Sicher durch unruhiges Fahrwasser navigieren
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David Eiswert, Portfolio Manager Global Focused Growth Equity Strategy
Was sollte man tun, wenn die Märkte in unruhiges Fahrwasser geraten? Das aktuelle Marktumfeld ist in der Tat verwirrend. Der lange Bullenmarkt, der hinter uns liegt, schien allen vermeintlich «zyklischen» Regeln zu trotzen.
Doch Zinsen und Inflation sind immer noch niedrig bzw. weiter fallend, was unter anderem technologischen Innovationen mit starken disruptiven Kräften zuzuschreiben ist. Durch die neuen Technologien werden in allen Sektoren zusätzliche Kapazitäten freigesetzt. Wir leben in einer Welt des Überflusses. Doch das ist eher Fluch, als Segen. Denn der Wohlstand entsteht in erster Linie durch geistiges Eigentum in Form von Technologien. Daher gibt es nur wenige Gewinner, aber sehr viele Verlierer – und der Durchschnittsverdiener bleibt auf der Strecke.
Anleger favorisieren Unternehmen mit stabilen Gewinnen
Trotz aller Bemühungen der Politik zeigt sich, dass höhere Defizite das strukturelle Wachstum nicht beschleunigen. In der Folge fokussierten sich die globalen Anleger auf Aktien mit geringer Ertragsvolatilität. So verständlich dies sein mag, darf man doch die Bewertungen nicht aus dem Blick verlieren. Und diese erscheinen nach der jüngsten Kursrally bei vielen «stabilen» Unternehmen kritisch. Selektives Investieren ist daher Trumpf. Dabei geht es vor allem darum, die künftigen unternehmensspezifischen Treiber des Wandels zu erkennen.
« Wer in solchen Phasen keinen kühlen Kopf behält, gerät unweigerlich in Schwierigkeiten. Man sollte also besser lernen, sich auch in unruhigem Fahrwasser sicher zu bewegen »
Im Gegensatz zu den «sicheren Häfen» gerieten viele zyklische Substanzaktien in letzter Zeit unter Druck – und zwar zu Recht (siehe Grafik). Ein nachhaltiger Aufschwung ist in diesem Bereich nicht möglich, weil durch neue Technologien zusätzliche Kapazitäten freigesetzt werden, die auf die Preise drücken. Paradebeispiele dafür sind Ölunternehmen und Banken, die in einem deflationären Umfeld ins Taumeln geraten.
Zyklische Wachstumsunternehmen im Vorteil
Bei zyklischen Wachstumswerten verhält es sich etwas anders. Aktien zyklischer Wachstumssektoren, darunter Halbleiter und industrielle Automatisierung, gerieten zuletzt kurzfristig unter Druck, als die Impulse aus den US-Stützungsmassnahmen nachliessen und die Sorgen um die Handelskonflikte zunahmen. Wir finden heute einige zyklische Wachstumsaktien mit enormen langfristigen Kurspotenzialen, die mittlerweile auf Krisenniveau bewertet sind. Daher bauen wir Positionen in zyklischen Wachstumsunternehmen auf, bei denen wir ab 2020 vielversprechende Gewinnsteigerungen sehen. Ein Beispiel sind Aktien aus dem Bereich industrielle Automatisierung, die im derzeit von Nervosität geprägten Börsenumfeld, einen hohen Bewertungsabschlag aufweisen. Damit können wir inmitten der starken Turbulenzen Ruhe bewahren. Erheblichen Spielraum für langfristige Wertschöpfung bieten auch Halbleiter im Bereich analoge/gemischte Signale. Hersteller von DRAM-Speicherbausteinen wiederum operieren in einer konsolidierten, historisch niedrig bewerteten Branche mit starken strukturellen Nachfragetrends.
(Abb. 2) Wert versus fundamentale Stabilität
Verhältnis zwischen dem Forward-KGV für das untere Bewertungsquintil und dem Forward-KGV für das obere Quintil des Fundamental Stability Score, US-Large-Caps1
Januar 1977 bis Juni 2019
Quellen: National Bureau of Economic Research; Empirical Research Partners.
1 Gleichgewichtete Daten für die 750 US-Aktien mit der höchsten Marktkapitalisierung.
Was sind die Gründe für die Nervosität?
Die Weltmärkte stehen vor zwei besonderen Herausforderungen: Neben dem langsamen globalen Wachstum bei niedriger Inflation ist dies vor allem der Handelsstreit USA-China. Die Neuordnung der Handelsbeziehungen schafft Unbehagen. Obwohl das Reich der Mitte inzwischen selbst in hohem Masse Technologiezentren entwickelt, agiert es handelspolitisch immer noch nicht auf Augenhöhe. Der Konflikt lässt drei Dimensionen erkennen:
- die strukturelle Wiederherstellung des Kräftegleichgewichts im globalen Handel, die nicht nur logisch, sondern vernünftig wäre.
- die angestrebte Wiederwahl und damit die politische Zukunft des amtierenden US-Präsidenten. Donald Trump braucht ein Feindbild für seinen Wahlkampf – und dafür eignet sich China hervorragend. Auf der anderen Seite werden amtierende US-Präsidenten in der Regel dann wiedergewählt, wenn die Aktienkurse in den zwölf Monaten vor der Wahl gestiegen sind – ein Balanceakt.
- die politische Zukunft des amtierenden US-Präsidenten. Da die Exekutive der US-Regierung den Handel kontrolliert, dürfte Trump dies als Hebel für steigende Börsenkurse ansetzen. Über Twitter macht er Stimmung, um für Unruhe an den Finanzmärkten zu sorgen und die Notenbank zu Zinssenkungen zu bewegen. Tatsächlich ist Twitter heute ein geeignetes Instrument, um kurzfristige Börsenrallys auszulösen.
Der Handelsstreit dürfte weitere Turbulenzen an den Finanzmärkten auslösen. Gleichwohl ist es sehr wahrscheinlich, dass im Wahljahr 2020 Fortschritte erzielt werden, auf die sich Trump berufen kann. Wir gehen daher davon aus, dass die Spannungen im unmittelbaren Vorfeld der Wahl nachlassen – was die Börsen beflügeln würde. Trumps Wiederwahl «first» – politische Raison «second».
Keine globale Krise ante portas
Kommen wir auf unsere Eingangsfrage zurück: « Wer in solchen Phasen keinen kühlen Kopf behält, gerät unweigerlich in Schwierigkeiten. Man sollte also besser lernen, sich auch in unruhigem Fahrwasser sicher zu bewegen », lautet die Antwort. Unserer Ansicht nach befinden wir uns jedoch keineswegs in einer Krise – sondern lediglich in einer neuen Phase mit geringen Wachstums- und Inflationsraten. Bei anhaltend niedrigen Zinsen und moderaten Wachstumsraten dürfte das Kurs-/Gewinnverhältnis von Aktien aufgrund der Risikoprämie steigen. Das ist reine Finanzarithmetik. Auch mit Blick auf eine mögliche Entspannung im Handelsstreit im kommenden Jahr konzentrieren wir uns auf zyklische Wachstumsaktien, die während der jüngsten Turbulenzen abgestraft wurden. Im Gegenzug reduzieren wir Positionen, in die die Anleger wegen ihres «Safe-Haven-Status» geflüchtet sind. Wir halten den Zeitpunkt für gekommen, den Blick auf 2020 und danach zu richten.