der Konfrontation mit der Türkei und dem Handelsstreit – insbesondere zwischen den USA und China – machte Trump 2018 gleich mehrfach ernst. Die Schwellenländer leiden unter dem Protektionismus und der Angst vor einer Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China.
Sonderfaktoren in einzelnen Schwellenländern
Es sind aber nicht ausschließlich geopolitische und weltwirtschaftliche Einflussfaktoren, die die Emerging Markets belasten. Vielmehr werden diese mit einer Reihe länderspezifischer Probleme kombiniert. Momentan sind mit der Türkei und Argentinien zwei Länder betroffen, die ein besonders hohes Leistungsbilanzdefizit und ein hohes Niveau an in Hartwährungen denominierten Verbindlichkeiten aufweisen. Die Abhängigkeit von internationalen Investoren ist entsprechend groß. In der Türkei führen zudem das hohe Wirtschaftswachstum und die ausufernde Inflation zu einer überhitzten Konjunktur. Eine solche Wirtschaftslage ist typischerweise anfällig für Krisen. Zuletzt stand auch der diplomatische Konflikt um den in der Türkei inhaftierten Pastor und US-Staatsbürger Brunson im Fokus. Dagegen sorgen in Brasilien insbesondere die anstehenden Präsidentschaftswahlen für Nervosität.
Als positives Vorbild galt in der letzten Zeit Argentinien. Der Reform-Kurs des wirtschaftsliberalen Präsidenten Mauricio Macri hat dem Land die Kreditwürdigkeit zurückgebracht und es wieder für den Handel und die internationalen Kapitalmärkte geöffnet. Auch im Zuge der jüngsten Turbulenzen wurden im Gegensatz zur Türkei notwendige Gegenmaßnahmen ergriffen. Präsident Macri hat beim Internationalen Währungsfonds (IWF) um eine schnellere Auszahlung des 50 Milliarden schweren Kreditpaketes gebeten. Daneben kündigte er Sparmaßnahmen und Exportsteuern an. Im Jahr 2020 solle ein ausgeglichener Primärhaushalt zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben erreicht werden. Zudem erhöhte die argentinische Zentralbank den Leitzins auf 60 Prozent (vorher: 45 Prozent), um der ausufernden Inflation entgegenzuwirken.
Situation ist fragil
Dass allerdings die eingeleiteten Massnahmen zumindest kurzfristig auch in Argentinien keine Früchte tragen, zeigt, wie fragil die Schwellenländer insgesamt derzeit sind. Gerade die mangelnde Stabilität einiger Staaten lässt auf eine gewisse Ansteckungsgefahr schliessen. Besonders gefährdet sind dabei Länder mit einem hohen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizit, die auf internationale Refinanzierung angewiesen sind. In diese Kategorie fallen beispielsweise Südafrika, Indonesien und Indien. Daneben besteht aber auch eine regionale Verbreitungsgefahr. Weitere lateinamerikanische Länder, die wie Brasilien neben der Dollar-Abhängigkeit mit idiosynkratischen Unsicherheitsfaktoren zu kämpfen haben, könnten in den Strudel geraten. Ausserdem kommt China und dem schwelenden Handelsstreit mit den USA eine besondere Rolle zu. Schliesslich ist China der wichtigste Handelspartner der Emerging Markets.
Weitere Verwerfungen bei den aufstrebenden Volkswirtschaften sind auf absehbare Zeit daher nicht unwahrscheinlich. Von einer breit angelegten Emerging Markets-Krise gehen wir derzeit aber nicht aus. Das Fundamentalbild ist insgesamt intakt und die Mehrheit der Schwellenländer zeigt angemessene wirtschaftspolitische Reaktionen. So haben Argentinien und Indonesien bereits mit geeigneten Gegenmassnahmen auf den wachsenden Abwertungsdruck ihrer Währungen reagiert und die Leitzinsen angehoben. Das sollte dazu beitragen, die Währungen zu stabilisieren ohne dafür sinnlos Devisenreserven zu verpulvern, die zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit benötigt werden. Letztlich sind die massiven Währungskorrekturen, die für internationale Investoren mit Anlageverlusten und für die heimische Bevölkerung mit Einbussen der Kaufkraft einhergehen, aber auch Teil der Problemlösung.